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Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884).

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Roman ist. Scheffel hat die Zeiten der Vergangenheit, das Buch
mit sieben Siegeln aufgeschlossen und den Geist jener Zeiten in
ganz überwiegendem Maße, nicht aber seinen eignen Geist zu uns
reden lassen. Es ist darum auch niemals jemandem eingefallen,
auf Scheffel einen Vers zu machen, wie ihn der "Schalk" im
März 1880 auf seinen Nachfolger Ebers gemacht hat:

Jch bin die Sphinx, die wunderbare,
Und Räthsel biet ich oft und gern.
Die Basis zählt viel taufend Jahre,
Doch alles andre ist modern.

Scheffel ist nie Mode gewesen, darum kommt er auch nicht aus
der Mode. Leute von gereiftem, unabhängigem Urtheil wissen
das und stehen darum dem Glanze äußeren Erfolgs, welcher
Modeschriftsteller umgibt, nüchtern gegenüber. Christgläubige
Leser sollten sich um ihres Christenthums willen einer gleichen
Nächstenliebe befleißigen. Leider ist aber gerade in den Kreisen
gläubiger Christen eine außerordentlich große Nachgiebigkeit und
Urtheilslosigkeit im Punkte der Lektüre zu bemerken. Diese Wahr-
nehmung hat die Veranlassung gegeben, unter den "Zeitfragen
des christlichen Volksbewußtseins
" einmal die nichtchrist-
liche Unfreiheit auf dem Gebiete der Unterhaltungsliteratur zu
besprechen. Die "Tendenz" der vorliegenden Schrift geht darum
nicht in erster Linie gegen die Modeschriftsteller, auch nicht gegen
das Bedenkliche des historischen Romans an sich, sondern lediglich
gegen die Zelt- und Lagergenossen, gegen die Christen, insoweit
sie sich der herrschenden Strömung im Felde der Unterhaltungs-
schriften hingeben. Was die Welt, die große Masse der Namen-
christen preist und verherrlicht, muß auch dann, wenn es nicht
geradezu gegen Christenthum und Kirche gerichtet ist, mit nüch-
ternen Augen betrachtet werden. Das gilt insbesondere von der
Bücherwelt. Hier wird jedoch tausendfach das Gegentheil von
nüchternem Sinne in christlichen Kreisen wahrgenommen. Was
durch alle Zeitungen, in allen Salons und Clubs verherrlicht
und gepriesen wird, erntet auch bei unzähligen Christen ohne
Weiteres Beifall und Lob. Man glaubt unbefangen und gerecht
zu sein und ist gefangen in kritikloser Nachgiebigkeit. Man will

Roman iſt. Scheffel hat die Zeiten der Vergangenheit, das Buch
mit ſieben Siegeln aufgeſchloſſen und den Geiſt jener Zeiten in
ganz überwiegendem Maße, nicht aber ſeinen eignen Geiſt zu uns
reden laſſen. Es iſt darum auch niemals jemandem eingefallen,
auf Scheffel einen Vers zu machen, wie ihn der „Schalk‟ im
März 1880 auf ſeinen Nachfolger Ebers gemacht hat:

Jch bin die Sphinx, die wunderbare,
Und Räthſel biet ich oft und gern.
Die Baſis zählt viel taufend Jahre,
Doch alles andre iſt modern.

Scheffel iſt nie Mode geweſen, darum kommt er auch nicht aus
der Mode. Leute von gereiftem, unabhängigem Urtheil wiſſen
das und ſtehen darum dem Glanze äußeren Erfolgs, welcher
Modeſchriftſteller umgibt, nüchtern gegenüber. Chriſtgläubige
Leſer ſollten ſich um ihres Chriſtenthums willen einer gleichen
Nächſtenliebe befleißigen. Leider iſt aber gerade in den Kreiſen
gläubiger Chriſten eine außerordentlich große Nachgiebigkeit und
Urtheilsloſigkeit im Punkte der Lektüre zu bemerken. Dieſe Wahr-
nehmung hat die Veranlaſſung gegeben, unter den „Zeitfragen
des chriſtlichen Volksbewußtſeins
‟ einmal die nichtchriſt-
liche Unfreiheit auf dem Gebiete der Unterhaltungsliteratur zu
beſprechen. Die „Tendenz‟ der vorliegenden Schrift geht darum
nicht in erſter Linie gegen die Modeſchriftſteller, auch nicht gegen
das Bedenkliche des hiſtoriſchen Romans an ſich, ſondern lediglich
gegen die Zelt- und Lagergenoſſen, gegen die Chriſten, inſoweit
ſie ſich der herrſchenden Strömung im Felde der Unterhaltungs-
ſchriften hingeben. Was die Welt, die große Maſſe der Namen-
chriſten preiſt und verherrlicht, muß auch dann, wenn es nicht
geradezu gegen Chriſtenthum und Kirche gerichtet iſt, mit nüch-
ternen Augen betrachtet werden. Das gilt insbeſondere von der
Bücherwelt. Hier wird jedoch tauſendfach das Gegentheil von
nüchternem Sinne in chriſtlichen Kreiſen wahrgenommen. Was
durch alle Zeitungen, in allen Salons und Clubs verherrlicht
und geprieſen wird, erntet auch bei unzähligen Chriſten ohne
Weiteres Beifall und Lob. Man glaubt unbefangen und gerecht
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[5 197/0005] Roman iſt. Scheffel hat die Zeiten der Vergangenheit, das Buch mit ſieben Siegeln aufgeſchloſſen und den Geiſt jener Zeiten in ganz überwiegendem Maße, nicht aber ſeinen eignen Geiſt zu uns reden laſſen. Es iſt darum auch niemals jemandem eingefallen, auf Scheffel einen Vers zu machen, wie ihn der „Schalk‟ im März 1880 auf ſeinen Nachfolger Ebers gemacht hat: Jch bin die Sphinx, die wunderbare, Und Räthſel biet ich oft und gern. Die Baſis zählt viel taufend Jahre, Doch alles andre iſt modern. Scheffel iſt nie Mode geweſen, darum kommt er auch nicht aus der Mode. Leute von gereiftem, unabhängigem Urtheil wiſſen das und ſtehen darum dem Glanze äußeren Erfolgs, welcher Modeſchriftſteller umgibt, nüchtern gegenüber. Chriſtgläubige Leſer ſollten ſich um ihres Chriſtenthums willen einer gleichen Nächſtenliebe befleißigen. Leider iſt aber gerade in den Kreiſen gläubiger Chriſten eine außerordentlich große Nachgiebigkeit und Urtheilsloſigkeit im Punkte der Lektüre zu bemerken. Dieſe Wahr- nehmung hat die Veranlaſſung gegeben, unter den „Zeitfragen des chriſtlichen Volksbewußtſeins‟ einmal die nichtchriſt- liche Unfreiheit auf dem Gebiete der Unterhaltungsliteratur zu beſprechen. Die „Tendenz‟ der vorliegenden Schrift geht darum nicht in erſter Linie gegen die Modeſchriftſteller, auch nicht gegen das Bedenkliche des hiſtoriſchen Romans an ſich, ſondern lediglich gegen die Zelt- und Lagergenoſſen, gegen die Chriſten, inſoweit ſie ſich der herrſchenden Strömung im Felde der Unterhaltungs- ſchriften hingeben. Was die Welt, die große Maſſe der Namen- chriſten preiſt und verherrlicht, muß auch dann, wenn es nicht geradezu gegen Chriſtenthum und Kirche gerichtet iſt, mit nüch- ternen Augen betrachtet werden. Das gilt insbeſondere von der Bücherwelt. Hier wird jedoch tauſendfach das Gegentheil von nüchternem Sinne in chriſtlichen Kreiſen wahrgenommen. Was durch alle Zeitungen, in allen Salons und Clubs verherrlicht und geprieſen wird, erntet auch bei unzähligen Chriſten ohne Weiteres Beifall und Lob. Man glaubt unbefangen und gerecht zu ſein und iſt gefangen in kritikloſer Nachgiebigkeit. Man will

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Zitationshilfe: Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884), S. 5 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraus_professorenroman_1884/5>, abgerufen am 21.11.2024.