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Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804.

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keinem Dache mehr geschützt, die dem Himmel zu sagen
schienen: Wir bedürfen keiner Decke, um deinen Wettern
zu trotzen -- diese prächtigen, gleich Spitzen durchbroche-
nen Wände, die gestern für ein heutiges Fest erbaut schie-
nen -- diese gothischen Säulen, die seit zwölf Jahrhun-
derten die ausgespannten Gewölbe so leicht tragen, wie
der Aetna die Wolken -- dazwischen an der Außenseite
die verstümmelten Zierrathen, die von den Vandalen ge-
köpften Heiligenbilder -- und endlich, beim Hineintre-
ten, die öde Größe, die trümmerreiche Wüste, durch wel-
che die nistenden Vögel flattern, und in der die Mehlfäs-
ser aufgeschichtet stehen. -- Sonderbarer Wechsel der
Dinge! Hier wo sonst nur der Wurm an Königen
schmaus'te, wird jetzt den Menschen Brod verwahrt.

Ein alter Schweizer fand sich ein, der schon seit
40 Jahren seinen Dienst hier verwaltet, und die Abtey
in ihren letzten herrlichen Tagen gesehen hatte. Er wan-
delt hier wie ein gespenstischer Anherr in der wüsten Burg,
deren Pracht in seines Lebens Jugend ihm unverwüstbar
schien. Seine Augen hingen an den kahlen Mauern mit
einem bedeutenden Knopfnicken, als sey er da und dort
von einem alten Freunde geschieden, dessen Bild jetzt vor
ihm schwebe. Es waren die verschiedenen Denkmäler, die
da gestanden, und einen lebendigen Abdruck in seiner See-
le zurückgelassen hatten. Der Mann war ein vollständi-
ges Regiester alles Dessen, was vormals diese weiten Ge-
wölbe enthielten. Bei jedem Schritte hielt er uns auf:
"Hier stand einer Königin Monument" -- bey jeder Gru-
be, in die er uns zu fallen warnte, mußten wir verwei-
len: "Hier ruhte ein König oder Held." -- Wir folgten
ihm, manche Stufe hinab, in einen Dunkeln unterirdi-
schen Gang. Zu beiden Seiten desselben ragten noch aus

keinem Dache mehr geschuͤtzt, die dem Himmel zu sagen
schienen: Wir beduͤrfen keiner Decke, um deinen Wettern
zu trotzen — diese praͤchtigen, gleich Spitzen durchbroche-
nen Waͤnde, die gestern fuͤr ein heutiges Fest erbaut schie-
nen — diese gothischen Saͤulen, die seit zwoͤlf Jahrhun-
derten die ausgespannten Gewoͤlbe so leicht tragen, wie
der Aetna die Wolken — dazwischen an der Außenseite
die verstuͤmmelten Zierrathen, die von den Vandalen ge-
koͤpften Heiligenbilder — und endlich, beim Hineintre-
ten, die oͤde Groͤße, die truͤmmerreiche Wuͤste, durch wel-
che die nistenden Voͤgel flattern, und in der die Mehlfaͤs-
ser aufgeschichtet stehen. — Sonderbarer Wechsel der
Dinge! Hier wo sonst nur der Wurm an Koͤnigen
schmaus'te, wird jetzt den Menschen Brod verwahrt.

Ein alter Schweizer fand sich ein, der schon seit
40 Jahren seinen Dienst hier verwaltet, und die Abtey
in ihren letzten herrlichen Tagen gesehen hatte. Er wan-
delt hier wie ein gespenstischer Anherr in der wuͤsten Burg,
deren Pracht in seines Lebens Jugend ihm unverwuͤstbar
schien. Seine Augen hingen an den kahlen Mauern mit
einem bedeutenden Knopfnicken, als sey er da und dort
von einem alten Freunde geschieden, dessen Bild jetzt vor
ihm schwebe. Es waren die verschiedenen Denkmaͤler, die
da gestanden, und einen lebendigen Abdruck in seiner See-
le zuruͤckgelassen hatten. Der Mann war ein vollstaͤndi-
ges Regiester alles Dessen, was vormals diese weiten Ge-
woͤlbe enthielten. Bei jedem Schritte hielt er uns auf:
„Hier stand einer Koͤnigin Monument“ — bey jeder Gru-
be, in die er uns zu fallen warnte, mußten wir verwei-
len: „Hier ruhte ein Koͤnig oder Held.“ — Wir folgten
ihm, manche Stufe hinab, in einen Dunkeln unterirdi-
schen Gang. Zu beiden Seiten desselben ragten noch aus

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[4/0004] keinem Dache mehr geschuͤtzt, die dem Himmel zu sagen schienen: Wir beduͤrfen keiner Decke, um deinen Wettern zu trotzen — diese praͤchtigen, gleich Spitzen durchbroche- nen Waͤnde, die gestern fuͤr ein heutiges Fest erbaut schie- nen — diese gothischen Saͤulen, die seit zwoͤlf Jahrhun- derten die ausgespannten Gewoͤlbe so leicht tragen, wie der Aetna die Wolken — dazwischen an der Außenseite die verstuͤmmelten Zierrathen, die von den Vandalen ge- koͤpften Heiligenbilder — und endlich, beim Hineintre- ten, die oͤde Groͤße, die truͤmmerreiche Wuͤste, durch wel- che die nistenden Voͤgel flattern, und in der die Mehlfaͤs- ser aufgeschichtet stehen. — Sonderbarer Wechsel der Dinge! Hier wo sonst nur der Wurm an Koͤnigen schmaus'te, wird jetzt den Menschen Brod verwahrt. Ein alter Schweizer fand sich ein, der schon seit 40 Jahren seinen Dienst hier verwaltet, und die Abtey in ihren letzten herrlichen Tagen gesehen hatte. Er wan- delt hier wie ein gespenstischer Anherr in der wuͤsten Burg, deren Pracht in seines Lebens Jugend ihm unverwuͤstbar schien. Seine Augen hingen an den kahlen Mauern mit einem bedeutenden Knopfnicken, als sey er da und dort von einem alten Freunde geschieden, dessen Bild jetzt vor ihm schwebe. Es waren die verschiedenen Denkmaͤler, die da gestanden, und einen lebendigen Abdruck in seiner See- le zuruͤckgelassen hatten. Der Mann war ein vollstaͤndi- ges Regiester alles Dessen, was vormals diese weiten Ge- woͤlbe enthielten. Bei jedem Schritte hielt er uns auf: „Hier stand einer Koͤnigin Monument“ — bey jeder Gru- be, in die er uns zu fallen warnte, mußten wir verwei- len: „Hier ruhte ein Koͤnig oder Held.“ — Wir folgten ihm, manche Stufe hinab, in einen Dunkeln unterirdi- schen Gang. Zu beiden Seiten desselben ragten noch aus

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/4>, abgerufen am 23.11.2024.