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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Hat das Ihr Sohn schon bewiesen? Er weiß, daß er Vater
und Mutter im Rücken hat, und da lassen sich die Pläne gut
schmieden. Sehen Sie mich an, Meister: Mit dreizehn Jahren
kam ich unter fremde Leute, denn ich hatte Niemanden mehr
von meinen Angehörigen, als meine Schwester; und die war
viel jünger als ich. Fünf Jahre war ich in der Lehre, denn
ich habe mich freilernen müssen. Manchesmal hat es mehr
Hiebe gegeben, als Essen, denn mein Meister war ein roher
Patron; aber trotzdem, oder gerade deswegen, bin ich den
geraden Weg gegangen."

"Und weil Sie alles das durchgemacht haben und ein so
tüchtiger, braver Kerl geworden sind, mein lieber Beyer, will
ich manches Wort, das Sie heute über meinen Franz gesagt
haben, nicht auf die Wagschale legen. Lassen Sie ihn nur
wie er ist, mit den Jahren kommt der Verstand."

"Da hätten wir sehr viele weise Menschen in der Welt,
Meister; aber man hört wenig von ihnen."

"Das liegt nicht an den weisen, sondern an den tauben
Leuten, mein lieber Beyer . . . Im Uebrigen wird die Welt
immer dieselbe bleiben, solange die Sonne nicht 'mal zur Ab¬
wechselung im Westen aufgeht und im Osten unter."

"Da sind wir wieder auf unser altes Thema gekommen,
Meister, und ich muß auf's Neue wiederholen, Sie sind nicht
fortgeschritten in Ihren Anschauungen; aber Sie werden ein¬
mal anders denken."

"Da kommt ihr immer mit eurem großen Fortschritt!
Als ob das nicht der beste Fortschritt wäre: ewig in seiner
Gesinnung gleich zu bleiben! Thue Recht und scheue Nie¬
mand -- so sage ich und so soll's bleiben. He, Alte, habe
ich Recht?"

Hat das Ihr Sohn ſchon bewieſen? Er weiß, daß er Vater
und Mutter im Rücken hat, und da laſſen ſich die Pläne gut
ſchmieden. Sehen Sie mich an, Meiſter: Mit dreizehn Jahren
kam ich unter fremde Leute, denn ich hatte Niemanden mehr
von meinen Angehörigen, als meine Schweſter; und die war
viel jünger als ich. Fünf Jahre war ich in der Lehre, denn
ich habe mich freilernen müſſen. Manchesmal hat es mehr
Hiebe gegeben, als Eſſen, denn mein Meiſter war ein roher
Patron; aber trotzdem, oder gerade deswegen, bin ich den
geraden Weg gegangen.“

„Und weil Sie alles das durchgemacht haben und ein ſo
tüchtiger, braver Kerl geworden ſind, mein lieber Beyer, will
ich manches Wort, das Sie heute über meinen Franz geſagt
haben, nicht auf die Wagſchale legen. Laſſen Sie ihn nur
wie er iſt, mit den Jahren kommt der Verſtand.“

„Da hätten wir ſehr viele weiſe Menſchen in der Welt,
Meiſter; aber man hört wenig von ihnen.“

„Das liegt nicht an den weiſen, ſondern an den tauben
Leuten, mein lieber Beyer . . . Im Uebrigen wird die Welt
immer dieſelbe bleiben, ſolange die Sonne nicht 'mal zur Ab¬
wechſelung im Weſten aufgeht und im Oſten unter.“

„Da ſind wir wieder auf unſer altes Thema gekommen,
Meiſter, und ich muß auf's Neue wiederholen, Sie ſind nicht
fortgeſchritten in Ihren Anſchauungen; aber Sie werden ein¬
mal anders denken.“

„Da kommt ihr immer mit eurem großen Fortſchritt!
Als ob das nicht der beſte Fortſchritt wäre: ewig in ſeiner
Geſinnung gleich zu bleiben! Thue Recht und ſcheue Nie¬
mand — ſo ſage ich und ſo ſoll's bleiben. He, Alte, habe
ich Recht?“

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[89/0101] Hat das Ihr Sohn ſchon bewieſen? Er weiß, daß er Vater und Mutter im Rücken hat, und da laſſen ſich die Pläne gut ſchmieden. Sehen Sie mich an, Meiſter: Mit dreizehn Jahren kam ich unter fremde Leute, denn ich hatte Niemanden mehr von meinen Angehörigen, als meine Schweſter; und die war viel jünger als ich. Fünf Jahre war ich in der Lehre, denn ich habe mich freilernen müſſen. Manchesmal hat es mehr Hiebe gegeben, als Eſſen, denn mein Meiſter war ein roher Patron; aber trotzdem, oder gerade deswegen, bin ich den geraden Weg gegangen.“ „Und weil Sie alles das durchgemacht haben und ein ſo tüchtiger, braver Kerl geworden ſind, mein lieber Beyer, will ich manches Wort, das Sie heute über meinen Franz geſagt haben, nicht auf die Wagſchale legen. Laſſen Sie ihn nur wie er iſt, mit den Jahren kommt der Verſtand.“ „Da hätten wir ſehr viele weiſe Menſchen in der Welt, Meiſter; aber man hört wenig von ihnen.“ „Das liegt nicht an den weiſen, ſondern an den tauben Leuten, mein lieber Beyer . . . Im Uebrigen wird die Welt immer dieſelbe bleiben, ſolange die Sonne nicht 'mal zur Ab¬ wechſelung im Weſten aufgeht und im Oſten unter.“ „Da ſind wir wieder auf unſer altes Thema gekommen, Meiſter, und ich muß auf's Neue wiederholen, Sie ſind nicht fortgeſchritten in Ihren Anſchauungen; aber Sie werden ein¬ mal anders denken.“ „Da kommt ihr immer mit eurem großen Fortſchritt! Als ob das nicht der beſte Fortſchritt wäre: ewig in ſeiner Geſinnung gleich zu bleiben! Thue Recht und ſcheue Nie¬ mand — ſo ſage ich und ſo ſoll's bleiben. He, Alte, habe ich Recht?“

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/101>, abgerufen am 21.11.2024.