Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804.blättern sie das Buch nicht, das da auf dem Kamine Und woher diese Fehler? sie haben nicht zuhören blaͤttern sie das Buch nicht, das da auf dem Kamine Und woher diese Fehler? sie haben nicht zuhoͤren <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0186" n="186"/> blaͤttern sie das Buch nicht, das da auf dem Kamine<lb/> noch aufgeschlagen liegt, an der naͤmlichen Stelle, wo<lb/> mein Vater zu lesen aufhoͤrte, was er schon so oft gelesen<lb/> hatte: <hi rendition="#g">Plutarchs</hi> Traktat, betitelt: <hi rendition="#g">wie man zu-<lb/> hoͤren soll.</hi> Er sprach oft mit mir davon, denn mit<lb/><hi rendition="#g">mir</hi> brach er sein Stillschweigen, um mir das Zuhoͤren<lb/> zu empfehlen. Das lernet sich nach und nach, sagte er,<lb/> und ist eben so schwer zu lernen, als <hi rendition="#g">gut reden.</hi> Lies<lb/> auch Plutarchs Traktat: <hi rendition="#g">uͤber den Kuͤtzel, immer<lb/> zu sprechen;</hi> der kluge Kanzler l'Hopital schaͤtzte die-<lb/> sen Traktat sehr hoch. Unsere junge Leute gleichen jenem<lb/> Portikus mit 7 Stimmen, den man zu <hi rendition="#g">Olympias</hi><lb/> sah, sie wiederholen bestaͤndig, was sie gesagt haben,<lb/> und Niemand horcht auf sie. Man moͤchte ihnen immer<lb/> mit Aristoteles zurufen: Gott sey Dank! ich habe Beine<lb/> um euch nicht anhoͤren zu duͤrfen.</p><lb/> <p>Und woher diese Fehler? sie haben nicht <hi rendition="#g">zuhoͤren</hi><lb/> lernen. Die Kunst zuzuhoͤren ist der Anfang der Kunst<lb/> zu gefallen. Jm <hi rendition="#g">Sprechen</hi> zeigt man blos das <hi rendition="#g">Ver-<lb/> langen</hi> liebenswuͤrdig zu seyn, im <hi rendition="#g">Zuhoͤren</hi> ist man<lb/> es wirklich. Jn den ersten Jahren der Revolution lebte<lb/> mein Vater auf dem Lande, und alle Parteien seines<lb/> Doͤrfchens setzten ihn auf ihre Liste unter die Zahl Derje-<lb/> nigen, die <hi rendition="#g">gut urtheilen.</hi> Keine Partei verfolgte<lb/> ihn, alle ehrten sein Schweigen. Viele haben in jenen<lb/> stuͤrmischen Zeiten vom ihrem Schweigen Nutzen gezo-<lb/> gen. — Ohne zu reden, kann man fuͤr einen großen<lb/> Redner gelten, man darf nur auf gewiße Art zuhoͤren,<lb/> die Leute aufmerksam dabei ansehen, hie und da einmal<lb/> mit dem Kopfe nicken; am Ende glauben die Leute, man<lb/> habe ihnen gerade so geantwortet wie sie es wuͤnschten.<lb/> Eines Tages, da mein Vater auf diese Art ganz stumm<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [186/0186]
blaͤttern sie das Buch nicht, das da auf dem Kamine
noch aufgeschlagen liegt, an der naͤmlichen Stelle, wo
mein Vater zu lesen aufhoͤrte, was er schon so oft gelesen
hatte: Plutarchs Traktat, betitelt: wie man zu-
hoͤren soll. Er sprach oft mit mir davon, denn mit
mir brach er sein Stillschweigen, um mir das Zuhoͤren
zu empfehlen. Das lernet sich nach und nach, sagte er,
und ist eben so schwer zu lernen, als gut reden. Lies
auch Plutarchs Traktat: uͤber den Kuͤtzel, immer
zu sprechen; der kluge Kanzler l'Hopital schaͤtzte die-
sen Traktat sehr hoch. Unsere junge Leute gleichen jenem
Portikus mit 7 Stimmen, den man zu Olympias
sah, sie wiederholen bestaͤndig, was sie gesagt haben,
und Niemand horcht auf sie. Man moͤchte ihnen immer
mit Aristoteles zurufen: Gott sey Dank! ich habe Beine
um euch nicht anhoͤren zu duͤrfen.
Und woher diese Fehler? sie haben nicht zuhoͤren
lernen. Die Kunst zuzuhoͤren ist der Anfang der Kunst
zu gefallen. Jm Sprechen zeigt man blos das Ver-
langen liebenswuͤrdig zu seyn, im Zuhoͤren ist man
es wirklich. Jn den ersten Jahren der Revolution lebte
mein Vater auf dem Lande, und alle Parteien seines
Doͤrfchens setzten ihn auf ihre Liste unter die Zahl Derje-
nigen, die gut urtheilen. Keine Partei verfolgte
ihn, alle ehrten sein Schweigen. Viele haben in jenen
stuͤrmischen Zeiten vom ihrem Schweigen Nutzen gezo-
gen. — Ohne zu reden, kann man fuͤr einen großen
Redner gelten, man darf nur auf gewiße Art zuhoͤren,
die Leute aufmerksam dabei ansehen, hie und da einmal
mit dem Kopfe nicken; am Ende glauben die Leute, man
habe ihnen gerade so geantwortet wie sie es wuͤnschten.
Eines Tages, da mein Vater auf diese Art ganz stumm
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