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Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884).

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Nach diesen Phrasen voll kühler, gelehrter Reflexion bittet
Bartja die Geliebte mit flüsternder Stimme zu singen.
"Du hast recht. Gib mir mein Saitenspiel! Jch danke dir. --
Laß mich mein Haupt an deinen Busen legen und dir ein stilles
Friedensliedlein singen. Alkman (siehe Anmerkung 6), der Lyder,
der zu Sparta weilte, hat es erdacht, die stille Nacht zu preisen.
Jetzt lausche mir, denn dieses sanfte Schlummerlied muß leise,
leise von den Lippen wehen. -- Küß mich nicht mehr, nein, bitte,
küß mich nicht, bevor ich fertig bin; dann aber fordr' ich selbst
den Kuß zum Dank." Nun folgen einige Verse vom schlafenden
Berggipfel, von den schlafenden Seeklippen, Schluchten, Blättern,
vom schlafenden Wurm, von den Thieren in den Bergen, von
der Biene, den Meerungeheuern und den Vögeln. Die Verse
lassen den Leser ganz kühl, gleichwohl soll er es glaublich finden,
daß Sappho, mit einem Versuche leidenschaftlich zu werden, in
die Worte ausbricht:

"Nun, Geliebter, mein Kuß?"

"Jch hatte vor Lauschen das Küssen vergessen, wie ich vorhin
vor Küssen das Lauschen vergaß."

"Du Böser! Jst mein Liedchen nicht schön?"

"Schön wie alles, was du singst."

Dann kommt Sappho auf die Vielweiberei der Perser zu
reden, wobei sie sich sehr tolerant erweist. Wenn die heimath-
liche Sitte von Bartja die Ehe mit mehreren Weibern verlangt,
gut. "Aber erst laß mich nur zwei, nur drei Jahre lang dich
ganz allein besitzen." Später will sie seine erste Sklavin werden.
Bartja beruhigt die Geliebte: "Jn meiner Heimath ist es zwar
der Brauch, daß jeder Mann viele Weiber heimführt, aber dieß
wird nur gestattet, keineswegs durch ein Gesetz befohlen." Dann
ist noch von diesem und jenem die Rede, immer in Jamben, und
es sind theilweise lange Reden, bis es endlich heißt: "Noch einen
Kuß!" "Leb wohl!" --

Und das soll bei ihr "heißes äolisches Blut sein!!"
Daß Ebers außer Stande ist, wirkliches, glühendes Leben, das,
was der Magus des Nordens "Leidenschaft" nennt, zu
schaffen, liegt nach jener redseligen, mit der gesunden That-

Nach dieſen Phraſen voll kühler, gelehrter Reflexion bittet
Bartja die Geliebte mit flüſternder Stimme zu ſingen.
„Du haſt recht. Gib mir mein Saitenſpiel! Jch danke dir. —
Laß mich mein Haupt an deinen Buſen legen und dir ein ſtilles
Friedensliedlein ſingen. Alkman (ſiehe Anmerkung 6), der Lyder,
der zu Sparta weilte, hat es erdacht, die ſtille Nacht zu preiſen.
Jetzt lauſche mir, denn dieſes ſanfte Schlummerlied muß leiſe,
leiſe von den Lippen wehen. — Küß mich nicht mehr, nein, bitte,
küß mich nicht, bevor ich fertig bin; dann aber fordr’ ich ſelbſt
den Kuß zum Dank.‟ Nun folgen einige Verſe vom ſchlafenden
Berggipfel, von den ſchlafenden Seeklippen, Schluchten, Blättern,
vom ſchlafenden Wurm, von den Thieren in den Bergen, von
der Biene, den Meerungeheuern und den Vögeln. Die Verſe
laſſen den Leſer ganz kühl, gleichwohl ſoll er es glaublich finden,
daß Sappho, mit einem Verſuche leidenſchaftlich zu werden, in
die Worte ausbricht:

„Nun, Geliebter, mein Kuß?‟

„Jch hatte vor Lauſchen das Küſſen vergeſſen, wie ich vorhin
vor Küſſen das Lauſchen vergaß.‟

„Du Böſer! Jſt mein Liedchen nicht ſchön?‟

„Schön wie alles, was du ſingſt.‟

Dann kommt Sappho auf die Vielweiberei der Perſer zu
reden, wobei ſie ſich ſehr tolerant erweiſt. Wenn die heimath-
liche Sitte von Bartja die Ehe mit mehreren Weibern verlangt,
gut. „Aber erſt laß mich nur zwei, nur drei Jahre lang dich
ganz allein beſitzen.‟ Später will ſie ſeine erſte Sklavin werden.
Bartja beruhigt die Geliebte: „Jn meiner Heimath iſt es zwar
der Brauch, daß jeder Mann viele Weiber heimführt, aber dieß
wird nur geſtattet, keineswegs durch ein Geſetz befohlen.‟ Dann
iſt noch von dieſem und jenem die Rede, immer in Jamben, und
es ſind theilweiſe lange Reden, bis es endlich heißt: „Noch einen
Kuß!‟ „Leb wohl!‟ —

Und das ſoll bei ihr „heißes äoliſches Blut ſein!!‟
Daß Ebers außer Stande iſt, wirkliches, glühendes Leben, das,
was der Magus des Nordens „Leidenſchaft‟ nennt, zu
ſchaffen, liegt nach jener redſeligen, mit der geſunden That-

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[10 202/0010] Nach dieſen Phraſen voll kühler, gelehrter Reflexion bittet Bartja die Geliebte mit flüſternder Stimme zu ſingen. „Du haſt recht. Gib mir mein Saitenſpiel! Jch danke dir. — Laß mich mein Haupt an deinen Buſen legen und dir ein ſtilles Friedensliedlein ſingen. Alkman (ſiehe Anmerkung 6), der Lyder, der zu Sparta weilte, hat es erdacht, die ſtille Nacht zu preiſen. Jetzt lauſche mir, denn dieſes ſanfte Schlummerlied muß leiſe, leiſe von den Lippen wehen. — Küß mich nicht mehr, nein, bitte, küß mich nicht, bevor ich fertig bin; dann aber fordr’ ich ſelbſt den Kuß zum Dank.‟ Nun folgen einige Verſe vom ſchlafenden Berggipfel, von den ſchlafenden Seeklippen, Schluchten, Blättern, vom ſchlafenden Wurm, von den Thieren in den Bergen, von der Biene, den Meerungeheuern und den Vögeln. Die Verſe laſſen den Leſer ganz kühl, gleichwohl ſoll er es glaublich finden, daß Sappho, mit einem Verſuche leidenſchaftlich zu werden, in die Worte ausbricht: „Nun, Geliebter, mein Kuß?‟ „Jch hatte vor Lauſchen das Küſſen vergeſſen, wie ich vorhin vor Küſſen das Lauſchen vergaß.‟ „Du Böſer! Jſt mein Liedchen nicht ſchön?‟ „Schön wie alles, was du ſingſt.‟ Dann kommt Sappho auf die Vielweiberei der Perſer zu reden, wobei ſie ſich ſehr tolerant erweiſt. Wenn die heimath- liche Sitte von Bartja die Ehe mit mehreren Weibern verlangt, gut. „Aber erſt laß mich nur zwei, nur drei Jahre lang dich ganz allein beſitzen.‟ Später will ſie ſeine erſte Sklavin werden. Bartja beruhigt die Geliebte: „Jn meiner Heimath iſt es zwar der Brauch, daß jeder Mann viele Weiber heimführt, aber dieß wird nur geſtattet, keineswegs durch ein Geſetz befohlen.‟ Dann iſt noch von dieſem und jenem die Rede, immer in Jamben, und es ſind theilweiſe lange Reden, bis es endlich heißt: „Noch einen Kuß!‟ „Leb wohl!‟ — Und das ſoll bei ihr „heißes äoliſches Blut ſein!!‟ Daß Ebers außer Stande iſt, wirkliches, glühendes Leben, das, was der Magus des Nordens „Leidenſchaft‟ nennt, zu ſchaffen, liegt nach jener redſeligen, mit der geſunden That-

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Zitationshilfe: Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884), S. 10 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraus_professorenroman_1884/10>, abgerufen am 27.04.2024.