Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804.der Mauer die steinernen Postamente hervor, auf welchen Hier in dieser Dunkelheit, wo nur ein fernes Licht, Sein und unser düsteres Schweigen ehrte den Platz "Aber wo blieben all' diese Leichen?" -- Auf Ro- der Mauer die steinernen Postamente hervor, auf welchen Hier in dieser Dunkelheit, wo nur ein fernes Licht, Sein und unser duͤsteres Schweigen ehrte den Platz „Aber wo blieben all' diese Leichen?“ — Auf Ro- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0005" n="5"/> der Mauer die steinernen Postamente hervor, auf welchen<lb/> einst die Saͤrge standen, und beengten dermaßen den<lb/> Gang, daß die schoͤne Lebendige an meinem Arm sich fe-<lb/> ster an mich draͤngen mußte, um dem Ruhesitze der Tod-<lb/> ten auszuweichen.</p><lb/> <p>Hier in dieser Dunkelheit, wo nur ein fernes Licht,<lb/> gleich einer bessern Zukunft, uns entgegen daͤmmerte,<lb/> schien des alten Mannes Stimme aus der Unterwelt her-<lb/> auf zu rufen: „Hier lag Ludwig XJV. und dort Tuͤ-<lb/> renne — hier lag Ludwig XJJJ., dort Bertrand du Gues-<lb/> clin“ — und als wir fast durch den schmalen Gang hin-<lb/> durch waren, in dem Hoheit und Ehrgeiz von dreißig Koͤ-<lb/> nigen Raum gefunden hatten, da blieb er mit gefalte-<lb/> nen Haͤnden und gesenktem Haupte stehen und sprach halb<lb/> in sich hinein: „Diese Bank trug den Sarg Heinrich des<lb/> Vierten!“</p><lb/> <p>Sein und unser duͤsteres Schweigen ehrte den Platz<lb/> und fuͤllte einige Minuten, in welchen Jeder mit seiner<lb/> Wehmuth fertig zu werden suchte. Der Alte unterbrach<lb/> die Stille, denn ihm lag noch auf dem Herzen uns zu<lb/> erzaͤhlen, daß er dabei gestanden, als man Heinrichs Sarg<lb/> oͤffnete; daß der Leichnam unversehrt in wohlbekannter<lb/> Gestalt da gelegen; daß die entschlossensten umherstehen-<lb/> den Boͤsewichter, selbst Roberspierre, bei diesem Anblicke<lb/> unwillkuͤhrlich von ehrfurchtsvollem Schauder ergriffen<lb/> worden; daß Dieser und Jener sich leise genaͤhert, und<lb/> verstohlen einige Haare aus Heinrichs Bart gezogen, die<lb/> sie seitdem als kostbare Reliquien in Ringen tragen.</p><lb/> <p>„Aber wo blieben all' diese Leichen?“ — Auf Ro-<lb/> bespierr's Befehl sollten sie, Tuͤrenne ausgenommen,<lb/> saͤmmtlich verbrannt werden. — „Und sind wirklich ver-<lb/> brannt worden?“ — Hier stockte der Alte. doch da er<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [5/0005]
der Mauer die steinernen Postamente hervor, auf welchen
einst die Saͤrge standen, und beengten dermaßen den
Gang, daß die schoͤne Lebendige an meinem Arm sich fe-
ster an mich draͤngen mußte, um dem Ruhesitze der Tod-
ten auszuweichen.
Hier in dieser Dunkelheit, wo nur ein fernes Licht,
gleich einer bessern Zukunft, uns entgegen daͤmmerte,
schien des alten Mannes Stimme aus der Unterwelt her-
auf zu rufen: „Hier lag Ludwig XJV. und dort Tuͤ-
renne — hier lag Ludwig XJJJ., dort Bertrand du Gues-
clin“ — und als wir fast durch den schmalen Gang hin-
durch waren, in dem Hoheit und Ehrgeiz von dreißig Koͤ-
nigen Raum gefunden hatten, da blieb er mit gefalte-
nen Haͤnden und gesenktem Haupte stehen und sprach halb
in sich hinein: „Diese Bank trug den Sarg Heinrich des
Vierten!“
Sein und unser duͤsteres Schweigen ehrte den Platz
und fuͤllte einige Minuten, in welchen Jeder mit seiner
Wehmuth fertig zu werden suchte. Der Alte unterbrach
die Stille, denn ihm lag noch auf dem Herzen uns zu
erzaͤhlen, daß er dabei gestanden, als man Heinrichs Sarg
oͤffnete; daß der Leichnam unversehrt in wohlbekannter
Gestalt da gelegen; daß die entschlossensten umherstehen-
den Boͤsewichter, selbst Roberspierre, bei diesem Anblicke
unwillkuͤhrlich von ehrfurchtsvollem Schauder ergriffen
worden; daß Dieser und Jener sich leise genaͤhert, und
verstohlen einige Haare aus Heinrichs Bart gezogen, die
sie seitdem als kostbare Reliquien in Ringen tragen.
„Aber wo blieben all' diese Leichen?“ — Auf Ro-
bespierr's Befehl sollten sie, Tuͤrenne ausgenommen,
saͤmmtlich verbrannt werden. — „Und sind wirklich ver-
brannt worden?“ — Hier stockte der Alte. doch da er
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