Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

aller Rücksicht und Toleranz gegen seine Arbeitnehmer eine
derartige Propaganda nicht dulden durfte.

"Genug jetzt, Beyer," sagte er mit leichtem Zorne. "Das
sind Phrasen, weiter nichts als Phrasen, mit denen Sie die
Dummen fangen können, nicht aber aufgeklärte Männer. Sie
sind mir ein tüchtiger Arbeiter und auch lieber Freund ge¬
worden, wenn Sie aber derartige Gespräche nicht lassen
können, so müssen wir uns in aller Güte trennen . . .
Gehen Sie!"

Der Altgeselle lächelte leicht und schien nicht im Ge¬
ringsten berührt von den letzten Worten.

"Ich habe mir gelobt, bei Ihnen auszuhalten, so lange
noch ein Stück Arbeit vorhanden ist, Meister; dabei bleibt
es," erwiderte er, drehte sich kurz um und entfernte sich.
An der Thür aber blieb er wieder stehen und sagte mit der
Stimme und Geberde eines Propheten: "Meister, Meister,
Sie werden einmal anders denken."

Timpe war ärgerlich geworden, sodaß er ein Selbst¬
gespräch eröffnete, worin die Worte "Narrenspossen" --
"Seelenfängerei" und "sozialistischer Unsinn" eine Hauptrolle
spielten. Das hatte gerade noch gefehlt, daß man ihm in
seinem seelischen und geschäftlichen Elend noch mit der Politik
kam, um ihm den Kopf gänzlich zu verwirren. Und doch
mußte er sich während der nächsten halben Stunde immer
wieder die Worte des Altgesellen ins Gedächtniß zurückrufen.
Hatte er nicht dem Staate Jahrzehnte hindurch als treuer
Bürger gedient, seine Pflichten als solcher vollauf erfüllt?
Wo war nun der Schutz, der ihn vor dem sicheren Verderben
bewahrte?

Zu dem tiefen Herzenskummer um seinen Sohn, zu den

aller Rückſicht und Toleranz gegen ſeine Arbeitnehmer eine
derartige Propaganda nicht dulden durfte.

„Genug jetzt, Beyer,“ ſagte er mit leichtem Zorne. „Das
ſind Phraſen, weiter nichts als Phraſen, mit denen Sie die
Dummen fangen können, nicht aber aufgeklärte Männer. Sie
ſind mir ein tüchtiger Arbeiter und auch lieber Freund ge¬
worden, wenn Sie aber derartige Geſpräche nicht laſſen
können, ſo müſſen wir uns in aller Güte trennen . . .
Gehen Sie!“

Der Altgeſelle lächelte leicht und ſchien nicht im Ge¬
ringſten berührt von den letzten Worten.

„Ich habe mir gelobt, bei Ihnen auszuhalten, ſo lange
noch ein Stück Arbeit vorhanden iſt, Meiſter; dabei bleibt
es,“ erwiderte er, drehte ſich kurz um und entfernte ſich.
An der Thür aber blieb er wieder ſtehen und ſagte mit der
Stimme und Geberde eines Propheten: „Meiſter, Meiſter,
Sie werden einmal anders denken.“

Timpe war ärgerlich geworden, ſodaß er ein Selbſt¬
geſpräch eröffnete, worin die Worte „Narrenspoſſen“ —
„Seelenfängerei“ und „ſozialiſtiſcher Unſinn“ eine Hauptrolle
ſpielten. Das hatte gerade noch gefehlt, daß man ihm in
ſeinem ſeeliſchen und geſchäftlichen Elend noch mit der Politik
kam, um ihm den Kopf gänzlich zu verwirren. Und doch
mußte er ſich während der nächſten halben Stunde immer
wieder die Worte des Altgeſellen ins Gedächtniß zurückrufen.
Hatte er nicht dem Staate Jahrzehnte hindurch als treuer
Bürger gedient, ſeine Pflichten als ſolcher vollauf erfüllt?
Wo war nun der Schutz, der ihn vor dem ſicheren Verderben
bewahrte?

Zu dem tiefen Herzenskummer um ſeinen Sohn, zu den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0222" n="210"/>
aller Rück&#x017F;icht und Toleranz gegen &#x017F;eine Arbeitnehmer eine<lb/>
derartige Propaganda nicht dulden durfte.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Genug jetzt, Beyer,&#x201C; &#x017F;agte er mit leichtem Zorne. &#x201E;Das<lb/>
&#x017F;ind Phra&#x017F;en, weiter nichts als Phra&#x017F;en, mit denen Sie die<lb/>
Dummen fangen können, nicht aber aufgeklärte Männer. Sie<lb/>
&#x017F;ind mir ein tüchtiger Arbeiter und auch lieber Freund ge¬<lb/>
worden, wenn Sie aber derartige Ge&#x017F;präche nicht la&#x017F;&#x017F;en<lb/>
können, &#x017F;o mü&#x017F;&#x017F;en wir uns in aller Güte trennen . . .<lb/>
Gehen Sie!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Altge&#x017F;elle lächelte leicht und &#x017F;chien nicht im Ge¬<lb/>
ring&#x017F;ten berührt von den letzten Worten.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich habe mir gelobt, bei Ihnen auszuhalten, &#x017F;o lange<lb/>
noch ein Stück Arbeit vorhanden i&#x017F;t, Mei&#x017F;ter; dabei bleibt<lb/>
es,&#x201C; erwiderte er, drehte &#x017F;ich kurz um und entfernte &#x017F;ich.<lb/>
An der Thür aber blieb er wieder &#x017F;tehen und &#x017F;agte mit der<lb/>
Stimme und Geberde eines Propheten: &#x201E;Mei&#x017F;ter, Mei&#x017F;ter,<lb/>
Sie werden einmal anders denken.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Timpe war ärgerlich geworden, &#x017F;odaß er ein Selb&#x017F;<lb/>
ge&#x017F;präch eröffnete, worin die Worte &#x201E;Narrenspo&#x017F;&#x017F;en&#x201C; &#x2014;<lb/>
&#x201E;Seelenfängerei&#x201C; und &#x201E;&#x017F;oziali&#x017F;ti&#x017F;cher Un&#x017F;inn&#x201C; eine Hauptrolle<lb/>
&#x017F;pielten. Das hatte gerade noch gefehlt, daß man ihm in<lb/>
&#x017F;einem &#x017F;eeli&#x017F;chen und ge&#x017F;chäftlichen Elend noch mit der Politik<lb/>
kam, um ihm den Kopf gänzlich zu verwirren. Und doch<lb/>
mußte er &#x017F;ich während der näch&#x017F;ten halben Stunde immer<lb/>
wieder die Worte des Altge&#x017F;ellen ins Gedächtniß zurückrufen.<lb/>
Hatte er nicht dem Staate Jahrzehnte hindurch als treuer<lb/>
Bürger gedient, &#x017F;eine Pflichten als &#x017F;olcher vollauf erfüllt?<lb/>
Wo war nun der Schutz, der ihn vor dem &#x017F;icheren Verderben<lb/>
bewahrte?</p><lb/>
        <p>Zu dem tiefen Herzenskummer um &#x017F;einen Sohn, zu den<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0222] aller Rückſicht und Toleranz gegen ſeine Arbeitnehmer eine derartige Propaganda nicht dulden durfte. „Genug jetzt, Beyer,“ ſagte er mit leichtem Zorne. „Das ſind Phraſen, weiter nichts als Phraſen, mit denen Sie die Dummen fangen können, nicht aber aufgeklärte Männer. Sie ſind mir ein tüchtiger Arbeiter und auch lieber Freund ge¬ worden, wenn Sie aber derartige Geſpräche nicht laſſen können, ſo müſſen wir uns in aller Güte trennen . . . Gehen Sie!“ Der Altgeſelle lächelte leicht und ſchien nicht im Ge¬ ringſten berührt von den letzten Worten. „Ich habe mir gelobt, bei Ihnen auszuhalten, ſo lange noch ein Stück Arbeit vorhanden iſt, Meiſter; dabei bleibt es,“ erwiderte er, drehte ſich kurz um und entfernte ſich. An der Thür aber blieb er wieder ſtehen und ſagte mit der Stimme und Geberde eines Propheten: „Meiſter, Meiſter, Sie werden einmal anders denken.“ Timpe war ärgerlich geworden, ſodaß er ein Selbſt¬ geſpräch eröffnete, worin die Worte „Narrenspoſſen“ — „Seelenfängerei“ und „ſozialiſtiſcher Unſinn“ eine Hauptrolle ſpielten. Das hatte gerade noch gefehlt, daß man ihm in ſeinem ſeeliſchen und geſchäftlichen Elend noch mit der Politik kam, um ihm den Kopf gänzlich zu verwirren. Und doch mußte er ſich während der nächſten halben Stunde immer wieder die Worte des Altgeſellen ins Gedächtniß zurückrufen. Hatte er nicht dem Staate Jahrzehnte hindurch als treuer Bürger gedient, ſeine Pflichten als ſolcher vollauf erfüllt? Wo war nun der Schutz, der ihn vor dem ſicheren Verderben bewahrte? Zu dem tiefen Herzenskummer um ſeinen Sohn, zu den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/222
Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/222>, abgerufen am 21.11.2024.