Kotzebue, August von: Menschenhaß und Reue. Berlin, 1790. Unbek. Schweig! ich will ihm nichts geben. (hämisch) Du intressierst dich ja recht warm für ihn? Willst du vielleicht mit ihm theilen? Franz. Pfuy! Das kam nicht aus ihrem Herzen. Unbek. (sich besinnend, reicht ihm die Hand) Ver- gieb mir! Franz. (küßt sie) Armer Herr! wie muß Ih- nen mitgespielt worden seyn, ehe es der Welt ge- lang, diesen fürchterlichen Menschenhaß, diese schauerlichen Zweifel an Tugend und Redlichkeit in ihr Herz zu pflanzen. Unbek. Du hast's errathen. Laß mich zufrieden. (Er wirft sich auf eine Bank, zieht einen Theil von Zimmer- manns Buche über die Einsamkeit aus der Tasche und liest) Franz. (für sich, ihn betrachtend) Nun wieder gelesen. So geht es den ganzen Tag. Für ihn hat die schöne Natur keine Freude und das Leben keinen Reiz. Ich hab ihn in drey Jahren nicht ein einziges mahl lachen sehen. Was soll daraus werden? ein Selbstmörder! -- Wenn er sich doch nur an irgend ein lebendes Wesen in der Welt ket- tete, und wär' es auch nur ein Hund, ein Cana- rienvogel! Denn etwas muß der Mensch doch lie- Unbek. Schweig! ich will ihm nichts geben. (hämiſch) Du intreſſierſt dich ja recht warm fuͤr ihn? Willſt du vielleicht mit ihm theilen? Franz. Pfuy! Das kam nicht aus ihrem Herzen. Unbek. (ſich beſinnend, reicht ihm die Hand) Ver- gieb mir! Franz. (küßt ſie) Armer Herr! wie muß Ih- nen mitgeſpielt worden ſeyn, ehe es der Welt ge- lang, dieſen fuͤrchterlichen Menſchenhaß, dieſe ſchauerlichen Zweifel an Tugend und Redlichkeit in ihr Herz zu pflanzen. Unbek. Du haſt’s errathen. Laß mich zufrieden. (Er wirft ſich auf eine Bank, zieht einen Theil von Zimmer- manns Buche über die Einſamkeit aus der Taſche und lieſt) Franz. (für ſich, ihn betrachtend) Nun wieder geleſen. So geht es den ganzen Tag. Fuͤr ihn hat die ſchoͤne Natur keine Freude und das Leben keinen Reiz. Ich hab ihn in drey Jahren nicht ein einziges mahl lachen ſehen. Was ſoll daraus werden? ein Selbſtmoͤrder! — Wenn er ſich doch nur an irgend ein lebendes Weſen in der Welt ket- tete, und waͤr’ es auch nur ein Hund, ein Cana- rienvogel! Denn etwas muß der Menſch doch lie- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0023" n="15"/> <sp who="#UNBE"> <speaker> <hi rendition="#fr">Unbek.</hi> </speaker> <p>Schweig! ich <hi rendition="#g">will</hi> ihm nichts geben.</p><lb/> <stage>(hämiſch)</stage> <p>Du intreſſierſt dich ja recht warm fuͤr<lb/> ihn? Willſt du vielleicht mit ihm theilen?</p> </sp><lb/> <sp who="#FRA"> <speaker> <hi rendition="#fr">Franz.</hi> </speaker> <p>Pfuy! Das kam nicht aus ihrem<lb/> Herzen.</p> </sp><lb/> <sp who="#UNBE"> <speaker> <hi rendition="#fr">Unbek.</hi> </speaker> <stage>(ſich beſinnend, reicht ihm die Hand)</stage> <p>Ver-<lb/> gieb mir!</p> </sp><lb/> <sp who="#FRA"> <speaker> <hi rendition="#fr">Franz.</hi> </speaker> <stage>(küßt ſie)</stage> <p>Armer Herr! wie muß Ih-<lb/> nen mitgeſpielt worden ſeyn, ehe es der Welt ge-<lb/> lang, dieſen fuͤrchterlichen Menſchenhaß, dieſe<lb/> ſchauerlichen Zweifel an Tugend und Redlichkeit<lb/> in ihr Herz zu pflanzen.</p> </sp><lb/> <sp who="#UNBE"> <speaker> <hi rendition="#fr">Unbek.</hi> </speaker> <p>Du haſt’s errathen. Laß mich zufrieden.</p><lb/> <stage>(Er wirft ſich auf eine Bank, zieht einen Theil von Zimmer-<lb/> manns Buche über die Einſamkeit aus der Taſche und lieſt)</stage> </sp><lb/> <sp who="#FRA"> <speaker> <hi rendition="#fr">Franz.</hi> </speaker> <stage>(für ſich, ihn betrachtend)</stage> <p>Nun wieder<lb/> geleſen. So geht es den ganzen Tag. Fuͤr ihn<lb/> hat die ſchoͤne Natur keine Freude und das Leben<lb/> keinen Reiz. Ich hab ihn in drey Jahren nicht<lb/> ein einziges mahl lachen ſehen. Was ſoll daraus<lb/> werden? ein Selbſtmoͤrder! — Wenn er ſich doch<lb/> nur an irgend ein lebendes Weſen in der Welt ket-<lb/> tete, und waͤr’ es auch nur ein Hund, ein Cana-<lb/> rienvogel! Denn etwas muß der Menſch doch lie-<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [15/0023]
Unbek. Schweig! ich will ihm nichts geben.
(hämiſch) Du intreſſierſt dich ja recht warm fuͤr
ihn? Willſt du vielleicht mit ihm theilen?
Franz. Pfuy! Das kam nicht aus ihrem
Herzen.
Unbek. (ſich beſinnend, reicht ihm die Hand) Ver-
gieb mir!
Franz. (küßt ſie) Armer Herr! wie muß Ih-
nen mitgeſpielt worden ſeyn, ehe es der Welt ge-
lang, dieſen fuͤrchterlichen Menſchenhaß, dieſe
ſchauerlichen Zweifel an Tugend und Redlichkeit
in ihr Herz zu pflanzen.
Unbek. Du haſt’s errathen. Laß mich zufrieden.
(Er wirft ſich auf eine Bank, zieht einen Theil von Zimmer-
manns Buche über die Einſamkeit aus der Taſche und lieſt)
Franz. (für ſich, ihn betrachtend) Nun wieder
geleſen. So geht es den ganzen Tag. Fuͤr ihn
hat die ſchoͤne Natur keine Freude und das Leben
keinen Reiz. Ich hab ihn in drey Jahren nicht
ein einziges mahl lachen ſehen. Was ſoll daraus
werden? ein Selbſtmoͤrder! — Wenn er ſich doch
nur an irgend ein lebendes Weſen in der Welt ket-
tete, und waͤr’ es auch nur ein Hund, ein Cana-
rienvogel! Denn etwas muß der Menſch doch lie-
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Zitationshilfe: | Kotzebue, August von: Menschenhaß und Reue. Berlin, 1790, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_menschenhass_1790/23>, abgerufen am 16.07.2024. |