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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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geschmettert, daß er keine Thräne fand. Mit hohlem Blick betrach¬
tete er das bleiche Antlitz, ohne sich zu bewegen. Dann wie aus
einem langen Traume erwachend, stieß er einen entsetzlichen
Schrei aus und sank vor dem Bette nieder. Er verharrte
lange in dieser Lage, daß den Geschwistern bange wurde.
Sie rüttelten an ihm und brachten ihn allmälig zu sich. Der
fürchterliche Schmerz hatte ihm die Besinnung geraubt, aber
immer noch blieben seine Augen trocken. Das Unglück hatte
ihn bereits so abgestumpft, daß er nicht zu weinen vermochte.

In aller Stille machte man Anstalten zum Begräbniß.
Marie erlaubte sich die Bemerkung, daß der Meister doch
seinen Sohn von dem Tode der Mutter benachrichtigen möchte.
Johannes war auch noch um diese Stunde hartnäckig. "Er
hat sich bei Lebzeiten nicht um sie gekümmert, so
hat er auch nicht nöthig, ihrem Sarge zu folgen",
sagte er kurz und bestimmt; man sah es seinem
Gesichte an, wie grenzenlos die Erbitterung gegen Franz
war. Fast inständigst bat er den Altgesellen und seine
Schwester, ihm nicht das Weh zu bereiten, das Ableben
Karolinen's in der Nachbarschaft auszuposaunen. Er hasse
die Neugierde, die sich nicht scheue, das Sterbezimmer zu be¬
treten und ihre tausend Blicke in alle Ecken und Winkel zu
senden.

Am Tage der Beerdigung, als der Sarg gerade ge¬
schlossen werden sollte, kam aber doch Besuch. Es war Meister
Nölte, der mit seinen zwei ältesten Kindern an der Hand
erschien. Jedes der Mädchen trug einen kleinen, schlichten
Kranz, den es mit einem Knix dem Drechsler überreichte.
Der Klempner hatte schon längst erfahren, daß Timpe's Ver¬
hältnisse nicht die glänzendsten seien. So zog er denn Jo¬

geſchmettert, daß er keine Thräne fand. Mit hohlem Blick betrach¬
tete er das bleiche Antlitz, ohne ſich zu bewegen. Dann wie aus
einem langen Traume erwachend, ſtieß er einen entſetzlichen
Schrei aus und ſank vor dem Bette nieder. Er verharrte
lange in dieſer Lage, daß den Geſchwiſtern bange wurde.
Sie rüttelten an ihm und brachten ihn allmälig zu ſich. Der
fürchterliche Schmerz hatte ihm die Beſinnung geraubt, aber
immer noch blieben ſeine Augen trocken. Das Unglück hatte
ihn bereits ſo abgeſtumpft, daß er nicht zu weinen vermochte.

In aller Stille machte man Anſtalten zum Begräbniß.
Marie erlaubte ſich die Bemerkung, daß der Meiſter doch
ſeinen Sohn von dem Tode der Mutter benachrichtigen möchte.
Johannes war auch noch um dieſe Stunde hartnäckig. „Er
hat ſich bei Lebzeiten nicht um ſie gekümmert, ſo
hat er auch nicht nöthig, ihrem Sarge zu folgen“,
ſagte er kurz und beſtimmt; man ſah es ſeinem
Geſichte an, wie grenzenlos die Erbitterung gegen Franz
war. Faſt inſtändigſt bat er den Altgeſellen und ſeine
Schweſter, ihm nicht das Weh zu bereiten, das Ableben
Karolinen's in der Nachbarſchaft auszupoſaunen. Er haſſe
die Neugierde, die ſich nicht ſcheue, das Sterbezimmer zu be¬
treten und ihre tauſend Blicke in alle Ecken und Winkel zu
ſenden.

Am Tage der Beerdigung, als der Sarg gerade ge¬
ſchloſſen werden ſollte, kam aber doch Beſuch. Es war Meiſter
Nölte, der mit ſeinen zwei älteſten Kindern an der Hand
erſchien. Jedes der Mädchen trug einen kleinen, ſchlichten
Kranz, den es mit einem Knix dem Drechsler überreichte.
Der Klempner hatte ſchon längſt erfahren, daß Timpe's Ver¬
hältniſſe nicht die glänzendſten ſeien. So zog er denn Jo¬

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[248/0260] geſchmettert, daß er keine Thräne fand. Mit hohlem Blick betrach¬ tete er das bleiche Antlitz, ohne ſich zu bewegen. Dann wie aus einem langen Traume erwachend, ſtieß er einen entſetzlichen Schrei aus und ſank vor dem Bette nieder. Er verharrte lange in dieſer Lage, daß den Geſchwiſtern bange wurde. Sie rüttelten an ihm und brachten ihn allmälig zu ſich. Der fürchterliche Schmerz hatte ihm die Beſinnung geraubt, aber immer noch blieben ſeine Augen trocken. Das Unglück hatte ihn bereits ſo abgeſtumpft, daß er nicht zu weinen vermochte. In aller Stille machte man Anſtalten zum Begräbniß. Marie erlaubte ſich die Bemerkung, daß der Meiſter doch ſeinen Sohn von dem Tode der Mutter benachrichtigen möchte. Johannes war auch noch um dieſe Stunde hartnäckig. „Er hat ſich bei Lebzeiten nicht um ſie gekümmert, ſo hat er auch nicht nöthig, ihrem Sarge zu folgen“, ſagte er kurz und beſtimmt; man ſah es ſeinem Geſichte an, wie grenzenlos die Erbitterung gegen Franz war. Faſt inſtändigſt bat er den Altgeſellen und ſeine Schweſter, ihm nicht das Weh zu bereiten, das Ableben Karolinen's in der Nachbarſchaft auszupoſaunen. Er haſſe die Neugierde, die ſich nicht ſcheue, das Sterbezimmer zu be¬ treten und ihre tauſend Blicke in alle Ecken und Winkel zu ſenden. Am Tage der Beerdigung, als der Sarg gerade ge¬ ſchloſſen werden ſollte, kam aber doch Beſuch. Es war Meiſter Nölte, der mit ſeinen zwei älteſten Kindern an der Hand erſchien. Jedes der Mädchen trug einen kleinen, ſchlichten Kranz, den es mit einem Knix dem Drechsler überreichte. Der Klempner hatte ſchon längſt erfahren, daß Timpe's Ver¬ hältniſſe nicht die glänzendſten ſeien. So zog er denn Jo¬

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/260>, abgerufen am 22.11.2024.