Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.Verheirathung seines Sohnes bedeutend gestiegen sei. Er Dieses Selbstbelügen war der einzige Spaß, den Timpe "Laßt sie nur von dem vermögenden Timpe träumen," Als Thomas Beyer einmal derartige Worte hörte, glaubte "Sehen Sie, Meister, das ist die große Lüge unserer Verheirathung ſeines Sohnes bedeutend geſtiegen ſei. Er Dieſes Selbſtbelügen war der einzige Spaß, den Timpe „Laßt ſie nur von dem vermögenden Timpe träumen,“ Als Thomas Beyer einmal derartige Worte hörte, glaubte „Sehen Sie, Meiſter, das iſt die große Lüge unſerer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0236" n="224"/> Verheirathung ſeines Sohnes bedeutend geſtiegen ſei. Er<lb/> durfte ſich ſomit nicht wundern, wenn Leute, denen er bisher<lb/> dieſe Höflichkeit niemals zugetraut hatte, bei einer Begegnung<lb/> auf der Straße den Hut ſehr tief zogen, und ihn ſo merk¬<lb/> würdig anblinzelten, als wollten ſie ſagen: Wir kennen<lb/> Dich ſchon, Du alter Schlaukopf! <hi rendition="#g">Uns</hi> das vierſtöckige<lb/> Haus und die Villa zu verheimlichen! Wenn Du erſt be¬<lb/> haglich eingerichtet biſt, dann wirſt Du Dich unſerer hoffent¬<lb/> lich erinnern.</p><lb/> <p>Dieſes Selbſtbelügen war der einzige Spaß, den Timpe<lb/> ſich noch erlaubte. Seine Verſchloſſenheit, der Menſchenhaß,<lb/> der in einſamen Stunden immer mehr zum Ausbruch kam,<lb/> die ganzen Seelenleiden, die ihn gebeugt und alt gemacht<lb/> hatten, erhielten ihr Gleichgewicht durch den Galgenhumor,<lb/> der wie der Blitz am umwölkten Nachthimmel aufzuckte und<lb/> wieder verſchwand.</p><lb/> <p>„Laßt ſie nur von dem vermögenden Timpe träumen,“<lb/> pflegte er zu ſagen. „Wenn ich auch nichts davon habe, ſo<lb/> ſehe ich doch an ihren Geſichtern, wie ſie ſich ärgern.“</p><lb/> <p>Als Thomas Beyer einmal derartige Worte hörte, glaubte<lb/> er ebenfalls ſeine Meinung äußern zu müſſen.</p><lb/> <p>„Sehen Sie, Meiſter, das iſt die große Lüge unſerer<lb/> Zeit: Nur der Schein blendet, der innere Werth ſpielt keine<lb/> Rolle mehr. Verbreiten Sie heute das Gerücht, daß<lb/> Sie völlig mittellos ſeien, gehen Sie morgen in Ihrem<lb/> ſchlechteſten Rock über die Straße — Sie ſollen dann<lb/> einmal ſehen, wie die Leute ſich nicht erinnern werden, Sie<lb/> jemals gekannt zu haben. Aus dem fleißigen Manne<lb/> wird dann über Nacht der Menſch geworden ſein, der ſein<lb/> Schickſal ſelbſt verſchuldet hat ... Nur die Armen werden<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [224/0236]
Verheirathung ſeines Sohnes bedeutend geſtiegen ſei. Er
durfte ſich ſomit nicht wundern, wenn Leute, denen er bisher
dieſe Höflichkeit niemals zugetraut hatte, bei einer Begegnung
auf der Straße den Hut ſehr tief zogen, und ihn ſo merk¬
würdig anblinzelten, als wollten ſie ſagen: Wir kennen
Dich ſchon, Du alter Schlaukopf! Uns das vierſtöckige
Haus und die Villa zu verheimlichen! Wenn Du erſt be¬
haglich eingerichtet biſt, dann wirſt Du Dich unſerer hoffent¬
lich erinnern.
Dieſes Selbſtbelügen war der einzige Spaß, den Timpe
ſich noch erlaubte. Seine Verſchloſſenheit, der Menſchenhaß,
der in einſamen Stunden immer mehr zum Ausbruch kam,
die ganzen Seelenleiden, die ihn gebeugt und alt gemacht
hatten, erhielten ihr Gleichgewicht durch den Galgenhumor,
der wie der Blitz am umwölkten Nachthimmel aufzuckte und
wieder verſchwand.
„Laßt ſie nur von dem vermögenden Timpe träumen,“
pflegte er zu ſagen. „Wenn ich auch nichts davon habe, ſo
ſehe ich doch an ihren Geſichtern, wie ſie ſich ärgern.“
Als Thomas Beyer einmal derartige Worte hörte, glaubte
er ebenfalls ſeine Meinung äußern zu müſſen.
„Sehen Sie, Meiſter, das iſt die große Lüge unſerer
Zeit: Nur der Schein blendet, der innere Werth ſpielt keine
Rolle mehr. Verbreiten Sie heute das Gerücht, daß
Sie völlig mittellos ſeien, gehen Sie morgen in Ihrem
ſchlechteſten Rock über die Straße — Sie ſollen dann
einmal ſehen, wie die Leute ſich nicht erinnern werden, Sie
jemals gekannt zu haben. Aus dem fleißigen Manne
wird dann über Nacht der Menſch geworden ſein, der ſein
Schickſal ſelbſt verſchuldet hat ... Nur die Armen werden
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |