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Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884).

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Mächtig bin ich, nicht allmächtig, weise, nicht allwissend,
gut -- ach, nicht allgütig! Jn den Schranken, die das Schicksal
gesetzt, kann ich wohl allerlei schalten und walten, zaubern und
wundern, aber nur gemäß dem Geschick, nicht trotz dem Geschick!"

Von dem lebendigen Gott meint der Mann mit der Rohr-
feder genau wie Theoderich der Ostgothe: "ein zorniger, eifer-
süchtiger Gott sollst du sein, der die Sünde der Väter rächt bis
in's siebente Glied."

Odhin beantwortet die Frage: "wie ward die Welt?"
folgendermaßen: "Niemand weiß es. Jch glaube auch nicht die
Nornen. Denn sie wissen nur was ward, was ist, was wird.
Aber mir ist -- oft kam mir schon unter Zweifeln und Grübeln
ein hehres Ahnen -- kaum vermag ich's in Worte zu fassen:
-- mich schauert vor Ehrfurcht bei dem Wagniß, laut es zu
sprechen: die Welt ist gar nicht geworden. Das ist wohl der
Sinn der Rune: Ewig." -- Da die ältesten Götter wie die
neuesten Professoren "aus gährendem Urstoff" hervorgewachsen
sind, so kann es nicht fehlen, daß ihre Gehirnsekretionen dasselbe
Ergebniß liefern: "Ewig ist einzig das All. Denn nur was Eins
ist, ist ewig. Und Eins ist einzig das All, anfanglos, endlos.
Alles Einzelne erlischt: auch einzelne Asen, Götter und Geister:
denn ein Einzelnes ist auch der einzelne Gott. Erden vereisen,
Sterne stürzen, Sonnen versinken. Spurlos versprüht, was dar-
auf erwuchs. -- Aber unendlich, unablässig, unerschöpflich in
wechselnden Wandlungen, wirkt und webt das All (Kraft und
Stoff sind ewig). Nicht das Nichts und die Nacht --: ewig ist
einzig das Licht und das Leben und wonniges warmes Bewegen.
Aus zerstörten Stücken zerworfener Welten, auf's neue aus dem
Nebel versunkener Sonnen, bildet und baut andere Erden des
ewigen Alls gewaltig Gesetz: "das wechselnde Werden". Das
Schicksal, wie wir scheu es nennen! Aber es hat es kein Schöpfer
geschickt noch geschaffen. Aelter ist es als alle Alter, gewaltiger
als alle Geister und Götter! Nicht zum Wohl und Weh der
wimmelnden Wesen, nur sich selber aus sich zu erschließen schaltet
und schafft das große Gesetz. Er ist eins mit dem All: denn es
ist nur im All: und das All ist in ihm.

Mächtig bin ich, nicht allmächtig, weiſe, nicht allwiſſend,
gut — ach, nicht allgütig! Jn den Schranken, die das Schickſal
geſetzt, kann ich wohl allerlei ſchalten und walten, zaubern und
wundern, aber nur gemäß dem Geſchick, nicht trotz dem Geſchick!‟

Von dem lebendigen Gott meint der Mann mit der Rohr-
feder genau wie Theoderich der Oſtgothe: „ein zorniger, eifer-
ſüchtiger Gott ſollſt du ſein, der die Sünde der Väter rächt bis
in’s ſiebente Glied.‟

Odhin beantwortet die Frage: „wie ward die Welt?
folgendermaßen: „Niemand weiß es. Jch glaube auch nicht die
Nornen. Denn ſie wiſſen nur was ward, was iſt, was wird.
Aber mir iſt — oft kam mir ſchon unter Zweifeln und Grübeln
ein hehres Ahnen — kaum vermag ich’s in Worte zu faſſen:
— mich ſchauert vor Ehrfurcht bei dem Wagniß, laut es zu
ſprechen: die Welt iſt gar nicht geworden. Das iſt wohl der
Sinn der Rune: Ewig.‟ — Da die älteſten Götter wie die
neueſten Profeſſoren „aus gährendem Urſtoff‟ hervorgewachſen
ſind, ſo kann es nicht fehlen, daß ihre Gehirnſekretionen daſſelbe
Ergebniß liefern: „Ewig iſt einzig das All. Denn nur was Eins
iſt, iſt ewig. Und Eins iſt einzig das All, anfanglos, endlos.
Alles Einzelne erliſcht: auch einzelne Aſen, Götter und Geiſter:
denn ein Einzelnes iſt auch der einzelne Gott. Erden vereiſen,
Sterne ſtürzen, Sonnen verſinken. Spurlos verſprüht, was dar-
auf erwuchs. — Aber unendlich, unabläſſig, unerſchöpflich in
wechſelnden Wandlungen, wirkt und webt das All (Kraft und
Stoff ſind ewig). Nicht das Nichts und die Nacht —: ewig iſt
einzig das Licht und das Leben und wonniges warmes Bewegen.
Aus zerſtörten Stücken zerworfener Welten, auf’s neue aus dem
Nebel verſunkener Sonnen, bildet und baut andere Erden des
ewigen Alls gewaltig Geſetz: „das wechſelnde Werden‟. Das
Schickſal, wie wir ſcheu es nennen! Aber es hat es kein Schöpfer
geſchickt noch geſchaffen. Aelter iſt es als alle Alter, gewaltiger
als alle Geiſter und Götter! Nicht zum Wohl und Weh der
wimmelnden Weſen, nur ſich ſelber aus ſich zu erſchließen ſchaltet
und ſchafft das große Geſetz. Er iſt eins mit dem All: denn es
iſt nur im All: und das All iſt in ihm.

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[58 250/0058] Mächtig bin ich, nicht allmächtig, weiſe, nicht allwiſſend, gut — ach, nicht allgütig! Jn den Schranken, die das Schickſal geſetzt, kann ich wohl allerlei ſchalten und walten, zaubern und wundern, aber nur gemäß dem Geſchick, nicht trotz dem Geſchick!‟ Von dem lebendigen Gott meint der Mann mit der Rohr- feder genau wie Theoderich der Oſtgothe: „ein zorniger, eifer- ſüchtiger Gott ſollſt du ſein, der die Sünde der Väter rächt bis in’s ſiebente Glied.‟ Odhin beantwortet die Frage: „wie ward die Welt?‟ folgendermaßen: „Niemand weiß es. Jch glaube auch nicht die Nornen. Denn ſie wiſſen nur was ward, was iſt, was wird. Aber mir iſt — oft kam mir ſchon unter Zweifeln und Grübeln ein hehres Ahnen — kaum vermag ich’s in Worte zu faſſen: — mich ſchauert vor Ehrfurcht bei dem Wagniß, laut es zu ſprechen: die Welt iſt gar nicht geworden. Das iſt wohl der Sinn der Rune: Ewig.‟ — Da die älteſten Götter wie die neueſten Profeſſoren „aus gährendem Urſtoff‟ hervorgewachſen ſind, ſo kann es nicht fehlen, daß ihre Gehirnſekretionen daſſelbe Ergebniß liefern: „Ewig iſt einzig das All. Denn nur was Eins iſt, iſt ewig. Und Eins iſt einzig das All, anfanglos, endlos. Alles Einzelne erliſcht: auch einzelne Aſen, Götter und Geiſter: denn ein Einzelnes iſt auch der einzelne Gott. Erden vereiſen, Sterne ſtürzen, Sonnen verſinken. Spurlos verſprüht, was dar- auf erwuchs. — Aber unendlich, unabläſſig, unerſchöpflich in wechſelnden Wandlungen, wirkt und webt das All (Kraft und Stoff ſind ewig). Nicht das Nichts und die Nacht —: ewig iſt einzig das Licht und das Leben und wonniges warmes Bewegen. Aus zerſtörten Stücken zerworfener Welten, auf’s neue aus dem Nebel verſunkener Sonnen, bildet und baut andere Erden des ewigen Alls gewaltig Geſetz: „das wechſelnde Werden‟. Das Schickſal, wie wir ſcheu es nennen! Aber es hat es kein Schöpfer geſchickt noch geſchaffen. Aelter iſt es als alle Alter, gewaltiger als alle Geiſter und Götter! Nicht zum Wohl und Weh der wimmelnden Weſen, nur ſich ſelber aus ſich zu erſchließen ſchaltet und ſchafft das große Geſetz. Er iſt eins mit dem All: denn es iſt nur im All: und das All iſt in ihm.

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Zitationshilfe: Kraus, Otto: Der Professorenroman. In: Zeitfragen des christlichen Volkslebens/ Band IX. Heft 4 (1884), S. 58 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kraus_professorenroman_1884/58>, abgerufen am 09.05.2024.