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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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"Sehen Sie nur meine Liebe", sagte sie dann leise zu
Frau Urban, "sieht meine Therese nicht reizend aus? Sie
wird gewiß noch einmal eine glänzende Partie machen".

Der Weingroßhändler hatte seinen Sohn mitgebracht,
einen sehr liebenswürdigen, blondgelockten jungen Mann,
der in einem Konservatorium Musik studirte, den ganzen
Abend über von Beethoven schwärmte und sehnsüchtig
auf den Augenblick wartete, wo die Damen ihn auffordern
würden, sich an's Piano zu setzen, um von seiner Kunst¬
fertigkeit etwas zu hören. Ramms glänzten ebenfalls durch
einen Sohn, der Komtorist im Geschäfte seines Vaters
war, eine ausgezeichnete Kenntniß der Dachpappenfabri¬
kation besaß und die Angewohnheit hatte, fortwährend an
seinem Schnurrbart zu kauen -- eine unausstehliche Be¬
schäftigung, der er bereits den Verlust eines Theiles
seiner Manneszierde zu verdanken hatte. Die jungen
Damen fanden das abscheulich, während Frau Ramm es
mit seiner Nervosität entschuldigte. Die Eltern brachten ihn
nur um deswegen mit, weil sie der Hoffnung lebten, es
könne sich zwischen ihm und Fräulein Bertha Kirchberg, der
zweiten Tochter Frau Urbans, ein zur Ehe führendes Ver¬
hältniß entspinnen -- ein wohlüberlegter Plan, der aber an
der Abneigung der am meisten betheiligten Personen zu
scheitern drohte. Fräulein Bertha hatte ihn nämlich im Ge¬
heimen mehrmals für einen "Grässel" erklärt. Trotzdem gab
Herr Ramm junior seine erneuerten Anläufe nicht auf,
schwamm vielmehr schon beim bloßen Anblick der Still¬
geliebten in jenem seeligen Wonnemeer, aus dem der un¬
glücklich Liebende nur durch eine rauhe Hand oder einen
kalten Wasserstrahl gerettet werden kann.

„Sehen Sie nur meine Liebe“, ſagte ſie dann leiſe zu
Frau Urban, „ſieht meine Thereſe nicht reizend aus? Sie
wird gewiß noch einmal eine glänzende Partie machen“.

Der Weingroßhändler hatte ſeinen Sohn mitgebracht,
einen ſehr liebenswürdigen, blondgelockten jungen Mann,
der in einem Konſervatorium Muſik ſtudirte, den ganzen
Abend über von Beethoven ſchwärmte und ſehnſüchtig
auf den Augenblick wartete, wo die Damen ihn auffordern
würden, ſich an's Piano zu ſetzen, um von ſeiner Kunſt¬
fertigkeit etwas zu hören. Ramms glänzten ebenfalls durch
einen Sohn, der Komtoriſt im Geſchäfte ſeines Vaters
war, eine ausgezeichnete Kenntniß der Dachpappenfabri¬
kation beſaß und die Angewohnheit hatte, fortwährend an
ſeinem Schnurrbart zu kauen — eine unausſtehliche Be¬
ſchäftigung, der er bereits den Verluſt eines Theiles
ſeiner Manneszierde zu verdanken hatte. Die jungen
Damen fanden das abſcheulich, während Frau Ramm es
mit ſeiner Nervoſität entſchuldigte. Die Eltern brachten ihn
nur um deswegen mit, weil ſie der Hoffnung lebten, es
könne ſich zwiſchen ihm und Fräulein Bertha Kirchberg, der
zweiten Tochter Frau Urbans, ein zur Ehe führendes Ver¬
hältniß entſpinnen — ein wohlüberlegter Plan, der aber an
der Abneigung der am meiſten betheiligten Perſonen zu
ſcheitern drohte. Fräulein Bertha hatte ihn nämlich im Ge¬
heimen mehrmals für einen „Gräſſel“ erklärt. Trotzdem gab
Herr Ramm junior ſeine erneuerten Anläufe nicht auf,
ſchwamm vielmehr ſchon beim bloßen Anblick der Still¬
geliebten in jenem ſeeligen Wonnemeer, aus dem der un¬
glücklich Liebende nur durch eine rauhe Hand oder einen
kalten Waſſerſtrahl gerettet werden kann.

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[112/0124] „Sehen Sie nur meine Liebe“, ſagte ſie dann leiſe zu Frau Urban, „ſieht meine Thereſe nicht reizend aus? Sie wird gewiß noch einmal eine glänzende Partie machen“. Der Weingroßhändler hatte ſeinen Sohn mitgebracht, einen ſehr liebenswürdigen, blondgelockten jungen Mann, der in einem Konſervatorium Muſik ſtudirte, den ganzen Abend über von Beethoven ſchwärmte und ſehnſüchtig auf den Augenblick wartete, wo die Damen ihn auffordern würden, ſich an's Piano zu ſetzen, um von ſeiner Kunſt¬ fertigkeit etwas zu hören. Ramms glänzten ebenfalls durch einen Sohn, der Komtoriſt im Geſchäfte ſeines Vaters war, eine ausgezeichnete Kenntniß der Dachpappenfabri¬ kation beſaß und die Angewohnheit hatte, fortwährend an ſeinem Schnurrbart zu kauen — eine unausſtehliche Be¬ ſchäftigung, der er bereits den Verluſt eines Theiles ſeiner Manneszierde zu verdanken hatte. Die jungen Damen fanden das abſcheulich, während Frau Ramm es mit ſeiner Nervoſität entſchuldigte. Die Eltern brachten ihn nur um deswegen mit, weil ſie der Hoffnung lebten, es könne ſich zwiſchen ihm und Fräulein Bertha Kirchberg, der zweiten Tochter Frau Urbans, ein zur Ehe führendes Ver¬ hältniß entſpinnen — ein wohlüberlegter Plan, der aber an der Abneigung der am meiſten betheiligten Perſonen zu ſcheitern drohte. Fräulein Bertha hatte ihn nämlich im Ge¬ heimen mehrmals für einen „Gräſſel“ erklärt. Trotzdem gab Herr Ramm junior ſeine erneuerten Anläufe nicht auf, ſchwamm vielmehr ſchon beim bloßen Anblick der Still¬ geliebten in jenem ſeeligen Wonnemeer, aus dem der un¬ glücklich Liebende nur durch eine rauhe Hand oder einen kalten Waſſerſtrahl gerettet werden kann.

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/124>, abgerufen am 24.11.2024.