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Kotzebue, August von: Menschenhaß und Reue. Berlin, 1790.

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Unbek. Pfuy, das mag ich nicht. Auch hab'
ich selbst schon lange keine Thränen mehr.
Major. So gieb mir Worte statt Thränen;
beyde erleichtern das Herz.
Unbek. Das meinige ist gleich einem lange ver-
schlossenen Grabe. Laß faulen und verwesen, was
dort verscharrt wurde! Warum es öfnen und die
Luft umher verpesten?
Major. Lüften wollen wirs und reinigen, da-
mit das ganze Gebäude ein anderes Ansehen ge-
winne. -- Wie du aussiehst! Schäme dich! Ein
Mann von deinem Kopfe, von deinen Talenten;
ein Mann wie du, der immer die Weltweisheit
praktisch übte; und sich so unter dem Pantoffel des
Schicksals zu beugen! -- Bist du von Schurken
verfolgt und von Buben geneckt worden, so mag es
hingehn; hast du Jahre lang in Ketten gesessen, so
will ich dir verzeihen.
Unbek. Horst, du thust mir Unrecht. Zwar
glaubt' ich, es sey mir gleichgültig geworden, was
irgend ein Mensch in der Welt von mir denken mag;
aber ich fühle in diesem Augenblicke, es ist nicht
ganz so. Der Freund soll den abgeschiedenen Schat-
ten des Freundes nicht verlassen, ohne zu erfahren,
wie
Unbek. Pfuy, das mag ich nicht. Auch hab’
ich ſelbſt ſchon lange keine Thraͤnen mehr.
Major. So gieb mir Worte ſtatt Thraͤnen;
beyde erleichtern das Herz.
Unbek. Das meinige iſt gleich einem lange ver-
ſchloſſenen Grabe. Laß faulen und verweſen, was
dort verſcharrt wurde! Warum es oͤfnen und die
Luft umher verpeſten?
Major. Luͤften wollen wirs und reinigen, da-
mit das ganze Gebaͤude ein anderes Anſehen ge-
winne. — Wie du ausſiehſt! Schaͤme dich! Ein
Mann von deinem Kopfe, von deinen Talenten;
ein Mann wie du, der immer die Weltweisheit
praktiſch uͤbte; und ſich ſo unter dem Pantoffel des
Schickſals zu beugen! — Biſt du von Schurken
verfolgt und von Buben geneckt worden, ſo mag es
hingehn; haſt du Jahre lang in Ketten geſeſſen, ſo
will ich dir verzeihen.
Unbek. Horſt, du thuſt mir Unrecht. Zwar
glaubt’ ich, es ſey mir gleichguͤltig geworden, was
irgend ein Menſch in der Welt von mir denken mag;
aber ich fuͤhle in dieſem Augenblicke, es iſt nicht
ganz ſo. Der Freund ſoll den abgeſchiedenen Schat-
ten des Freundes nicht verlaſſen, ohne zu erfahren,
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[112/0120] Unbek. Pfuy, das mag ich nicht. Auch hab’ ich ſelbſt ſchon lange keine Thraͤnen mehr. Major. So gieb mir Worte ſtatt Thraͤnen; beyde erleichtern das Herz. Unbek. Das meinige iſt gleich einem lange ver- ſchloſſenen Grabe. Laß faulen und verweſen, was dort verſcharrt wurde! Warum es oͤfnen und die Luft umher verpeſten? Major. Luͤften wollen wirs und reinigen, da- mit das ganze Gebaͤude ein anderes Anſehen ge- winne. — Wie du ausſiehſt! Schaͤme dich! Ein Mann von deinem Kopfe, von deinen Talenten; ein Mann wie du, der immer die Weltweisheit praktiſch uͤbte; und ſich ſo unter dem Pantoffel des Schickſals zu beugen! — Biſt du von Schurken verfolgt und von Buben geneckt worden, ſo mag es hingehn; haſt du Jahre lang in Ketten geſeſſen, ſo will ich dir verzeihen. Unbek. Horſt, du thuſt mir Unrecht. Zwar glaubt’ ich, es ſey mir gleichguͤltig geworden, was irgend ein Menſch in der Welt von mir denken mag; aber ich fuͤhle in dieſem Augenblicke, es iſt nicht ganz ſo. Der Freund ſoll den abgeſchiedenen Schat- ten des Freundes nicht verlaſſen, ohne zu erfahren, wie

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Menschenhaß und Reue. Berlin, 1790, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_menschenhass_1790/120>, abgerufen am 26.11.2024.