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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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hannes bei Seite und erinnerte ihn an etwas, was dieser
bereits vergessen hatte.

"Wissen Sie, lieber Herr Timpe," sagte er leise, "ich
kann Ihnen noch nicht alles auf einmal wiedergeben, aber
die Hälfte habe ich mitgebracht. Sie werden es gewiß jetzt
selbst gebrauchen. . . . Man erzählt sich so mancherlei . . . aber Sie
thun ganz recht daran, den Leuten etwas aufzubinden. Wenn
mich heute Jemand fragt, wie es geht, so sage ich ihm ein¬
fach: ich müßte mich von früh bis spät quälen, weil meine
zwanzig Gesellen die Arbeit nicht mehr schaffen könnten.
Dann wundert sich kein Mensch mehr über meine schwarzen
Hände und die ewige Lampe in meiner Werkstatt. Nur dem
Steuermann klage ich nach Noten meinen Dalles, denn der
gehört zu den Leuten, denen ich nicht traue. . . Ich würde
gerne mitgehen zum Begräbniß, lieber Herr Timpe, aber die
"Goldene Hundertzehn" hat keinen passenden Anzug für mich
gefunden, und mein alter Schneider ist jetzt selbst so arm,
daß ich ihm jedesmal aus dem Wege gehe, denn ich fürchte,
er könnte mich anpumpen."

Timpe wollte nach diesen Worten das Geld nicht
nehmen; aber Nölte rief die Todte zum Zeugen an, daß
er im Weigerungsfalle dem Meister die Freundschaft
kündigen werde. Da es gerade nach Tisch war, so bekamen
die Kinder Kaffee und zwei Schnitten Brod, die Marie
Beyer so dick mit Butter bestrichen hatte, daß Nölte meinte,
es sei jammerschade, denn man könnte mindestens sechs damit
bestreichen.

Es war an einem Wintertage. Um vier Uhr sollte das
Begräbniß stattfinden. Gerade als man Anstalten machen
wollte, den Sarg zuzuschrauben, wurde die Thür geöffnet und

hannes bei Seite und erinnerte ihn an etwas, was dieſer
bereits vergeſſen hatte.

„Wiſſen Sie, lieber Herr Timpe,“ ſagte er leiſe, „ich
kann Ihnen noch nicht alles auf einmal wiedergeben, aber
die Hälfte habe ich mitgebracht. Sie werden es gewiß jetzt
ſelbſt gebrauchen. . . . Man erzählt ſich ſo mancherlei . . . aber Sie
thun ganz recht daran, den Leuten etwas aufzubinden. Wenn
mich heute Jemand fragt, wie es geht, ſo ſage ich ihm ein¬
fach: ich müßte mich von früh bis ſpät quälen, weil meine
zwanzig Geſellen die Arbeit nicht mehr ſchaffen könnten.
Dann wundert ſich kein Menſch mehr über meine ſchwarzen
Hände und die ewige Lampe in meiner Werkſtatt. Nur dem
Steuermann klage ich nach Noten meinen Dalles, denn der
gehört zu den Leuten, denen ich nicht traue. . . Ich würde
gerne mitgehen zum Begräbniß, lieber Herr Timpe, aber die
„Goldene Hundertzehn“ hat keinen paſſenden Anzug für mich
gefunden, und mein alter Schneider iſt jetzt ſelbſt ſo arm,
daß ich ihm jedesmal aus dem Wege gehe, denn ich fürchte,
er könnte mich anpumpen.“

Timpe wollte nach dieſen Worten das Geld nicht
nehmen; aber Nölte rief die Todte zum Zeugen an, daß
er im Weigerungsfalle dem Meiſter die Freundſchaft
kündigen werde. Da es gerade nach Tiſch war, ſo bekamen
die Kinder Kaffee und zwei Schnitten Brod, die Marie
Beyer ſo dick mit Butter beſtrichen hatte, daß Nölte meinte,
es ſei jammerſchade, denn man könnte mindeſtens ſechs damit
beſtreichen.

Es war an einem Wintertage. Um vier Uhr ſollte das
Begräbniß ſtattfinden. Gerade als man Anſtalten machen
wollte, den Sarg zuzuſchrauben, wurde die Thür geöffnet und

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[249/0261] hannes bei Seite und erinnerte ihn an etwas, was dieſer bereits vergeſſen hatte. „Wiſſen Sie, lieber Herr Timpe,“ ſagte er leiſe, „ich kann Ihnen noch nicht alles auf einmal wiedergeben, aber die Hälfte habe ich mitgebracht. Sie werden es gewiß jetzt ſelbſt gebrauchen. . . . Man erzählt ſich ſo mancherlei . . . aber Sie thun ganz recht daran, den Leuten etwas aufzubinden. Wenn mich heute Jemand fragt, wie es geht, ſo ſage ich ihm ein¬ fach: ich müßte mich von früh bis ſpät quälen, weil meine zwanzig Geſellen die Arbeit nicht mehr ſchaffen könnten. Dann wundert ſich kein Menſch mehr über meine ſchwarzen Hände und die ewige Lampe in meiner Werkſtatt. Nur dem Steuermann klage ich nach Noten meinen Dalles, denn der gehört zu den Leuten, denen ich nicht traue. . . Ich würde gerne mitgehen zum Begräbniß, lieber Herr Timpe, aber die „Goldene Hundertzehn“ hat keinen paſſenden Anzug für mich gefunden, und mein alter Schneider iſt jetzt ſelbſt ſo arm, daß ich ihm jedesmal aus dem Wege gehe, denn ich fürchte, er könnte mich anpumpen.“ Timpe wollte nach dieſen Worten das Geld nicht nehmen; aber Nölte rief die Todte zum Zeugen an, daß er im Weigerungsfalle dem Meiſter die Freundſchaft kündigen werde. Da es gerade nach Tiſch war, ſo bekamen die Kinder Kaffee und zwei Schnitten Brod, die Marie Beyer ſo dick mit Butter beſtrichen hatte, daß Nölte meinte, es ſei jammerſchade, denn man könnte mindeſtens ſechs damit beſtreichen. Es war an einem Wintertage. Um vier Uhr ſollte das Begräbniß ſtattfinden. Gerade als man Anſtalten machen wollte, den Sarg zuzuſchrauben, wurde die Thür geöffnet und

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/261>, abgerufen am 22.11.2024.