Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Krane, Friedrich von: Die Dressur des Reitpferdes (Campagne- und Gebrauchs-Pferdes). Münster, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Abschnitt. Sechstes Kapitel.
Rennpferdes an das Gebiss, wodurch der Reiter ihm gleichsam in
seiner Hand ein fünftes Bein giebt.

Beim Seitengang wird ein Kreuzen der Beine gleichfalls
stattfinden. Es werden indess die stehenden Beine so lange aus-
harren können, bis der Schwerpunkt noch nicht über sie hinweg-
ging, und bis die nach vorwärts übertretenden Beine zur Erde
kommen. Ist dies nicht der Fall, so entsteht jene fallende Bewe-
gung, die falsch und den Beinen schädlich ist.

Der Rumpf des Pferdes, welcher zwischen den Stützen liegt,
ist es aber nicht allein, der den Schwerpunkt bestimmen wird.
Hals und Kopf, welche vor die Vorderbeine fallen, und Kruppe
und Schweif
, welche hinter den Punkt fallen, wo die Kruppe
auf dem Becken liegt, sind mit in Betracht zu ziehen. Was die
Belastung der Beine betrifft, so wird diese im Zustande der
Ruhe
ziemlich gleichmässig sein. Denn obschon das Vorderge-
wicht
-- Kopf und Hals -- vom Hintergewicht -- Kruppe
und Schweif -- viel überragt wird, so ist die grosse Schwere,
welche die fleischige Muskulatur der Hinterbacken be-
sitzt, den letztern hinzuzurechnen. Dies ändert sich im Gange,
indem dieses Mehrgewicht dann mit den Beinen mit jedem Tritte
verlegt wird und auf den Schwerpunkt des Rumpfes keinen Ein-
fluss hat. Anders ist es mit Kopf und Hals. Sie werden nicht
nur nach ihrer absoluten Schwere, der Proportion ihrer Theile,
der Art, wie der Hals mit dem Rumpfe verbunden, und wie sie
getragen werden, wesentlich auf die Belastung der Vorhand, son-
dern auch in doppelter Beziehung auf Verlegung des Schwerpunktes
einwirken; einmal durch die wechselnde Lage ihres Gewichts, und
dann als Leiter des Druckes des Gebisses.

Die Kruppe hat durch willkürliche Veränderung ihrer Lage
keinen Einfluss auf den Schwerpunkt, es wird indess bei wachsen-
der Länge derselben sich ihr absolutes Gewicht vermehren und so
ein Gegengewicht des vorragenden Halses bilden. Ein neuer Vor-
theil der langen Kruppe.

Die Bewegung des Schweifes wird auf die Veränderung
des Schwerpunktes nur höchstens in den kritischen Momenten von
schwierigen Balancen und kurzen Wendungen influiren. Ich möchte
aber doch glauben, dass dann, wo oft schon ein Atom den Ausschlag
giebt, seine Bewegung nicht ganz wirkungslos ist. Wissen wir doch,

I. Abschnitt. Sechstes Kapitel.
Rennpferdes an das Gebiss, wodurch der Reiter ihm gleichsam in
seiner Hand ein fünftes Bein giebt.

Beim Seitengang wird ein Kreuzen der Beine gleichfalls
stattfinden. Es werden indess die stehenden Beine so lange aus-
harren können, bis der Schwerpunkt noch nicht über sie hinweg-
ging, und bis die nach vorwärts übertretenden Beine zur Erde
kommen. Ist dies nicht der Fall, so entsteht jene fallende Bewe-
gung, die falsch und den Beinen schädlich ist.

Der Rumpf des Pferdes, welcher zwischen den Stützen liegt,
ist es aber nicht allein, der den Schwerpunkt bestimmen wird.
Hals und Kopf, welche vor die Vorderbeine fallen, und Kruppe
und Schweif
, welche hinter den Punkt fallen, wo die Kruppe
auf dem Becken liegt, sind mit in Betracht zu ziehen. Was die
Belastung der Beine betrifft, so wird diese im Zustande der
Ruhe
ziemlich gleichmässig sein. Denn obschon das Vorderge-
wicht
— Kopf und Hals — vom Hintergewicht — Kruppe
und Schweif — viel überragt wird, so ist die grosse Schwere,
welche die fleischige Muskulatur der Hinterbacken be-
sitzt, den letztern hinzuzurechnen. Dies ändert sich im Gange,
indem dieses Mehrgewicht dann mit den Beinen mit jedem Tritte
verlegt wird und auf den Schwerpunkt des Rumpfes keinen Ein-
fluss hat. Anders ist es mit Kopf und Hals. Sie werden nicht
nur nach ihrer absoluten Schwere, der Proportion ihrer Theile,
der Art, wie der Hals mit dem Rumpfe verbunden, und wie sie
getragen werden, wesentlich auf die Belastung der Vorhand, son-
dern auch in doppelter Beziehung auf Verlegung des Schwerpunktes
einwirken; einmal durch die wechselnde Lage ihres Gewichts, und
dann als Leiter des Druckes des Gebisses.

Die Kruppe hat durch willkürliche Veränderung ihrer Lage
keinen Einfluss auf den Schwerpunkt, es wird indess bei wachsen-
der Länge derselben sich ihr absolutes Gewicht vermehren und so
ein Gegengewicht des vorragenden Halses bilden. Ein neuer Vor-
theil der langen Kruppe.

Die Bewegung des Schweifes wird auf die Veränderung
des Schwerpunktes nur höchstens in den kritischen Momenten von
schwierigen Balancen und kurzen Wendungen influiren. Ich möchte
aber doch glauben, dass dann, wo oft schon ein Atom den Ausschlag
giebt, seine Bewegung nicht ganz wirkungslos ist. Wissen wir doch,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0090" n="68"/><fw place="top" type="header">I. Abschnitt. Sechstes Kapitel.</fw><lb/>
Rennpferdes an das Gebiss, wodurch der Reiter ihm gleichsam in<lb/>
seiner Hand ein fünftes Bein giebt.</p><lb/>
            <p>Beim Seitengang wird ein <hi rendition="#g">Kreuzen der Beine</hi> gleichfalls<lb/>
stattfinden. Es werden indess die stehenden Beine so lange aus-<lb/>
harren können, bis der Schwerpunkt noch nicht über sie hinweg-<lb/>
ging, und bis die nach vorwärts übertretenden Beine zur Erde<lb/>
kommen. Ist dies nicht der Fall, so entsteht jene fallende Bewe-<lb/>
gung, die falsch und den Beinen schädlich ist.</p><lb/>
            <p>Der <hi rendition="#g">Rumpf</hi> des Pferdes, welcher zwischen den Stützen liegt,<lb/>
ist es aber nicht allein, der den Schwerpunkt bestimmen wird.<lb/><hi rendition="#g">Hals und Kopf</hi>, welche vor die Vorderbeine fallen, und <hi rendition="#g">Kruppe<lb/>
und Schweif</hi>, welche hinter den Punkt fallen, wo die Kruppe<lb/>
auf dem Becken liegt, sind mit in Betracht zu ziehen. Was die<lb/>
Belastung der Beine betrifft, so wird diese im <hi rendition="#g">Zustande der<lb/>
Ruhe</hi> ziemlich gleichmässig sein. Denn obschon das <hi rendition="#g">Vorderge-<lb/>
wicht</hi> &#x2014; Kopf und Hals &#x2014; vom <hi rendition="#g">Hintergewicht</hi> &#x2014; Kruppe<lb/>
und Schweif &#x2014; viel überragt wird, so ist die grosse Schwere,<lb/>
welche <hi rendition="#g">die fleischige Muskulatur der Hinterbacken</hi> be-<lb/>
sitzt, den letztern hinzuzurechnen. Dies ändert sich im <hi rendition="#g">Gange</hi>,<lb/>
indem dieses Mehrgewicht dann mit den Beinen mit jedem Tritte<lb/>
verlegt wird und auf den Schwerpunkt des Rumpfes keinen Ein-<lb/>
fluss hat. Anders ist es mit <hi rendition="#g">Kopf</hi> und <hi rendition="#g">Hals</hi>. Sie werden nicht<lb/>
nur nach ihrer absoluten Schwere, der Proportion ihrer Theile,<lb/>
der Art, wie der Hals mit dem Rumpfe verbunden, und wie sie<lb/>
getragen werden, wesentlich auf die Belastung der Vorhand, son-<lb/>
dern auch in doppelter Beziehung auf Verlegung des Schwerpunktes<lb/>
einwirken; einmal durch die wechselnde Lage ihres Gewichts, und<lb/>
dann als Leiter des Druckes des Gebisses.</p><lb/>
            <p>Die <hi rendition="#g">Kruppe</hi> hat durch willkürliche Veränderung ihrer Lage<lb/>
keinen Einfluss auf den Schwerpunkt, es wird indess bei wachsen-<lb/>
der Länge derselben sich ihr absolutes Gewicht vermehren und so<lb/>
ein Gegengewicht des vorragenden Halses bilden. Ein neuer Vor-<lb/>
theil der langen Kruppe.</p><lb/>
            <p>Die Bewegung des <hi rendition="#g">Schweifes</hi> wird auf die Veränderung<lb/>
des Schwerpunktes nur höchstens in den kritischen Momenten von<lb/>
schwierigen Balancen und kurzen Wendungen influiren. Ich möchte<lb/>
aber doch glauben, dass dann, wo oft schon ein Atom den Ausschlag<lb/>
giebt, seine Bewegung nicht ganz wirkungslos ist. Wissen wir doch,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0090] I. Abschnitt. Sechstes Kapitel. Rennpferdes an das Gebiss, wodurch der Reiter ihm gleichsam in seiner Hand ein fünftes Bein giebt. Beim Seitengang wird ein Kreuzen der Beine gleichfalls stattfinden. Es werden indess die stehenden Beine so lange aus- harren können, bis der Schwerpunkt noch nicht über sie hinweg- ging, und bis die nach vorwärts übertretenden Beine zur Erde kommen. Ist dies nicht der Fall, so entsteht jene fallende Bewe- gung, die falsch und den Beinen schädlich ist. Der Rumpf des Pferdes, welcher zwischen den Stützen liegt, ist es aber nicht allein, der den Schwerpunkt bestimmen wird. Hals und Kopf, welche vor die Vorderbeine fallen, und Kruppe und Schweif, welche hinter den Punkt fallen, wo die Kruppe auf dem Becken liegt, sind mit in Betracht zu ziehen. Was die Belastung der Beine betrifft, so wird diese im Zustande der Ruhe ziemlich gleichmässig sein. Denn obschon das Vorderge- wicht — Kopf und Hals — vom Hintergewicht — Kruppe und Schweif — viel überragt wird, so ist die grosse Schwere, welche die fleischige Muskulatur der Hinterbacken be- sitzt, den letztern hinzuzurechnen. Dies ändert sich im Gange, indem dieses Mehrgewicht dann mit den Beinen mit jedem Tritte verlegt wird und auf den Schwerpunkt des Rumpfes keinen Ein- fluss hat. Anders ist es mit Kopf und Hals. Sie werden nicht nur nach ihrer absoluten Schwere, der Proportion ihrer Theile, der Art, wie der Hals mit dem Rumpfe verbunden, und wie sie getragen werden, wesentlich auf die Belastung der Vorhand, son- dern auch in doppelter Beziehung auf Verlegung des Schwerpunktes einwirken; einmal durch die wechselnde Lage ihres Gewichts, und dann als Leiter des Druckes des Gebisses. Die Kruppe hat durch willkürliche Veränderung ihrer Lage keinen Einfluss auf den Schwerpunkt, es wird indess bei wachsen- der Länge derselben sich ihr absolutes Gewicht vermehren und so ein Gegengewicht des vorragenden Halses bilden. Ein neuer Vor- theil der langen Kruppe. Die Bewegung des Schweifes wird auf die Veränderung des Schwerpunktes nur höchstens in den kritischen Momenten von schwierigen Balancen und kurzen Wendungen influiren. Ich möchte aber doch glauben, dass dann, wo oft schon ein Atom den Ausschlag giebt, seine Bewegung nicht ganz wirkungslos ist. Wissen wir doch,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/krane_reitpferd_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/krane_reitpferd_1856/90
Zitationshilfe: Krane, Friedrich von: Die Dressur des Reitpferdes (Campagne- und Gebrauchs-Pferdes). Münster, 1856, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krane_reitpferd_1856/90>, abgerufen am 26.11.2024.