Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

Daß man auch unter den höhern Ständen fast oh-
ne Feigenblatt redet, mag folgende Anekdote beweisen:
Jch saß eines Mittags in dem Hause eines Staatsrathes,
neben einer hübschen, jungen Frau, die sich beklagte, kei-
ne Kinder zu haben. Da sie ziemlich korpulent war, so
rieth ich ihr, um doch Etwas zu sagen, sie solle im Som-
mer eine Fußreise durch die Schweiz machen, so werde
sie das überflüssige Embonpoint, und mit demselben das
Hinderniß der Erfüllung ihrer Wünsche verlieren. --
"Ach!" antwortete sie ganz unbefangen, "ich habe schon
"Alles versucht. Man behauptet sonst auch, es sey
"Nichts wirksamer, als sich eine Zeitlang vom Manne
"zu trennen; ich bin deßhalb 8 Monate auf dem Lande
"gewesen, eh bien, Monsieur, je n'ai rien fait!" --
Das war eine Dame vom Stande, die sich übrigens sehr
anständig und sittsam betrug, und auch durch die Art,
mit der sie jene Worte sagte, bewies, daß sie gar nichts
Unschickliches zu sagen glaubte.

Man bildet sich gewöhnlich ein, der Reisende werde
auf der Gränze von Frankreich, dann wieder in allen
großen Städten, durch welche er passirt, und endlich in
Paris selbst, von Zollbeamten, Schildwachen, Polizei-
spionen, auf das strengste visitirt, ausgefragt, belauert.
Ob das Letztere geschehe, weis ich nicht, daß aber das
Erste und Zweite nicht geschieht, kann ich verbürgen.
Von Genf bis Paris ist mir ein einzigesmal mein
Paß abgefodert worden, als ich durch das kleine, felsen-
feste Ecluse fuhr. Bei meiner Ankunft in Paris glaub-
te ich wenigstens einige Stunden auf Zollhäusern, Poli-
zeihäusern, Packhäusern zubringen zu müssen -- Nichts
weniger. Jch fuhr durch die Barrieren, ohne daß sich

Daß man auch unter den hoͤhern Staͤnden fast oh-
ne Feigenblatt redet, mag folgende Anekdote beweisen:
Jch saß eines Mittags in dem Hause eines Staatsrathes,
neben einer huͤbschen, jungen Frau, die sich beklagte, kei-
ne Kinder zu haben. Da sie ziemlich korpulent war, so
rieth ich ihr, um doch Etwas zu sagen, sie solle im Som-
mer eine Fußreise durch die Schweiz machen, so werde
sie das uͤberfluͤssige Embonpoint, und mit demselben das
Hinderniß der Erfuͤllung ihrer Wuͤnsche verlieren. —
„Ach!“ antwortete sie ganz unbefangen, „ich habe schon
„Alles versucht. Man behauptet sonst auch, es sey
„Nichts wirksamer, als sich eine Zeitlang vom Manne
„zu trennen; ich bin deßhalb 8 Monate auf dem Lande
„gewesen, eh bien, Monsieur, je n'ai rien fait!“ —
Das war eine Dame vom Stande, die sich uͤbrigens sehr
anstaͤndig und sittsam betrug, und auch durch die Art,
mit der sie jene Worte sagte, bewies, daß sie gar nichts
Unschickliches zu sagen glaubte.

Man bildet sich gewoͤhnlich ein, der Reisende werde
auf der Graͤnze von Frankreich, dann wieder in allen
großen Staͤdten, durch welche er passirt, und endlich in
Paris selbst, von Zollbeamten, Schildwachen, Polizei-
spionen, auf das strengste visitirt, ausgefragt, belauert.
Ob das Letztere geschehe, weis ich nicht, daß aber das
Erste und Zweite nicht geschieht, kann ich verbuͤrgen.
Von Genf bis Paris ist mir ein einzigesmal mein
Paß abgefodert worden, als ich durch das kleine, felsen-
feste Ecluse fuhr. Bei meiner Ankunft in Paris glaub-
te ich wenigstens einige Stunden auf Zollhaͤusern, Poli-
zeihaͤusern, Packhaͤusern zubringen zu muͤssen — Nichts
weniger. Jch fuhr durch die Barrieren, ohne daß sich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0171" n="171"/>
        <p>Daß man auch unter den ho&#x0364;hern Sta&#x0364;nden fast oh-<lb/>
ne Feigenblatt redet, mag folgende Anekdote beweisen:<lb/>
Jch saß eines Mittags in dem Hause eines Staatsrathes,<lb/>
neben einer hu&#x0364;bschen, jungen Frau, die sich beklagte, kei-<lb/>
ne Kinder zu haben. Da sie ziemlich korpulent war, so<lb/>
rieth ich ihr, um doch Etwas zu sagen, sie solle im Som-<lb/>
mer eine Fußreise durch die Schweiz machen, so werde<lb/>
sie das u&#x0364;berflu&#x0364;ssige Embonpoint, und mit demselben das<lb/>
Hinderniß der Erfu&#x0364;llung ihrer Wu&#x0364;nsche verlieren. &#x2014;<lb/>
&#x201E;Ach!&#x201C; antwortete sie ganz unbefangen, &#x201E;ich habe schon<lb/>
&#x201E;Alles versucht. Man behauptet sonst auch, es sey<lb/>
&#x201E;Nichts wirksamer, als sich eine Zeitlang vom Manne<lb/>
&#x201E;zu trennen; ich bin deßhalb 8 Monate auf dem Lande<lb/>
&#x201E;gewesen, eh bien, Monsieur, je n'ai rien fait!&#x201C; &#x2014;<lb/>
Das war eine Dame vom Stande, die sich u&#x0364;brigens sehr<lb/>
ansta&#x0364;ndig und sittsam betrug, und auch durch die Art,<lb/>
mit der sie jene Worte sagte, bewies, daß sie gar nichts<lb/>
Unschickliches zu sagen glaubte.</p><lb/>
        <p>Man bildet sich gewo&#x0364;hnlich ein, der Reisende werde<lb/>
auf der Gra&#x0364;nze von Frankreich, dann wieder in allen<lb/>
großen Sta&#x0364;dten, durch welche er passirt, und endlich in<lb/>
Paris selbst, von Zollbeamten, Schildwachen, Polizei-<lb/>
spionen, auf das strengste visitirt, ausgefragt, belauert.<lb/>
Ob das Letztere geschehe, weis ich nicht, daß aber das<lb/>
Erste und Zweite nicht geschieht, kann ich verbu&#x0364;rgen.<lb/>
Von <hi rendition="#g">Genf</hi> bis <hi rendition="#g">Paris</hi> ist mir ein einzigesmal mein<lb/>
Paß abgefodert worden, als ich durch das kleine, felsen-<lb/>
feste Ecluse fuhr. Bei meiner Ankunft in Paris glaub-<lb/>
te ich wenigstens einige Stunden auf Zollha&#x0364;usern, Poli-<lb/>
zeiha&#x0364;usern, Packha&#x0364;usern zubringen zu mu&#x0364;ssen &#x2014; Nichts<lb/>
weniger. Jch fuhr durch die Barrieren, ohne daß sich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[171/0171] Daß man auch unter den hoͤhern Staͤnden fast oh- ne Feigenblatt redet, mag folgende Anekdote beweisen: Jch saß eines Mittags in dem Hause eines Staatsrathes, neben einer huͤbschen, jungen Frau, die sich beklagte, kei- ne Kinder zu haben. Da sie ziemlich korpulent war, so rieth ich ihr, um doch Etwas zu sagen, sie solle im Som- mer eine Fußreise durch die Schweiz machen, so werde sie das uͤberfluͤssige Embonpoint, und mit demselben das Hinderniß der Erfuͤllung ihrer Wuͤnsche verlieren. — „Ach!“ antwortete sie ganz unbefangen, „ich habe schon „Alles versucht. Man behauptet sonst auch, es sey „Nichts wirksamer, als sich eine Zeitlang vom Manne „zu trennen; ich bin deßhalb 8 Monate auf dem Lande „gewesen, eh bien, Monsieur, je n'ai rien fait!“ — Das war eine Dame vom Stande, die sich uͤbrigens sehr anstaͤndig und sittsam betrug, und auch durch die Art, mit der sie jene Worte sagte, bewies, daß sie gar nichts Unschickliches zu sagen glaubte. Man bildet sich gewoͤhnlich ein, der Reisende werde auf der Graͤnze von Frankreich, dann wieder in allen großen Staͤdten, durch welche er passirt, und endlich in Paris selbst, von Zollbeamten, Schildwachen, Polizei- spionen, auf das strengste visitirt, ausgefragt, belauert. Ob das Letztere geschehe, weis ich nicht, daß aber das Erste und Zweite nicht geschieht, kann ich verbuͤrgen. Von Genf bis Paris ist mir ein einzigesmal mein Paß abgefodert worden, als ich durch das kleine, felsen- feste Ecluse fuhr. Bei meiner Ankunft in Paris glaub- te ich wenigstens einige Stunden auf Zollhaͤusern, Poli- zeihaͤusern, Packhaͤusern zubringen zu muͤssen — Nichts weniger. Jch fuhr durch die Barrieren, ohne daß sich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/171
Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/171>, abgerufen am 21.11.2024.