Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Gattin, die in Verzückung gerieth, wenn ihr Mann sprach,
und ein reicher Tuchhändler aus der Königsstadt, dessen viel
jüngere Ehehälfte ihm an Bildung weit überlegen war und
daher jeden günstigen Moment benutzte, bei geistreichen
Gesprächen für ihren Mann das Wort zu ergreifen. Dieser
gab dann den Kampf sehr bald auf und zog sich in eine
stille Ecke zurück, wo er in Gesellschaft des Weingroßhändlers
über die Verfälscher des edlen Rebensaftes das
Todesurtheil fällte und ein Glas nach dem andern
leerte. Der letztere glaubte dann den Augenblick
gekommen, der eine Ueberreichung seines Preiskourantes
nothwendig mache. Der Tuchhändler versprach zu
bestellen, that es aber niemals. Er besaß bereits
eine ganze Kollektion derselben Karten. "Soll ich einmal
meiner Frau imponiren und eine Rede halten?" sagte er
dann in seliger Stimmung. -- "Thun Sie es lieber nicht.
Die Wirkung dieses Weines, der aus meinen Kellern stammt,
ist unberechenbar. Sie könnten in Schwung kommen und
heute nicht mehr aufhören", rieth der Weinhändler ihm ab.
Man trank dann ruhig weiter.

Interessant für den Schönheitsenthusiasten war jeden¬
falls nur die jüngere Generation, die größtentheils in enger
Beziehung zu der älteren stand. Fräulein Therese Ramm,
die intime Freundin Emma's, pflegte an solchen Abenden ge¬
sprächiger zu sein und den jungen Männern gegenüber viel
von ihrer Schüchternheit zu verlieren. Ihre Mutter hegte
in derartigen Minuten die größten Hoffnungen und verfolgte
sie mit leuchtenden Blicken, sobald sie wahrnahm, daß einer
der jungen Männer ein längeres Gespräch mit ihr angeknüpft
hatte.

Gattin, die in Verzückung gerieth, wenn ihr Mann ſprach,
und ein reicher Tuchhändler aus der Königsſtadt, deſſen viel
jüngere Ehehälfte ihm an Bildung weit überlegen war und
daher jeden günſtigen Moment benutzte, bei geiſtreichen
Geſprächen für ihren Mann das Wort zu ergreifen. Dieſer
gab dann den Kampf ſehr bald auf und zog ſich in eine
ſtille Ecke zurück, wo er in Geſellſchaft des Weingroßhändlers
über die Verfälſcher des edlen Rebenſaftes das
Todesurtheil fällte und ein Glas nach dem andern
leerte. Der letztere glaubte dann den Augenblick
gekommen, der eine Ueberreichung ſeines Preiskourantes
nothwendig mache. Der Tuchhändler verſprach zu
beſtellen, that es aber niemals. Er beſaß bereits
eine ganze Kollektion derſelben Karten. „Soll ich einmal
meiner Frau imponiren und eine Rede halten?“ ſagte er
dann in ſeliger Stimmung. — „Thun Sie es lieber nicht.
Die Wirkung dieſes Weines, der aus meinen Kellern ſtammt,
iſt unberechenbar. Sie könnten in Schwung kommen und
heute nicht mehr aufhören“, rieth der Weinhändler ihm ab.
Man trank dann ruhig weiter.

Intereſſant für den Schönheitsenthuſiaſten war jeden¬
falls nur die jüngere Generation, die größtentheils in enger
Beziehung zu der älteren ſtand. Fräulein Thereſe Ramm,
die intime Freundin Emma's, pflegte an ſolchen Abenden ge¬
ſprächiger zu ſein und den jungen Männern gegenüber viel
von ihrer Schüchternheit zu verlieren. Ihre Mutter hegte
in derartigen Minuten die größten Hoffnungen und verfolgte
ſie mit leuchtenden Blicken, ſobald ſie wahrnahm, daß einer
der jungen Männer ein längeres Geſpräch mit ihr angeknüpft
hatte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0123" n="111"/>
Gattin, die in Verzückung gerieth, wenn ihr Mann &#x017F;prach,<lb/>
und ein reicher Tuchhändler aus der Königs&#x017F;tadt, de&#x017F;&#x017F;en viel<lb/>
jüngere Ehehälfte ihm an Bildung weit überlegen war und<lb/>
daher jeden gün&#x017F;tigen Moment benutzte, bei gei&#x017F;treichen<lb/>
Ge&#x017F;prächen für ihren Mann das Wort zu ergreifen. Die&#x017F;er<lb/>
gab dann den Kampf &#x017F;ehr bald auf und zog &#x017F;ich in eine<lb/>
&#x017F;tille Ecke zurück, wo er in Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft des Weingroßhändlers<lb/>
über die Verfäl&#x017F;cher des edlen Reben&#x017F;aftes das<lb/>
Todesurtheil fällte und ein Glas nach dem andern<lb/>
leerte. Der letztere glaubte dann den Augenblick<lb/>
gekommen, der eine Ueberreichung &#x017F;eines Preiskourantes<lb/>
nothwendig mache. Der Tuchhändler ver&#x017F;prach zu<lb/>
be&#x017F;tellen, that es aber niemals. Er be&#x017F;aß bereits<lb/>
eine ganze Kollektion der&#x017F;elben Karten. &#x201E;Soll ich einmal<lb/>
meiner Frau imponiren und eine Rede halten?&#x201C; &#x017F;agte er<lb/>
dann in &#x017F;eliger Stimmung. &#x2014; &#x201E;Thun Sie es lieber nicht.<lb/>
Die Wirkung die&#x017F;es Weines, der aus meinen Kellern &#x017F;tammt,<lb/>
i&#x017F;t unberechenbar. Sie könnten in Schwung kommen und<lb/>
heute nicht mehr aufhören&#x201C;, rieth der Weinhändler ihm ab.<lb/>
Man trank dann ruhig weiter.</p><lb/>
        <p>Intere&#x017F;&#x017F;ant für den Schönheitsenthu&#x017F;ia&#x017F;ten war jeden¬<lb/>
falls nur die jüngere Generation, die größtentheils in enger<lb/>
Beziehung zu der älteren &#x017F;tand. Fräulein There&#x017F;e Ramm,<lb/>
die intime Freundin Emma's, pflegte an &#x017F;olchen Abenden ge¬<lb/>
&#x017F;prächiger zu &#x017F;ein und den jungen Männern gegenüber viel<lb/>
von ihrer Schüchternheit zu verlieren. Ihre Mutter hegte<lb/>
in derartigen Minuten die größten Hoffnungen und verfolgte<lb/>
&#x017F;ie mit leuchtenden Blicken, &#x017F;obald &#x017F;ie wahrnahm, daß einer<lb/>
der jungen Männer ein längeres Ge&#x017F;präch mit ihr angeknüpft<lb/>
hatte.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[111/0123] Gattin, die in Verzückung gerieth, wenn ihr Mann ſprach, und ein reicher Tuchhändler aus der Königsſtadt, deſſen viel jüngere Ehehälfte ihm an Bildung weit überlegen war und daher jeden günſtigen Moment benutzte, bei geiſtreichen Geſprächen für ihren Mann das Wort zu ergreifen. Dieſer gab dann den Kampf ſehr bald auf und zog ſich in eine ſtille Ecke zurück, wo er in Geſellſchaft des Weingroßhändlers über die Verfälſcher des edlen Rebenſaftes das Todesurtheil fällte und ein Glas nach dem andern leerte. Der letztere glaubte dann den Augenblick gekommen, der eine Ueberreichung ſeines Preiskourantes nothwendig mache. Der Tuchhändler verſprach zu beſtellen, that es aber niemals. Er beſaß bereits eine ganze Kollektion derſelben Karten. „Soll ich einmal meiner Frau imponiren und eine Rede halten?“ ſagte er dann in ſeliger Stimmung. — „Thun Sie es lieber nicht. Die Wirkung dieſes Weines, der aus meinen Kellern ſtammt, iſt unberechenbar. Sie könnten in Schwung kommen und heute nicht mehr aufhören“, rieth der Weinhändler ihm ab. Man trank dann ruhig weiter. Intereſſant für den Schönheitsenthuſiaſten war jeden¬ falls nur die jüngere Generation, die größtentheils in enger Beziehung zu der älteren ſtand. Fräulein Thereſe Ramm, die intime Freundin Emma's, pflegte an ſolchen Abenden ge¬ ſprächiger zu ſein und den jungen Männern gegenüber viel von ihrer Schüchternheit zu verlieren. Ihre Mutter hegte in derartigen Minuten die größten Hoffnungen und verfolgte ſie mit leuchtenden Blicken, ſobald ſie wahrnahm, daß einer der jungen Männer ein längeres Geſpräch mit ihr angeknüpft hatte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/123
Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/123>, abgerufen am 21.11.2024.