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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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werde. . . . Adieu, du gutes Mädchen, laß nicht lange auf
Dich warten."

Er hatte mit bewegter Stimme gesprochen und küßte nun
seine Schwester auf die Stirn. Marie war außerordentlich
überrascht durch diese Mittheilung; sie wollte ihn zurück¬
halten, aber er ließ es nicht zu. Und so ging er denn von
dannen.

Marie sagte sich, daß etwas Besonderes vorgefallen sein
müsse; ihr Bruder wäre sonst nicht so merkwürdig gefaßt
gewesen. Sie ärgerte sich darüber, daß dieser alte Herr,
um den man sich wie um einen Vater bekümmert hatte, so
wenig Anerkennung aller Bemühungen übrig hatte. Zu dem
Aerger kam die verletzte Eitelkeit des Weibes. War sie
überdies nicht die Schwester eines so braven Bruders, der sich
für ein wahres Trinkgeld von früh bis spät gequält hatte, nur
um dem Meister seine Dankbarkeit zu erweisen? Wer hätte
sich wohl um ihn bekümmert, wenn sie beide nicht gewesen wären?
Tausend Andere nicht, am allerwenigsten seine "ver¬
wandtschaftliche Sippschaft", die doch ihrer Meinung nach
"genug in die Suppe zu brocken" hatte. Wie Thomas die
Lippen zitterten, als er von dem letzten Gruß an den Meister
sprach. Er war doch ein eigenthümlicher Mensch: ließ sich
schlecht behandeln, und konnte doch mit seiner Verehrung für Timpe
nicht zurückhalten. Marie liebte ihren Bruder zärtlich und
abgöttisch, fast wie einen zweiten Vater. Hatte er doch wie
ein solcher sein ganzes Leben lang für sie gesorgt, sie wie eine
arme, verlassene Blume gehegt und gepflegt, die abseits vom
Wege in einem dunklen Winkel sieht, zu dem selten ein
Strahl der Sonne sich verirrt. Um so erklärlicher wird man
es finden, wenn etwas wie Zorn in ihr aufstieg und sie das

werde. . . . Adieu, du gutes Mädchen, laß nicht lange auf
Dich warten.“

Er hatte mit bewegter Stimme geſprochen und küßte nun
ſeine Schweſter auf die Stirn. Marie war außerordentlich
überraſcht durch dieſe Mittheilung; ſie wollte ihn zurück¬
halten, aber er ließ es nicht zu. Und ſo ging er denn von
dannen.

Marie ſagte ſich, daß etwas Beſonderes vorgefallen ſein
müſſe; ihr Bruder wäre ſonſt nicht ſo merkwürdig gefaßt
geweſen. Sie ärgerte ſich darüber, daß dieſer alte Herr,
um den man ſich wie um einen Vater bekümmert hatte, ſo
wenig Anerkennung aller Bemühungen übrig hatte. Zu dem
Aerger kam die verletzte Eitelkeit des Weibes. War ſie
überdies nicht die Schweſter eines ſo braven Bruders, der ſich
für ein wahres Trinkgeld von früh bis ſpät gequält hatte, nur
um dem Meiſter ſeine Dankbarkeit zu erweiſen? Wer hätte
ſich wohl um ihn bekümmert, wenn ſie beide nicht geweſen wären?
Tauſend Andere nicht, am allerwenigſten ſeine „ver¬
wandtſchaftliche Sippſchaft“, die doch ihrer Meinung nach
„genug in die Suppe zu brocken“ hatte. Wie Thomas die
Lippen zitterten, als er von dem letzten Gruß an den Meiſter
ſprach. Er war doch ein eigenthümlicher Menſch: ließ ſich
ſchlecht behandeln, und konnte doch mit ſeiner Verehrung für Timpe
nicht zurückhalten. Marie liebte ihren Bruder zärtlich und
abgöttiſch, faſt wie einen zweiten Vater. Hatte er doch wie
ein ſolcher ſein ganzes Leben lang für ſie geſorgt, ſie wie eine
arme, verlaſſene Blume gehegt und gepflegt, die abſeits vom
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Strahl der Sonne ſich verirrt. Um ſo erklärlicher wird man
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[310/0322] werde. . . . Adieu, du gutes Mädchen, laß nicht lange auf Dich warten.“ Er hatte mit bewegter Stimme geſprochen und küßte nun ſeine Schweſter auf die Stirn. Marie war außerordentlich überraſcht durch dieſe Mittheilung; ſie wollte ihn zurück¬ halten, aber er ließ es nicht zu. Und ſo ging er denn von dannen. Marie ſagte ſich, daß etwas Beſonderes vorgefallen ſein müſſe; ihr Bruder wäre ſonſt nicht ſo merkwürdig gefaßt geweſen. Sie ärgerte ſich darüber, daß dieſer alte Herr, um den man ſich wie um einen Vater bekümmert hatte, ſo wenig Anerkennung aller Bemühungen übrig hatte. Zu dem Aerger kam die verletzte Eitelkeit des Weibes. War ſie überdies nicht die Schweſter eines ſo braven Bruders, der ſich für ein wahres Trinkgeld von früh bis ſpät gequält hatte, nur um dem Meiſter ſeine Dankbarkeit zu erweiſen? Wer hätte ſich wohl um ihn bekümmert, wenn ſie beide nicht geweſen wären? Tauſend Andere nicht, am allerwenigſten ſeine „ver¬ wandtſchaftliche Sippſchaft“, die doch ihrer Meinung nach „genug in die Suppe zu brocken“ hatte. Wie Thomas die Lippen zitterten, als er von dem letzten Gruß an den Meiſter ſprach. Er war doch ein eigenthümlicher Menſch: ließ ſich ſchlecht behandeln, und konnte doch mit ſeiner Verehrung für Timpe nicht zurückhalten. Marie liebte ihren Bruder zärtlich und abgöttiſch, faſt wie einen zweiten Vater. Hatte er doch wie ein ſolcher ſein ganzes Leben lang für ſie geſorgt, ſie wie eine arme, verlaſſene Blume gehegt und gepflegt, die abſeits vom Wege in einem dunklen Winkel ſieht, zu dem ſelten ein Strahl der Sonne ſich verirrt. Um ſo erklärlicher wird man es finden, wenn etwas wie Zorn in ihr aufſtieg und ſie das

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/322>, abgerufen am 21.11.2024.