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Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884).

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sich vor Vorurtheilen hüten und beweist, daß man überhaupt
kein Urtheil hat und nichts davon weiß, daß rechte Vorurtheile
die Grundlage für gerechte Nachurtheile sind. Man macht sich in
der Lektüre ein neutrales Gebiet zurecht und doch gilt auch hier,
daß man nicht zwei Herren dienen kann, daß auch die Roman-
schreiber nicht zwei Herren dienen können. Ein Brunnen kann
nicht salziges und süßes Wasser geben, folglich kann ein Roman-
schreiber nicht neben seiner heidnischen Bittersalzquelle aus dem
Brunnen süßen Lebenswassers schöpfen. Ganze Schichten des
gebildeten Theiles des christlichen Volkes haben aber so sehr
alles nüchterne Prüfen und Urtheilen verlernt, daß sie in ge-
dankenloser Weitherzigkeit schon die Schriftsteller zu den ihrigen
zählen, welche die christliche Sittenlehre respektiren und gegen die
gemeinchristlichen Dogmen nicht zu Felde ziehen. Daß dieselben
Schriftsteller aber, genau wie ihr Meister Lessing, da, wo sie das
Bild eines wahren Christen zu zeichnen haben, eine Fratze, gün-
stigen Falles eine Larve zu Wege bringen, daran denken sie
nicht. Wir halten es darum für sachgemäß, der gebildeten christ-
lichen Welt die Zeitfrage der literarischen Kritik zur Be-
antwortung vorzulegen und zu diesem Zwecke die Romane von
Ebers, Dahn und einigen anderen zu kritisiren. Es wird sich im
Laufe unserer Untersuchung herausstellen, daß nicht allein vom
christlichen, vielmehr schon vom rein ästhetischen Standpunkte aus
jene Dichtungen als geringwerthige zu bezeichnen sind und daß
man sich vor schwachmüthigem Beitritt zur ungezählten, urtheils-
losen, oberflächlichen Masse unterhaltungsgieriger Leser hüten und
jedesmal sich der Warnung erinnern soll: Werdet nicht der
Menschen Knechte.
Eine falsche Weitherzigkeit pflegt sich in
solchen Fällen an das Wort zu halten: "Alles ist euer."
Die unmittelbar folgenden Worte lauten aber: "Jhr aber
seid Christi.
" Das ist die rechte Einschränkung.

J. v. Eichendorff sagt in der Einleitung seines kleinen
Buches "Der deutsche Roman des 18. Jahrhunderts
und sein Verhältniß zum Christenthum
" nach dem Hin-
weis auf die Thatsache, daß wir kein nationales Schauspiel
haben: "Jn Deutschland ist nur der Roman der einzig zuverlässige

ſich vor Vorurtheilen hüten und beweiſt, daß man überhaupt
kein Urtheil hat und nichts davon weiß, daß rechte Vorurtheile
die Grundlage für gerechte Nachurtheile ſind. Man macht ſich in
der Lektüre ein neutrales Gebiet zurecht und doch gilt auch hier,
daß man nicht zwei Herren dienen kann, daß auch die Roman-
ſchreiber nicht zwei Herren dienen können. Ein Brunnen kann
nicht ſalziges und ſüßes Waſſer geben, folglich kann ein Roman-
ſchreiber nicht neben ſeiner heidniſchen Bitterſalzquelle aus dem
Brunnen ſüßen Lebenswaſſers ſchöpfen. Ganze Schichten des
gebildeten Theiles des chriſtlichen Volkes haben aber ſo ſehr
alles nüchterne Prüfen und Urtheilen verlernt, daß ſie in ge-
dankenloſer Weitherzigkeit ſchon die Schriftſteller zu den ihrigen
zählen, welche die chriſtliche Sittenlehre reſpektiren und gegen die
gemeinchriſtlichen Dogmen nicht zu Felde ziehen. Daß dieſelben
Schriftſteller aber, genau wie ihr Meiſter Leſſing, da, wo ſie das
Bild eines wahren Chriſten zu zeichnen haben, eine Fratze, gün-
ſtigen Falles eine Larve zu Wege bringen, daran denken ſie
nicht. Wir halten es darum für ſachgemäß, der gebildeten chriſt-
lichen Welt die Zeitfrage der literariſchen Kritik zur Be-
antwortung vorzulegen und zu dieſem Zwecke die Romane von
Ebers, Dahn und einigen anderen zu kritiſiren. Es wird ſich im
Laufe unſerer Unterſuchung herausſtellen, daß nicht allein vom
chriſtlichen, vielmehr ſchon vom rein äſthetiſchen Standpunkte aus
jene Dichtungen als geringwerthige zu bezeichnen ſind und daß
man ſich vor ſchwachmüthigem Beitritt zur ungezählten, urtheils-
loſen, oberflächlichen Maſſe unterhaltungsgieriger Leſer hüten und
jedesmal ſich der Warnung erinnern ſoll: Werdet nicht der
Menſchen Knechte.
Eine falſche Weitherzigkeit pflegt ſich in
ſolchen Fällen an das Wort zu halten: „Alles iſt euer.
Die unmittelbar folgenden Worte lauten aber: „Jhr aber
ſeid Chriſti.
‟ Das iſt die rechte Einſchränkung.

J. v. Eichendorff ſagt in der Einleitung ſeines kleinen
Buches „Der deutſche Roman des 18. Jahrhunderts
und ſein Verhältniß zum Chriſtenthum
‟ nach dem Hin-
weis auf die Thatſache, daß wir kein nationales Schauſpiel
haben: „Jn Deutſchland iſt nur der Roman der einzig zuverläſſige

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[6 198/0006] ſich vor Vorurtheilen hüten und beweiſt, daß man überhaupt kein Urtheil hat und nichts davon weiß, daß rechte Vorurtheile die Grundlage für gerechte Nachurtheile ſind. Man macht ſich in der Lektüre ein neutrales Gebiet zurecht und doch gilt auch hier, daß man nicht zwei Herren dienen kann, daß auch die Roman- ſchreiber nicht zwei Herren dienen können. Ein Brunnen kann nicht ſalziges und ſüßes Waſſer geben, folglich kann ein Roman- ſchreiber nicht neben ſeiner heidniſchen Bitterſalzquelle aus dem Brunnen ſüßen Lebenswaſſers ſchöpfen. Ganze Schichten des gebildeten Theiles des chriſtlichen Volkes haben aber ſo ſehr alles nüchterne Prüfen und Urtheilen verlernt, daß ſie in ge- dankenloſer Weitherzigkeit ſchon die Schriftſteller zu den ihrigen zählen, welche die chriſtliche Sittenlehre reſpektiren und gegen die gemeinchriſtlichen Dogmen nicht zu Felde ziehen. Daß dieſelben Schriftſteller aber, genau wie ihr Meiſter Leſſing, da, wo ſie das Bild eines wahren Chriſten zu zeichnen haben, eine Fratze, gün- ſtigen Falles eine Larve zu Wege bringen, daran denken ſie nicht. Wir halten es darum für ſachgemäß, der gebildeten chriſt- lichen Welt die Zeitfrage der literariſchen Kritik zur Be- antwortung vorzulegen und zu dieſem Zwecke die Romane von Ebers, Dahn und einigen anderen zu kritiſiren. Es wird ſich im Laufe unſerer Unterſuchung herausſtellen, daß nicht allein vom chriſtlichen, vielmehr ſchon vom rein äſthetiſchen Standpunkte aus jene Dichtungen als geringwerthige zu bezeichnen ſind und daß man ſich vor ſchwachmüthigem Beitritt zur ungezählten, urtheils- loſen, oberflächlichen Maſſe unterhaltungsgieriger Leſer hüten und jedesmal ſich der Warnung erinnern ſoll: Werdet nicht der Menſchen Knechte. Eine falſche Weitherzigkeit pflegt ſich in ſolchen Fällen an das Wort zu halten: „Alles iſt euer.‟ Die unmittelbar folgenden Worte lauten aber: „Jhr aber ſeid Chriſti.‟ Das iſt die rechte Einſchränkung. J. v. Eichendorff ſagt in der Einleitung ſeines kleinen Buches „Der deutſche Roman des 18. Jahrhunderts und ſein Verhältniß zum Chriſtenthum‟ nach dem Hin- weis auf die Thatſache, daß wir kein nationales Schauſpiel haben: „Jn Deutſchland iſt nur der Roman der einzig zuverläſſige

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Zitationshilfe: Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884), S. 6 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraus_professorenroman_1884/6>, abgerufen am 21.11.2024.