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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Händler arbeiteten. Johannes Timpe gehörte zu
ihnen. Im Frühjahr desselben Jahres bereits mußte
er zwei Gesellen entlassen; und vor Weihnachten, zu
einer Zeit, wo er sonst außerordentlich viel zu thun
hatte, mußte der dritte folgen. Die Bestellungen vieler
Kunden waren ausgeblieben. Traf er einen von ihnen zu¬
fälligerweise und forschte nach der Ursache der geschäftlichen
Zurückhaltung, so kam nach vielem Drehen und Wenden
endlich die Antwort; und sie war immer dieselbe:
Urban liefere billiger, das Hemde liege Einem näher als
der Rock.

Selbst das Preisherabsetzen half nichts. Der Meister
mochte kalkuliren wie er wollte: es war unmöglich, mit dem
Fabrikbesitzer zu konkurriren; oder aber er mußte das Ma¬
terial stehlen und den Gehülfen einen Hungerlohn oder
einen schmählichen Akkordpreis bezahlen. Aber auch das
blieb nicht aus. Eines Tages sah er sich gezwungen,
die Gesellen auf seine üble Lage aufmerksam zu machen.
Als ehrlicher Mann rechnete er ihnen vor, wie gering
sein Verdienst sei, daß er nicht länger bestehen könne,
wenn er die Akkordpreise nicht herabsetzte. Ein Gehilfe blieb
nach dieser Auseinandersetzung gleich fort, während die anderen
sich dadurch zu entschädigen suchten, indem sie ihre Arbeit
nicht mehr so solide ausführten, wie früher. Der Meister
drückte ein Auge zu, wenn die Sachen nur nicht zu leicht¬
sinnig ausgeführt wurden. Er tröstete sich damit, daß es bei
Urban nicht besser gemacht werde. Einmal geriethen ihm
verschiedene von dem großen Konkurrenten fabrizirte Artikel
in die Hände. Er reichte sie in der Werkstatt umher und
ließ sie von Jedem prüfen. Man erstaunte über die leichte

Händler arbeiteten. Johannes Timpe gehörte zu
ihnen. Im Frühjahr deſſelben Jahres bereits mußte
er zwei Geſellen entlaſſen; und vor Weihnachten, zu
einer Zeit, wo er ſonſt außerordentlich viel zu thun
hatte, mußte der dritte folgen. Die Beſtellungen vieler
Kunden waren ausgeblieben. Traf er einen von ihnen zu¬
fälligerweiſe und forſchte nach der Urſache der geſchäftlichen
Zurückhaltung, ſo kam nach vielem Drehen und Wenden
endlich die Antwort; und ſie war immer dieſelbe:
Urban liefere billiger, das Hemde liege Einem näher als
der Rock.

Selbſt das Preisherabſetzen half nichts. Der Meiſter
mochte kalkuliren wie er wollte: es war unmöglich, mit dem
Fabrikbeſitzer zu konkurriren; oder aber er mußte das Ma¬
terial ſtehlen und den Gehülfen einen Hungerlohn oder
einen ſchmählichen Akkordpreis bezahlen. Aber auch das
blieb nicht aus. Eines Tages ſah er ſich gezwungen,
die Geſellen auf ſeine üble Lage aufmerkſam zu machen.
Als ehrlicher Mann rechnete er ihnen vor, wie gering
ſein Verdienſt ſei, daß er nicht länger beſtehen könne,
wenn er die Akkordpreiſe nicht herabſetzte. Ein Gehilfe blieb
nach dieſer Auseinanderſetzung gleich fort, während die anderen
ſich dadurch zu entſchädigen ſuchten, indem ſie ihre Arbeit
nicht mehr ſo ſolide ausführten, wie früher. Der Meiſter
drückte ein Auge zu, wenn die Sachen nur nicht zu leicht¬
ſinnig ausgeführt wurden. Er tröſtete ſich damit, daß es bei
Urban nicht beſſer gemacht werde. Einmal geriethen ihm
verſchiedene von dem großen Konkurrenten fabrizirte Artikel
in die Hände. Er reichte ſie in der Werkſtatt umher und
ließ ſie von Jedem prüfen. Man erſtaunte über die leichte

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[156/0168] Händler arbeiteten. Johannes Timpe gehörte zu ihnen. Im Frühjahr deſſelben Jahres bereits mußte er zwei Geſellen entlaſſen; und vor Weihnachten, zu einer Zeit, wo er ſonſt außerordentlich viel zu thun hatte, mußte der dritte folgen. Die Beſtellungen vieler Kunden waren ausgeblieben. Traf er einen von ihnen zu¬ fälligerweiſe und forſchte nach der Urſache der geſchäftlichen Zurückhaltung, ſo kam nach vielem Drehen und Wenden endlich die Antwort; und ſie war immer dieſelbe: Urban liefere billiger, das Hemde liege Einem näher als der Rock. Selbſt das Preisherabſetzen half nichts. Der Meiſter mochte kalkuliren wie er wollte: es war unmöglich, mit dem Fabrikbeſitzer zu konkurriren; oder aber er mußte das Ma¬ terial ſtehlen und den Gehülfen einen Hungerlohn oder einen ſchmählichen Akkordpreis bezahlen. Aber auch das blieb nicht aus. Eines Tages ſah er ſich gezwungen, die Geſellen auf ſeine üble Lage aufmerkſam zu machen. Als ehrlicher Mann rechnete er ihnen vor, wie gering ſein Verdienſt ſei, daß er nicht länger beſtehen könne, wenn er die Akkordpreiſe nicht herabſetzte. Ein Gehilfe blieb nach dieſer Auseinanderſetzung gleich fort, während die anderen ſich dadurch zu entſchädigen ſuchten, indem ſie ihre Arbeit nicht mehr ſo ſolide ausführten, wie früher. Der Meiſter drückte ein Auge zu, wenn die Sachen nur nicht zu leicht¬ ſinnig ausgeführt wurden. Er tröſtete ſich damit, daß es bei Urban nicht beſſer gemacht werde. Einmal geriethen ihm verſchiedene von dem großen Konkurrenten fabrizirte Artikel in die Hände. Er reichte ſie in der Werkſtatt umher und ließ ſie von Jedem prüfen. Man erſtaunte über die leichte

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/168>, abgerufen am 24.11.2024.