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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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ihn dann eines Morgens auf der Straße getroffen, sich mit
ihm eine Weile unterhalten und dabei gefunden, daß Timpe
durchaus bei Verstande war.

In den ersten Tagen des Oktobers wurde Timpe
durch eine Kündigung der neuen Hypothek überrascht.
Dieser Schlag traf ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Er glaubte zu träumen, dann dachte er an einen schlechten
Scherz. Am späten Nachmittag war die Nachricht einge¬
troffen; sofort suchte er den Darleiher des Geldes auf.
Hier bewies er, wie vernünftig er noch denken und reden
konnte. Ob man sich denn nicht erinnere, daß man ihm die
feste Versicherung gegeben habe, die Hypothek würde in den
ersten zehn Jahren nicht gekündigt werden? Ackselzucken war
die Antwort. Man könne sich nicht mehr darauf besinnen. . .
nur, was man Schwarz auf Weiß besitze, sei von Gültigkeit.
Auf lange Auseinandersetzungen dürfe man sich nicht ein¬
lassen, denn das Geld würde nöthig gebraucht. Der Meister,
eingedenk der bereits einmal gemachten trüben Erfahrungen,
bot alles auf, um die Hypothek zu behalten. Er versprach
höhere Zinsen, aber als Antwort bekam er immer dasselbe:
Achselzucken nnd nochmals Achselzucken. Als er sah, daß hier die
schönsten Worte verschwendet waren, ging er, um aufs Neue
sein Heil bei Geldmenschen zu versuchen. Binnen einer
Stunde war er wieder in das aufregende Gewühl des Welt¬
stadtlebens hinausgeschleudert. Sechs Wochen lang bemühte
er sich abermals vergeblich. Zuletzt schwand ihm aller
Muth und die Hoffnungslosigkeit bemächtigte sich seiner
in nie erwartetem Maße. Es war weniger der Gedanke an
den Vermögensverlust, der ihn so tief ergriff und schmerzte,
als der, daß er aus seinem Heim vertrieben werden könnte.

Kretzer, Meister Timpe. 18

ihn dann eines Morgens auf der Straße getroffen, ſich mit
ihm eine Weile unterhalten und dabei gefunden, daß Timpe
durchaus bei Verſtande war.

In den erſten Tagen des Oktobers wurde Timpe
durch eine Kündigung der neuen Hypothek überraſcht.
Dieſer Schlag traf ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Er glaubte zu träumen, dann dachte er an einen ſchlechten
Scherz. Am ſpäten Nachmittag war die Nachricht einge¬
troffen; ſofort ſuchte er den Darleiher des Geldes auf.
Hier bewies er, wie vernünftig er noch denken und reden
konnte. Ob man ſich denn nicht erinnere, daß man ihm die
feſte Verſicherung gegeben habe, die Hypothek würde in den
erſten zehn Jahren nicht gekündigt werden? Ackſelzucken war
die Antwort. Man könne ſich nicht mehr darauf beſinnen. . .
nur, was man Schwarz auf Weiß beſitze, ſei von Gültigkeit.
Auf lange Auseinanderſetzungen dürfe man ſich nicht ein¬
laſſen, denn das Geld würde nöthig gebraucht. Der Meiſter,
eingedenk der bereits einmal gemachten trüben Erfahrungen,
bot alles auf, um die Hypothek zu behalten. Er verſprach
höhere Zinſen, aber als Antwort bekam er immer daſſelbe:
Achſelzucken nnd nochmals Achſelzucken. Als er ſah, daß hier die
ſchönſten Worte verſchwendet waren, ging er, um aufs Neue
ſein Heil bei Geldmenſchen zu verſuchen. Binnen einer
Stunde war er wieder in das aufregende Gewühl des Welt¬
ſtadtlebens hinausgeſchleudert. Sechs Wochen lang bemühte
er ſich abermals vergeblich. Zuletzt ſchwand ihm aller
Muth und die Hoffnungsloſigkeit bemächtigte ſich ſeiner
in nie erwartetem Maße. Es war weniger der Gedanke an
den Vermögensverluſt, der ihn ſo tief ergriff und ſchmerzte,
als der, daß er aus ſeinem Heim vertrieben werden könnte.

Kretzer, Meiſter Timpe. 18
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[273/0285] ihn dann eines Morgens auf der Straße getroffen, ſich mit ihm eine Weile unterhalten und dabei gefunden, daß Timpe durchaus bei Verſtande war. In den erſten Tagen des Oktobers wurde Timpe durch eine Kündigung der neuen Hypothek überraſcht. Dieſer Schlag traf ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Er glaubte zu träumen, dann dachte er an einen ſchlechten Scherz. Am ſpäten Nachmittag war die Nachricht einge¬ troffen; ſofort ſuchte er den Darleiher des Geldes auf. Hier bewies er, wie vernünftig er noch denken und reden konnte. Ob man ſich denn nicht erinnere, daß man ihm die feſte Verſicherung gegeben habe, die Hypothek würde in den erſten zehn Jahren nicht gekündigt werden? Ackſelzucken war die Antwort. Man könne ſich nicht mehr darauf beſinnen. . . nur, was man Schwarz auf Weiß beſitze, ſei von Gültigkeit. Auf lange Auseinanderſetzungen dürfe man ſich nicht ein¬ laſſen, denn das Geld würde nöthig gebraucht. Der Meiſter, eingedenk der bereits einmal gemachten trüben Erfahrungen, bot alles auf, um die Hypothek zu behalten. Er verſprach höhere Zinſen, aber als Antwort bekam er immer daſſelbe: Achſelzucken nnd nochmals Achſelzucken. Als er ſah, daß hier die ſchönſten Worte verſchwendet waren, ging er, um aufs Neue ſein Heil bei Geldmenſchen zu verſuchen. Binnen einer Stunde war er wieder in das aufregende Gewühl des Welt¬ ſtadtlebens hinausgeſchleudert. Sechs Wochen lang bemühte er ſich abermals vergeblich. Zuletzt ſchwand ihm aller Muth und die Hoffnungsloſigkeit bemächtigte ſich ſeiner in nie erwartetem Maße. Es war weniger der Gedanke an den Vermögensverluſt, der ihn ſo tief ergriff und ſchmerzte, als der, daß er aus ſeinem Heim vertrieben werden könnte. Kretzer, Meiſter Timpe. 18

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/285>, abgerufen am 22.11.2024.