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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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wahrte sich "entschieden" dagegen, mit dem "blutigen Re¬
volutionär" näher befreundet gewesen zu sein. Und da Anton
Nölte nicht mehr zugegen war, um für Timpe Partei zu
nehmen, so wurde der Letztere jeden Abend ein Dutzend Mal
gekreuzigt -- eine menschenfreundliche Beschäftigung, bei der
Jamrath mit Vergnügen konstatiren konnte, daß der Konsum
der großen Weißen sich vermehrte. Selbst der lange Brümmer
trank mehr als sonst und drückte bis halb elf seinen Stuhl
-- eine Hintenansetzung seiner Lebensregel, die man in An¬
betracht dessen, daß er eine zanksüchtige Ehehälfte besaß, all¬
gemein bewunderte.

Zwei Tage vor Weihnachten machte Franzen's Frau
noch einmal den Versuch, mit Johannes ein vernünftiges
Wort zu reden; da ihr aber garnicht geöffnet wurde, mußte
sie unverrichteter Sache wieder abziehen. Bis Neujahr hockte
der Meister in seinem Bau, ohne von der Außenwelt mehr
zu sehen als sein Gärtchen, die Wand des Kesselhauses und
den Schornstein, der sich auf ihr thürmte.

Es war unverkennbare Schwermuth, die sich jetzt seiner
bemächtigte und seinem Antlitz eine verklärende Milde gab.
Sie verließ ihn nur, wenn er dem Schnapse zu sehr zu¬
gesprochen hatte. Er trank ihn jetzt, um nicht gänzlich zu
erschlaffen und die letzten Kräfte zur Arbeit nicht zu ver¬
lieren. Dann röthete sich sein Gesicht, ein unnatürlicher Lebens¬
muth kam über ihn und er sprach laut vor sich hin, um das
dumpfe Schweigen der Werkstatt zu brechen. Oftmals wurde
er von dieser traurigen Existenz angeekelt, daß er nahe
daran war, sich selbst zu verachten. Tage vergingen, ehe er
eine warme Speise zu sich nahm. Seine Mahlzeiten bestanden
nur noch aus Kaffee, Brod und etwas Räucherwaare. Hin

wahrte ſich „entſchieden“ dagegen, mit dem „blutigen Re¬
volutionär“ näher befreundet geweſen zu ſein. Und da Anton
Nölte nicht mehr zugegen war, um für Timpe Partei zu
nehmen, ſo wurde der Letztere jeden Abend ein Dutzend Mal
gekreuzigt — eine menſchenfreundliche Beſchäftigung, bei der
Jamrath mit Vergnügen konſtatiren konnte, daß der Konſum
der großen Weißen ſich vermehrte. Selbſt der lange Brümmer
trank mehr als ſonſt und drückte bis halb elf ſeinen Stuhl
— eine Hintenanſetzung ſeiner Lebensregel, die man in An¬
betracht deſſen, daß er eine zankſüchtige Ehehälfte beſaß, all¬
gemein bewunderte.

Zwei Tage vor Weihnachten machte Franzen's Frau
noch einmal den Verſuch, mit Johannes ein vernünftiges
Wort zu reden; da ihr aber garnicht geöffnet wurde, mußte
ſie unverrichteter Sache wieder abziehen. Bis Neujahr hockte
der Meiſter in ſeinem Bau, ohne von der Außenwelt mehr
zu ſehen als ſein Gärtchen, die Wand des Keſſelhauſes und
den Schornſtein, der ſich auf ihr thürmte.

Es war unverkennbare Schwermuth, die ſich jetzt ſeiner
bemächtigte und ſeinem Antlitz eine verklärende Milde gab.
Sie verließ ihn nur, wenn er dem Schnapſe zu ſehr zu¬
geſprochen hatte. Er trank ihn jetzt, um nicht gänzlich zu
erſchlaffen und die letzten Kräfte zur Arbeit nicht zu ver¬
lieren. Dann röthete ſich ſein Geſicht, ein unnatürlicher Lebens¬
muth kam über ihn und er ſprach laut vor ſich hin, um das
dumpfe Schweigen der Werkſtatt zu brechen. Oftmals wurde
er von dieſer traurigen Exiſtenz angeekelt, daß er nahe
daran war, ſich ſelbſt zu verachten. Tage vergingen, ehe er
eine warme Speiſe zu ſich nahm. Seine Mahlzeiten beſtanden
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[318/0330] wahrte ſich „entſchieden“ dagegen, mit dem „blutigen Re¬ volutionär“ näher befreundet geweſen zu ſein. Und da Anton Nölte nicht mehr zugegen war, um für Timpe Partei zu nehmen, ſo wurde der Letztere jeden Abend ein Dutzend Mal gekreuzigt — eine menſchenfreundliche Beſchäftigung, bei der Jamrath mit Vergnügen konſtatiren konnte, daß der Konſum der großen Weißen ſich vermehrte. Selbſt der lange Brümmer trank mehr als ſonſt und drückte bis halb elf ſeinen Stuhl — eine Hintenanſetzung ſeiner Lebensregel, die man in An¬ betracht deſſen, daß er eine zankſüchtige Ehehälfte beſaß, all¬ gemein bewunderte. Zwei Tage vor Weihnachten machte Franzen's Frau noch einmal den Verſuch, mit Johannes ein vernünftiges Wort zu reden; da ihr aber garnicht geöffnet wurde, mußte ſie unverrichteter Sache wieder abziehen. Bis Neujahr hockte der Meiſter in ſeinem Bau, ohne von der Außenwelt mehr zu ſehen als ſein Gärtchen, die Wand des Keſſelhauſes und den Schornſtein, der ſich auf ihr thürmte. Es war unverkennbare Schwermuth, die ſich jetzt ſeiner bemächtigte und ſeinem Antlitz eine verklärende Milde gab. Sie verließ ihn nur, wenn er dem Schnapſe zu ſehr zu¬ geſprochen hatte. Er trank ihn jetzt, um nicht gänzlich zu erſchlaffen und die letzten Kräfte zur Arbeit nicht zu ver¬ lieren. Dann röthete ſich ſein Geſicht, ein unnatürlicher Lebens¬ muth kam über ihn und er ſprach laut vor ſich hin, um das dumpfe Schweigen der Werkſtatt zu brechen. Oftmals wurde er von dieſer traurigen Exiſtenz angeekelt, daß er nahe daran war, ſich ſelbſt zu verachten. Tage vergingen, ehe er eine warme Speiſe zu ſich nahm. Seine Mahlzeiten beſtanden nur noch aus Kaffee, Brod und etwas Räucherwaare. Hin

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/330>, abgerufen am 24.11.2024.