Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.sonstigen Bekümmernissen des Lebens gesellte sich nun auch Gleich nach Weihnachten sprach die ganze Nachbarschaft "Nun, Herr Timpe, haben Sie Ihren alten Braten¬ Timpe gerieth in Verlegenheit. Dann lächelte er ge¬ Als er sich wieder im Hause befand, mußte er an sich 14*
ſonſtigen Bekümmerniſſen des Lebens geſellte ſich nun auch Gleich nach Weihnachten ſprach die ganze Nachbarſchaft „Nun, Herr Timpe, haben Sie Ihren alten Braten¬ Timpe gerieth in Verlegenheit. Dann lächelte er ge¬ Als er ſich wieder im Hauſe befand, mußte er an ſich 14*
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0223" n="211"/> ſonſtigen Bekümmerniſſen des Lebens geſellte ſich nun auch<lb/> der Zwieſpalt zwiſchen Bürgerpflicht und dem Zweifel an der<lb/> Richtigkeit ſeiner bisherigen Ueberzeugung. Oft grübelte er<lb/> ſtundenlang nach, ohne jemals mit Beyer darüber ein Wort<lb/> zu wechſeln, denn der Stolz hielt ihn davon ab. Das Schlimmſte<lb/> war, daß ein bitterer Menſchenhaß anfing, nach und nach<lb/> ſeine Seele zu befruchten.</p><lb/> <p>Gleich nach Weihnachten ſprach die ganze Nachbarſchaft<lb/> nur noch von der bevorſtehenden Hochzeit ſeines Sohnes mit<lb/> Emma Kirchberg. Ließ er ſich irgendwo ſehen, ſo ſtand die<lb/> erſte Frage, die man an ihn richtete, mit dieſem Ereigniß in<lb/> Verbindung.</p><lb/> <p>„Nun, Herr Timpe, haben Sie Ihren alten Braten¬<lb/> ſtecher ſchon hervorgeholt?“ fragte ihn Nölte eines<lb/> Mittags, als er vor der Hausthür ſtand. „Da werden<lb/> Sie einmal wieder Staat machen und den Galanten<lb/> ſpielen können . . . Und Ihre Frau — wie werden<lb/> alte Erinnerungen bei ihr auftauchen! Ja, ja — ſo eine<lb/> Hochzeit unter feinen Leuten, die lobe ich mir. Wiſſen Sie<lb/> — wenn Sie ſo eine Pulle mit Wein bei Seite ſchaffen<lb/> können, dann denken Sie an mich. Du, mein Gott, ich würde<lb/> mich ſchon freuen, wenn ich nur einmal am Korken riechen<lb/> könnte. Und meine Minna erſt und die Kinder —“</p><lb/> <p>Timpe gerieth in Verlegenheit. Dann lächelte er ge¬<lb/> zwungen und erwiderte: „Ja, das wird ſchön werden . . Ich<lb/> werde an Sie denken, lieber Nölte.“</p><lb/> <p>Als er ſich wieder im Hauſe befand, mußte er an ſich<lb/> halten, um nicht laut aufzuſchluchzen. Es war immer noch<lb/> die weiche Stimmung, die ihn überkam, wenn er an das Glück<lb/> ſeines Sohnes dachte, dem er fern bleiben mußte.</p><lb/> <fw place="bottom" type="sig">14*<lb/></fw> </div> </body> </text> </TEI> [211/0223]
ſonſtigen Bekümmerniſſen des Lebens geſellte ſich nun auch
der Zwieſpalt zwiſchen Bürgerpflicht und dem Zweifel an der
Richtigkeit ſeiner bisherigen Ueberzeugung. Oft grübelte er
ſtundenlang nach, ohne jemals mit Beyer darüber ein Wort
zu wechſeln, denn der Stolz hielt ihn davon ab. Das Schlimmſte
war, daß ein bitterer Menſchenhaß anfing, nach und nach
ſeine Seele zu befruchten.
Gleich nach Weihnachten ſprach die ganze Nachbarſchaft
nur noch von der bevorſtehenden Hochzeit ſeines Sohnes mit
Emma Kirchberg. Ließ er ſich irgendwo ſehen, ſo ſtand die
erſte Frage, die man an ihn richtete, mit dieſem Ereigniß in
Verbindung.
„Nun, Herr Timpe, haben Sie Ihren alten Braten¬
ſtecher ſchon hervorgeholt?“ fragte ihn Nölte eines
Mittags, als er vor der Hausthür ſtand. „Da werden
Sie einmal wieder Staat machen und den Galanten
ſpielen können . . . Und Ihre Frau — wie werden
alte Erinnerungen bei ihr auftauchen! Ja, ja — ſo eine
Hochzeit unter feinen Leuten, die lobe ich mir. Wiſſen Sie
— wenn Sie ſo eine Pulle mit Wein bei Seite ſchaffen
können, dann denken Sie an mich. Du, mein Gott, ich würde
mich ſchon freuen, wenn ich nur einmal am Korken riechen
könnte. Und meine Minna erſt und die Kinder —“
Timpe gerieth in Verlegenheit. Dann lächelte er ge¬
zwungen und erwiderte: „Ja, das wird ſchön werden . . Ich
werde an Sie denken, lieber Nölte.“
Als er ſich wieder im Hauſe befand, mußte er an ſich
halten, um nicht laut aufzuſchluchzen. Es war immer noch
die weiche Stimmung, die ihn überkam, wenn er an das Glück
ſeines Sohnes dachte, dem er fern bleiben mußte.
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