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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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uch, mit dem Altgesellen in Güte sich auseinanderzusetzen.
Es fruchtete auch diesmal nichts. Er würde den Meister
unter solchen Verhältnissen erst recht nicht verlassen, erwiderte
er. Er erhebe ja nur Anspruch auf den niedrigsten Lohn,
den man sich nur denken könne. Timpe blieb ruhig und
ging hinaus. Als Beyer aber am nächsten Montag um sieben
Uhr wie gewöhnlich die Hausthür öffnen wollte, fand er
sie verschlossen. Er rüttelte und klopfte -- es wurde nicht
geöffnet. Dagegen steckte Timpe den Kopf zum Fenster hin¬
aus und warf dem Gehilfen das Arbeitszeug zu. Es war
nebelig und nur vereinzelt gingen die Menschen vorüber.
"Da Sie nicht gutwillig gehen wollen, so muß ich andere
Saiten aufspannen", schrie Timpe ihn an. Beyer möge sich
zu allen Teufeln scheren und die fürderhin zu bekehren ver¬
suchen, da fände er gewiß lohnendere Beschäftigung.

"Aber Meister, sind Sie von Sinnen? .."

Statt aller Antwort wurde der Laden herangezogen und
der Altgeselle hörte deutlich das Quietschen der Schraube, die
ihn befestigte. Das Haus sah nun aus, als läge sein einziger
Bewohner noch im tiefsten Schlafe.

Eine ganze Stunde lang schritt Beyer auf und ab. Der
Nebel zertheilte sich, es wurde heller, eilige Menschen liefen
an ihm vorüber, in dem Häuschen aber rührte sich nichts.
Endlich wurde es ihm unangenehm und er ging. Der
Meister hatte ihn durch das Luftloch des Ladens fortwährend
beobachtet und kochte nun beruhigt seinen Kaffee; während
er ihn schlürfte, lachte er über den gelungenen Streich. Das
Bewußtsein, daß er nun allein war und von einem Raume
in den anderen spazieren konnte, ohne einem Menschen zu
begegnen, verursachte ihm großes Behagen.

uch, mit dem Altgeſellen in Güte ſich auseinanderzuſetzen.
Es fruchtete auch diesmal nichts. Er würde den Meiſter
unter ſolchen Verhältniſſen erſt recht nicht verlaſſen, erwiderte
er. Er erhebe ja nur Anſpruch auf den niedrigſten Lohn,
den man ſich nur denken könne. Timpe blieb ruhig und
ging hinaus. Als Beyer aber am nächſten Montag um ſieben
Uhr wie gewöhnlich die Hausthür öffnen wollte, fand er
ſie verſchloſſen. Er rüttelte und klopfte — es wurde nicht
geöffnet. Dagegen ſteckte Timpe den Kopf zum Fenſter hin¬
aus und warf dem Gehilfen das Arbeitszeug zu. Es war
nebelig und nur vereinzelt gingen die Menſchen vorüber.
„Da Sie nicht gutwillig gehen wollen, ſo muß ich andere
Saiten aufſpannen“, ſchrie Timpe ihn an. Beyer möge ſich
zu allen Teufeln ſcheren und die fürderhin zu bekehren ver¬
ſuchen, da fände er gewiß lohnendere Beſchäftigung.

„Aber Meiſter, ſind Sie von Sinnen? ..“

Statt aller Antwort wurde der Laden herangezogen und
der Altgeſelle hörte deutlich das Quietſchen der Schraube, die
ihn befeſtigte. Das Haus ſah nun aus, als läge ſein einziger
Bewohner noch im tiefſten Schlafe.

Eine ganze Stunde lang ſchritt Beyer auf und ab. Der
Nebel zertheilte ſich, es wurde heller, eilige Menſchen liefen
an ihm vorüber, in dem Häuschen aber rührte ſich nichts.
Endlich wurde es ihm unangenehm und er ging. Der
Meiſter hatte ihn durch das Luftloch des Ladens fortwährend
beobachtet und kochte nun beruhigt ſeinen Kaffee; während
er ihn ſchlürfte, lachte er über den gelungenen Streich. Das
Bewußtſein, daß er nun allein war und von einem Raume
in den anderen ſpazieren konnte, ohne einem Menſchen zu
begegnen, verurſachte ihm großes Behagen.

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[265/0277] uch, mit dem Altgeſellen in Güte ſich auseinanderzuſetzen. Es fruchtete auch diesmal nichts. Er würde den Meiſter unter ſolchen Verhältniſſen erſt recht nicht verlaſſen, erwiderte er. Er erhebe ja nur Anſpruch auf den niedrigſten Lohn, den man ſich nur denken könne. Timpe blieb ruhig und ging hinaus. Als Beyer aber am nächſten Montag um ſieben Uhr wie gewöhnlich die Hausthür öffnen wollte, fand er ſie verſchloſſen. Er rüttelte und klopfte — es wurde nicht geöffnet. Dagegen ſteckte Timpe den Kopf zum Fenſter hin¬ aus und warf dem Gehilfen das Arbeitszeug zu. Es war nebelig und nur vereinzelt gingen die Menſchen vorüber. „Da Sie nicht gutwillig gehen wollen, ſo muß ich andere Saiten aufſpannen“, ſchrie Timpe ihn an. Beyer möge ſich zu allen Teufeln ſcheren und die fürderhin zu bekehren ver¬ ſuchen, da fände er gewiß lohnendere Beſchäftigung. „Aber Meiſter, ſind Sie von Sinnen? ..“ Statt aller Antwort wurde der Laden herangezogen und der Altgeſelle hörte deutlich das Quietſchen der Schraube, die ihn befeſtigte. Das Haus ſah nun aus, als läge ſein einziger Bewohner noch im tiefſten Schlafe. Eine ganze Stunde lang ſchritt Beyer auf und ab. Der Nebel zertheilte ſich, es wurde heller, eilige Menſchen liefen an ihm vorüber, in dem Häuschen aber rührte ſich nichts. Endlich wurde es ihm unangenehm und er ging. Der Meiſter hatte ihn durch das Luftloch des Ladens fortwährend beobachtet und kochte nun beruhigt ſeinen Kaffee; während er ihn ſchlürfte, lachte er über den gelungenen Streich. Das Bewußtſein, daß er nun allein war und von einem Raume in den anderen ſpazieren konnte, ohne einem Menſchen zu begegnen, verurſachte ihm großes Behagen.

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/277>, abgerufen am 22.11.2024.