Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kotzebue, August von: Menschenhaß und Reue. Berlin, 1790.

Bild:
<< vorherige Seite
wie die Hand des Schicksals ihn für jede Freude
des Lebens mordete. -- Wohlan! -- Ja, in ein
paar Worte läßt sich viel Unglück fassen. -- Bru-
der! ich verließ dich und die französischen Dienste;
von jenem Augenblicke an floh mich das Glück.
Mir winkte mein Vaterland. Was träumt' ich mir
nicht für süße Bilder, wie ich da leben und wirken
wollte, manchen alten Schlendrian verbessern, man-
che Thorheit, die sich in hundertjährigen Nebel hüllt,
zu Schanden machen. O wem seine Ruhe lieb ist,
der wage sie nicht an die Thorheiten der Menschen!
Ich wurde verfolgt, geneckt, für einen gefährlichen
Menschen ausgeschrieen. "Witz hat er", so sprach
man überall, "aber ein böses Herz". Das ärgerte
mich. Ich schwieg, tadelte nichts mehr, lobte
alles, buhlte um das Zutrauen der Menschen --
vergebens! Sie konnten mir's nie vergessen, daß ich
einst hatte klüger seyn wollen, als sie. Ich zog
mich in mich selbst zurück, war mir selbst genug,
und lebte einsam mitten in der Residenz. Man
hatte mich zum Obristlieutenant gemacht; denn
man wollte mein Vermögen gerne im Lande behal-
ten. Ich versah meinen Dienst mit Pünktlichkeit
und Eifer, ohne empor zu streben, ohne Auszeich-
H
wie die Hand des Schickſals ihn fuͤr jede Freude
des Lebens mordete. — Wohlan! — Ja, in ein
paar Worte laͤßt ſich viel Ungluͤck faſſen. — Bru-
der! ich verließ dich und die franzoͤſiſchen Dienſte;
von jenem Augenblicke an floh mich das Gluͤck.
Mir winkte mein Vaterland. Was traͤumt’ ich mir
nicht fuͤr ſuͤße Bilder, wie ich da leben und wirken
wollte, manchen alten Schlendrian verbeſſern, man-
che Thorheit, die ſich in hundertjaͤhrigen Nebel huͤllt,
zu Schanden machen. O wem ſeine Ruhe lieb iſt,
der wage ſie nicht an die Thorheiten der Menſchen!
Ich wurde verfolgt, geneckt, fuͤr einen gefaͤhrlichen
Menſchen ausgeſchrieen. „Witz hat er“, ſo ſprach
man uͤberall, „aber ein boͤſes Herz“. Das aͤrgerte
mich. Ich ſchwieg, tadelte nichts mehr, lobte
alles, buhlte um das Zutrauen der Menſchen —
vergebens! Sie konnten mir’s nie vergeſſen, daß ich
einſt hatte kluͤger ſeyn wollen, als ſie. Ich zog
mich in mich ſelbſt zuruͤck, war mir ſelbſt genug,
und lebte einſam mitten in der Reſidenz. Man
hatte mich zum Obriſtlieutenant gemacht; denn
man wollte mein Vermoͤgen gerne im Lande behal-
ten. Ich verſah meinen Dienſt mit Puͤnktlichkeit
und Eifer, ohne empor zu ſtreben, ohne Auszeich-
H
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <sp who="#UNBE">
              <p><pb facs="#f0121" n="113"/>
wie die Hand des Schick&#x017F;als ihn fu&#x0364;r jede Freude<lb/>
des Lebens mordete. &#x2014; Wohlan! &#x2014; Ja, in ein<lb/>
paar Worte la&#x0364;ßt &#x017F;ich viel Unglu&#x0364;ck fa&#x017F;&#x017F;en. &#x2014; Bru-<lb/>
der! ich verließ dich und die franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Dien&#x017F;te;<lb/>
von jenem Augenblicke an floh mich das Glu&#x0364;ck.<lb/>
Mir winkte mein Vaterland. Was tra&#x0364;umt&#x2019; ich mir<lb/>
nicht fu&#x0364;r &#x017F;u&#x0364;ße Bilder, wie ich da leben und wirken<lb/>
wollte, manchen alten Schlendrian verbe&#x017F;&#x017F;ern, man-<lb/>
che Thorheit, die &#x017F;ich in hundertja&#x0364;hrigen Nebel hu&#x0364;llt,<lb/>
zu Schanden machen. O wem &#x017F;eine Ruhe lieb i&#x017F;t,<lb/>
der wage &#x017F;ie nicht an die Thorheiten der Men&#x017F;chen!<lb/>
Ich wurde verfolgt, geneckt, fu&#x0364;r einen gefa&#x0364;hrlichen<lb/>
Men&#x017F;chen ausge&#x017F;chrieen. &#x201E;Witz hat er&#x201C;, &#x017F;o &#x017F;prach<lb/>
man u&#x0364;berall, &#x201E;aber ein bo&#x0364;&#x017F;es Herz&#x201C;. Das a&#x0364;rgerte<lb/>
mich. Ich &#x017F;chwieg, tadelte nichts mehr, lobte<lb/>
alles, buhlte um das Zutrauen der Men&#x017F;chen &#x2014;<lb/>
vergebens! Sie konnten mir&#x2019;s nie verge&#x017F;&#x017F;en, daß ich<lb/>
ein&#x017F;t hatte klu&#x0364;ger &#x017F;eyn wollen, als &#x017F;ie. Ich zog<lb/>
mich in mich &#x017F;elb&#x017F;t zuru&#x0364;ck, war mir &#x017F;elb&#x017F;t genug,<lb/>
und lebte ein&#x017F;am mitten in der Re&#x017F;idenz. Man<lb/>
hatte mich zum Obri&#x017F;tlieutenant gemacht; denn<lb/>
man wollte mein Vermo&#x0364;gen gerne im Lande behal-<lb/>
ten. Ich ver&#x017F;ah meinen Dien&#x017F;t mit Pu&#x0364;nktlichkeit<lb/>
und Eifer, ohne empor zu &#x017F;treben, ohne Auszeich-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H</fw><lb/></p>
            </sp>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0121] wie die Hand des Schickſals ihn fuͤr jede Freude des Lebens mordete. — Wohlan! — Ja, in ein paar Worte laͤßt ſich viel Ungluͤck faſſen. — Bru- der! ich verließ dich und die franzoͤſiſchen Dienſte; von jenem Augenblicke an floh mich das Gluͤck. Mir winkte mein Vaterland. Was traͤumt’ ich mir nicht fuͤr ſuͤße Bilder, wie ich da leben und wirken wollte, manchen alten Schlendrian verbeſſern, man- che Thorheit, die ſich in hundertjaͤhrigen Nebel huͤllt, zu Schanden machen. O wem ſeine Ruhe lieb iſt, der wage ſie nicht an die Thorheiten der Menſchen! Ich wurde verfolgt, geneckt, fuͤr einen gefaͤhrlichen Menſchen ausgeſchrieen. „Witz hat er“, ſo ſprach man uͤberall, „aber ein boͤſes Herz“. Das aͤrgerte mich. Ich ſchwieg, tadelte nichts mehr, lobte alles, buhlte um das Zutrauen der Menſchen — vergebens! Sie konnten mir’s nie vergeſſen, daß ich einſt hatte kluͤger ſeyn wollen, als ſie. Ich zog mich in mich ſelbſt zuruͤck, war mir ſelbſt genug, und lebte einſam mitten in der Reſidenz. Man hatte mich zum Obriſtlieutenant gemacht; denn man wollte mein Vermoͤgen gerne im Lande behal- ten. Ich verſah meinen Dienſt mit Puͤnktlichkeit und Eifer, ohne empor zu ſtreben, ohne Auszeich- H

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_menschenhass_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_menschenhass_1790/121
Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Menschenhaß und Reue. Berlin, 1790, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_menschenhass_1790/121>, abgerufen am 26.11.2024.