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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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einem bezaubernden Lächeln fragte: "Wünschen Sie was,
Herr Urban? Womit kann ich dienen? Soll ich Ihnen
eine Arbeit abnehmen? Darf ich um die Auszeichnung
bitten, mir das gestatten zu wollen?"

Urban war es dann jedesmal, als spräche aus diesen
gesuchthöflichen Worten etwas wie Spott. Und wenn er mit
schief geneigtem Kopf zu dem großgewachsenen Nachbarssohn
emporblickte, so bebte er stets in der Einbildung, als mache
sein vertrautester Untergebener sich über die "Lange Nase"
eben so lustig, wie sämmtliche Arbeiter in der Fabrik. Er
war dann entwaffnet, versuchte das Lächeln seines Prokuristen
nachzuahmen, was ihm aber um deswegen schlecht gelang,
weil er mit seinen defekten Zähnen keinen Staat machen konnte,
drehte sich kurz um und suchte das Komptor auf, um seinen
Zorn über das erlittene Fiasko an einem der Kommis aus¬
zulassen.

Einmal geriethen Beide doch sehr ernst zusammen. Seit¬
dem Franz verlobt war, hatte er sich gewisse Gewohnheiten
angeeignet, die insofern denen Ferdinand Friedrich Urban's
ähnelten, als aus ihnen ersichtlich das Bestreben hervorging,
zu herrschen und zu befehlen: oder doch zum mindesten An¬
ordnungen zu treffen, wie sie aus den Rechten einer Autorität
herzuleiten sind. Mit der Zeit hatten die Arbeiter in der
Fabrik sich daran gewöhnt, ihn ebenso zu respektiren wie
Urban; ja es kam oft vor, daß man den kleinen Fabrik¬
besitzer ganz übersah und nur auf den großen Prokuristen
hörte, der unter Umständen sehr herablassend sein konnte und
in seinen Manieren den gebildeten Mann zeigte, den man
bei Urban stets vermißte. Der Letztere beobachtete diese
Hintenansetzung seiner Person mit stillem Ingrimm. Als

einem bezaubernden Lächeln fragte: „Wünſchen Sie was,
Herr Urban? Womit kann ich dienen? Soll ich Ihnen
eine Arbeit abnehmen? Darf ich um die Auszeichnung
bitten, mir das geſtatten zu wollen?“

Urban war es dann jedesmal, als ſpräche aus dieſen
geſuchthöflichen Worten etwas wie Spott. Und wenn er mit
ſchief geneigtem Kopf zu dem großgewachſenen Nachbarsſohn
emporblickte, ſo bebte er ſtets in der Einbildung, als mache
ſein vertrauteſter Untergebener ſich über die „Lange Naſe“
eben ſo luſtig, wie ſämmtliche Arbeiter in der Fabrik. Er
war dann entwaffnet, verſuchte das Lächeln ſeines Prokuriſten
nachzuahmen, was ihm aber um deswegen ſchlecht gelang,
weil er mit ſeinen defekten Zähnen keinen Staat machen konnte,
drehte ſich kurz um und ſuchte das Komptor auf, um ſeinen
Zorn über das erlittene Fiasko an einem der Kommis aus¬
zulaſſen.

Einmal geriethen Beide doch ſehr ernſt zuſammen. Seit¬
dem Franz verlobt war, hatte er ſich gewiſſe Gewohnheiten
angeeignet, die inſofern denen Ferdinand Friedrich Urban's
ähnelten, als aus ihnen erſichtlich das Beſtreben hervorging,
zu herrſchen und zu befehlen: oder doch zum mindeſten An¬
ordnungen zu treffen, wie ſie aus den Rechten einer Autorität
herzuleiten ſind. Mit der Zeit hatten die Arbeiter in der
Fabrik ſich daran gewöhnt, ihn ebenſo zu reſpektiren wie
Urban; ja es kam oft vor, daß man den kleinen Fabrik¬
beſitzer ganz überſah und nur auf den großen Prokuriſten
hörte, der unter Umſtänden ſehr herablaſſend ſein konnte und
in ſeinen Manieren den gebildeten Mann zeigte, den man
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[186/0198] einem bezaubernden Lächeln fragte: „Wünſchen Sie was, Herr Urban? Womit kann ich dienen? Soll ich Ihnen eine Arbeit abnehmen? Darf ich um die Auszeichnung bitten, mir das geſtatten zu wollen?“ Urban war es dann jedesmal, als ſpräche aus dieſen geſuchthöflichen Worten etwas wie Spott. Und wenn er mit ſchief geneigtem Kopf zu dem großgewachſenen Nachbarsſohn emporblickte, ſo bebte er ſtets in der Einbildung, als mache ſein vertrauteſter Untergebener ſich über die „Lange Naſe“ eben ſo luſtig, wie ſämmtliche Arbeiter in der Fabrik. Er war dann entwaffnet, verſuchte das Lächeln ſeines Prokuriſten nachzuahmen, was ihm aber um deswegen ſchlecht gelang, weil er mit ſeinen defekten Zähnen keinen Staat machen konnte, drehte ſich kurz um und ſuchte das Komptor auf, um ſeinen Zorn über das erlittene Fiasko an einem der Kommis aus¬ zulaſſen. Einmal geriethen Beide doch ſehr ernſt zuſammen. Seit¬ dem Franz verlobt war, hatte er ſich gewiſſe Gewohnheiten angeeignet, die inſofern denen Ferdinand Friedrich Urban's ähnelten, als aus ihnen erſichtlich das Beſtreben hervorging, zu herrſchen und zu befehlen: oder doch zum mindeſten An¬ ordnungen zu treffen, wie ſie aus den Rechten einer Autorität herzuleiten ſind. Mit der Zeit hatten die Arbeiter in der Fabrik ſich daran gewöhnt, ihn ebenſo zu reſpektiren wie Urban; ja es kam oft vor, daß man den kleinen Fabrik¬ beſitzer ganz überſah und nur auf den großen Prokuriſten hörte, der unter Umſtänden ſehr herablaſſend ſein konnte und in ſeinen Manieren den gebildeten Mann zeigte, den man bei Urban ſtets vermißte. Der Letztere beobachtete dieſe Hintenanſetzung ſeiner Perſon mit ſtillem Ingrimm. Als

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/198>, abgerufen am 21.11.2024.