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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Strome der Ereignisse mit fortziehen ließ. Er führte ein
halbes Traumleben. Um so schrecklicher mußte das Er¬
wachen sein.

Eines Vormittags stellte sich Anton Nölte bei ihm ein,
dessen Familie seiner Zeit der erlogene Hochzeitswein und
-Kuchen gut bekommen war.

"Herr Timpe, Sie sind ein braver Mann", begann er ohne
Umschweife. "Alle Welt erzählt davon, daß sie sich demnächst ein
großes, vierstöckiges Haus bauen werden. Ja, erst gestern
versicherte man mir mit heiligem Eide, daß Ihr Sohn Ihnen
in Friedrichshagen eine Villa direkt am See gelegen gekauft
habe. Es wird also für Sie eine Kleinigkeit sein, wenn Sie
mir auf ein paar Wochen fünfzig Mark leihen. Da hat sich
noch ein alter Gläubiger gefunden, den ich längst begraben
glaubte und der durchaus behauptet, ich sei derselbe Nölte,
der früher den schönen Laden in der Andreasstraße besaß ..
Was wollen Sie machen -- ich kann es nicht bestreiten."

Timpe machte ein sehr verdutztes Gesicht, ging dann
aber nach dem alten Schreibsekretär, wo die letzten Thaler¬
rollen seines Kapitals lagen. Wenn einer verdiente geholfen
zu werden, so war es der fleißige Klempnermeister, der sechs
Kinder zu ernähren hatte.

Gleich am anderen Tage wartete Nölte abermals mit
seiner Person auf; das Geld habe nicht gereicht, er müsse
noch Kosten bezahlen. Der Klempner blickte den Meister so
flehentlich an, daß dieser nicht widerstehen konnte. Er er¬
füllte auch die zweite Bitte.

Seit dieser Stunde pries Nölte den Retter in der Noth
in allen Tonarten. Und selbst für die Zweifler war es jetzt
eine ausgemachte Sache, daß Timpe's Vermögen seit der

Strome der Ereigniſſe mit fortziehen ließ. Er führte ein
halbes Traumleben. Um ſo ſchrecklicher mußte das Er¬
wachen ſein.

Eines Vormittags ſtellte ſich Anton Nölte bei ihm ein,
deſſen Familie ſeiner Zeit der erlogene Hochzeitswein und
-Kuchen gut bekommen war.

„Herr Timpe, Sie ſind ein braver Mann“, begann er ohne
Umſchweife. „Alle Welt erzählt davon, daß ſie ſich demnächſt ein
großes, vierſtöckiges Haus bauen werden. Ja, erſt geſtern
verſicherte man mir mit heiligem Eide, daß Ihr Sohn Ihnen
in Friedrichshagen eine Villa direkt am See gelegen gekauft
habe. Es wird alſo für Sie eine Kleinigkeit ſein, wenn Sie
mir auf ein paar Wochen fünfzig Mark leihen. Da hat ſich
noch ein alter Gläubiger gefunden, den ich längſt begraben
glaubte und der durchaus behauptet, ich ſei derſelbe Nölte,
der früher den ſchönen Laden in der Andreasſtraße beſaß ..
Was wollen Sie machen — ich kann es nicht beſtreiten.“

Timpe machte ein ſehr verdutztes Geſicht, ging dann
aber nach dem alten Schreibſekretär, wo die letzten Thaler¬
rollen ſeines Kapitals lagen. Wenn einer verdiente geholfen
zu werden, ſo war es der fleißige Klempnermeiſter, der ſechs
Kinder zu ernähren hatte.

Gleich am anderen Tage wartete Nölte abermals mit
ſeiner Perſon auf; das Geld habe nicht gereicht, er müſſe
noch Koſten bezahlen. Der Klempner blickte den Meiſter ſo
flehentlich an, daß dieſer nicht widerſtehen konnte. Er er¬
füllte auch die zweite Bitte.

Seit dieſer Stunde pries Nölte den Retter in der Noth
in allen Tonarten. Und ſelbſt für die Zweifler war es jetzt
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[223/0235] Strome der Ereigniſſe mit fortziehen ließ. Er führte ein halbes Traumleben. Um ſo ſchrecklicher mußte das Er¬ wachen ſein. Eines Vormittags ſtellte ſich Anton Nölte bei ihm ein, deſſen Familie ſeiner Zeit der erlogene Hochzeitswein und -Kuchen gut bekommen war. „Herr Timpe, Sie ſind ein braver Mann“, begann er ohne Umſchweife. „Alle Welt erzählt davon, daß ſie ſich demnächſt ein großes, vierſtöckiges Haus bauen werden. Ja, erſt geſtern verſicherte man mir mit heiligem Eide, daß Ihr Sohn Ihnen in Friedrichshagen eine Villa direkt am See gelegen gekauft habe. Es wird alſo für Sie eine Kleinigkeit ſein, wenn Sie mir auf ein paar Wochen fünfzig Mark leihen. Da hat ſich noch ein alter Gläubiger gefunden, den ich längſt begraben glaubte und der durchaus behauptet, ich ſei derſelbe Nölte, der früher den ſchönen Laden in der Andreasſtraße beſaß .. Was wollen Sie machen — ich kann es nicht beſtreiten.“ Timpe machte ein ſehr verdutztes Geſicht, ging dann aber nach dem alten Schreibſekretär, wo die letzten Thaler¬ rollen ſeines Kapitals lagen. Wenn einer verdiente geholfen zu werden, ſo war es der fleißige Klempnermeiſter, der ſechs Kinder zu ernähren hatte. Gleich am anderen Tage wartete Nölte abermals mit ſeiner Perſon auf; das Geld habe nicht gereicht, er müſſe noch Koſten bezahlen. Der Klempner blickte den Meiſter ſo flehentlich an, daß dieſer nicht widerſtehen konnte. Er er¬ füllte auch die zweite Bitte. Seit dieſer Stunde pries Nölte den Retter in der Noth in allen Tonarten. Und ſelbſt für die Zweifler war es jetzt eine ausgemachte Sache, daß Timpe's Vermögen ſeit der

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/235>, abgerufen am 21.11.2024.