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Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884).

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"man konnte es auch an den krampfhaft zusammengezogenen
Zehen erkennen." Es scheint sich hier um eine altegyptische
Eigenthümlichkeit zu handeln, die allen Ständen gemeinsam war,
denn von der üppigen Königin Kleopatra in den "Schwestern"
heißt es: "Sie wählte die liegende Stellung ganz besonders
um ihrer Füße willen; besaß doch kein Weib in Egypten und
Griechenland kleinere und edler gebaute als sie. Darum waren
auch ihre Sandalen so geschnitten, daß sie, wenn sie stand oder
ging, nur die Sohlen schützten, die zierlichen weißen Zehen mit
den rosigen Nägeln und weiß schimmernden Halbmonden aber
völlig unbedeckt ließen. Beim Gastmahle legte sie wie die
Männer die Schuhe (Sandalen!) völlig ab, um ihre Füße zu-
nächst zu verbergen und erst wieder zu zeigen, wenn sie glaubte,
daß die Eindrücke, welche die Sandalenriemen in ihrer zarten
Haut zurückließen, völlig verschwunden waren. Der Eunuch
Euläus war der höchste Bewunderer dieser Füße, nicht, wie er
vorgab, um ihrer Schönheit willen, sondern weil das Spiel der
Zehen der Königin ihm gerade dann zeigte, was in ihr vorging,
wenn er aus ihrem in der Kunst der Verstellung wohlgeübten
Mund und Auge nichts, was ihre Seele erregte, zu erkennen
vermochte." Also die Mienen ihres Gesichts, den Ausdruck der
Augen hatte Kleopatra ganz in ihrer Gewalt, aber das Zehen-
spiel
-- als ob da eine ganze Skala von Bewegungen möglich
wäre -- verrieth, ob sie gnädig oder ungnädig, erregt oder
theilnahmlos, erfreut oder entsetzt war." -- Das zehnte Capitel des
Romans ist ein wissenschaftliches Capitel. Die beiden Brüder
und Könige Philometor und Euergetes unterhalten sich
ganz wie moderne Kronprinzen über die in Griechenland zer-
streuten Handschriften älterer Dichter- und Gelehrtenwerke. Euer-
getes behauptet von einer gewissen Stelle im Homer, daß statt
[fremdsprachliches Material - 1 Wort fehlt] -- [fremdsprachliches Material - 1 Wort fehlt] gelesen werden müsse, wozu einer Namens Aristarch
bemerkt: "Wer wie König Euergetes im Homer eine einzige
richtige Silbe an die Stelle einer falschen setzt, der hat den
Folgegeschlechtern, sollt ich meinen, einen Dienst und zwar einen
großen Dienst geleistet." Später sagt der für jede deutsche Uni-
versität sich eignende Aristarch: "Wo Neues in unserm Kreise

„man konnte es auch an den krampfhaft zuſammengezogenen
Zehen erkennen.‟ Es ſcheint ſich hier um eine altegyptiſche
Eigenthümlichkeit zu handeln, die allen Ständen gemeinſam war,
denn von der üppigen Königin Kleopatra in den „Schweſtern‟
heißt es: „Sie wählte die liegende Stellung ganz beſonders
um ihrer Füße willen; beſaß doch kein Weib in Egypten und
Griechenland kleinere und edler gebaute als ſie. Darum waren
auch ihre Sandalen ſo geſchnitten, daß ſie, wenn ſie ſtand oder
ging, nur die Sohlen ſchützten, die zierlichen weißen Zehen mit
den roſigen Nägeln und weiß ſchimmernden Halbmonden aber
völlig unbedeckt ließen. Beim Gaſtmahle legte ſie wie die
Männer die Schuhe (Sandalen!) völlig ab, um ihre Füße zu-
nächſt zu verbergen und erſt wieder zu zeigen, wenn ſie glaubte,
daß die Eindrücke, welche die Sandalenriemen in ihrer zarten
Haut zurückließen, völlig verſchwunden waren. Der Eunuch
Euläus war der höchſte Bewunderer dieſer Füße, nicht, wie er
vorgab, um ihrer Schönheit willen, ſondern weil das Spiel der
Zehen der Königin ihm gerade dann zeigte, was in ihr vorging,
wenn er aus ihrem in der Kunſt der Verſtellung wohlgeübten
Mund und Auge nichts, was ihre Seele erregte, zu erkennen
vermochte.‟ Alſo die Mienen ihres Geſichts, den Ausdruck der
Augen hatte Kleopatra ganz in ihrer Gewalt, aber das Zehen-
ſpiel
— als ob da eine ganze Skala von Bewegungen möglich
wäre — verrieth, ob ſie gnädig oder ungnädig, erregt oder
theilnahmlos, erfreut oder entſetzt war.‟ — Das zehnte Capitel des
Romans iſt ein wiſſenſchaftliches Capitel. Die beiden Brüder
und Könige Philometor und Euergetes unterhalten ſich
ganz wie moderne Kronprinzen über die in Griechenland zer-
ſtreuten Handſchriften älterer Dichter- und Gelehrtenwerke. Euer-
getes behauptet von einer gewiſſen Stelle im Homer, daß ſtatt
[fremdsprachliches Material – 1 Wort fehlt][fremdsprachliches Material – 1 Wort fehlt] geleſen werden müſſe, wozu einer Namens Ariſtarch
bemerkt: „Wer wie König Euergetes im Homer eine einzige
richtige Silbe an die Stelle einer falſchen ſetzt, der hat den
Folgegeſchlechtern, ſollt ich meinen, einen Dienſt und zwar einen
großen Dienſt geleiſtet.‟ Später ſagt der für jede deutſche Uni-
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[27 219/0027] „man konnte es auch an den krampfhaft zuſammengezogenen Zehen erkennen.‟ Es ſcheint ſich hier um eine altegyptiſche Eigenthümlichkeit zu handeln, die allen Ständen gemeinſam war, denn von der üppigen Königin Kleopatra in den „Schweſtern‟ heißt es: „Sie wählte die liegende Stellung ganz beſonders um ihrer Füße willen; beſaß doch kein Weib in Egypten und Griechenland kleinere und edler gebaute als ſie. Darum waren auch ihre Sandalen ſo geſchnitten, daß ſie, wenn ſie ſtand oder ging, nur die Sohlen ſchützten, die zierlichen weißen Zehen mit den roſigen Nägeln und weiß ſchimmernden Halbmonden aber völlig unbedeckt ließen. Beim Gaſtmahle legte ſie wie die Männer die Schuhe (Sandalen!) völlig ab, um ihre Füße zu- nächſt zu verbergen und erſt wieder zu zeigen, wenn ſie glaubte, daß die Eindrücke, welche die Sandalenriemen in ihrer zarten Haut zurückließen, völlig verſchwunden waren. Der Eunuch Euläus war der höchſte Bewunderer dieſer Füße, nicht, wie er vorgab, um ihrer Schönheit willen, ſondern weil das Spiel der Zehen der Königin ihm gerade dann zeigte, was in ihr vorging, wenn er aus ihrem in der Kunſt der Verſtellung wohlgeübten Mund und Auge nichts, was ihre Seele erregte, zu erkennen vermochte.‟ Alſo die Mienen ihres Geſichts, den Ausdruck der Augen hatte Kleopatra ganz in ihrer Gewalt, aber das Zehen- ſpiel — als ob da eine ganze Skala von Bewegungen möglich wäre — verrieth, ob ſie gnädig oder ungnädig, erregt oder theilnahmlos, erfreut oder entſetzt war.‟ — Das zehnte Capitel des Romans iſt ein wiſſenſchaftliches Capitel. Die beiden Brüder und Könige Philometor und Euergetes unterhalten ſich ganz wie moderne Kronprinzen über die in Griechenland zer- ſtreuten Handſchriften älterer Dichter- und Gelehrtenwerke. Euer- getes behauptet von einer gewiſſen Stelle im Homer, daß ſtatt _ — _ geleſen werden müſſe, wozu einer Namens Ariſtarch bemerkt: „Wer wie König Euergetes im Homer eine einzige richtige Silbe an die Stelle einer falſchen ſetzt, der hat den Folgegeſchlechtern, ſollt ich meinen, einen Dienſt und zwar einen großen Dienſt geleiſtet.‟ Später ſagt der für jede deutſche Uni- verſität ſich eignende Ariſtarch: „Wo Neues in unſerm Kreiſe

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Zitationshilfe: Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884), S. 27 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraus_professorenroman_1884/27>, abgerufen am 21.11.2024.