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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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vollzieher im Spiele sei, der einen Menschen aus seinem Heim
vertreiben wolle, als die allgemeine Stimmung zu Gunsten
Timpe's umschlug. Er war über Nacht ein "braver Kerl"
geworden. Drohungen wurden laut, man versuchte die Arbeiter
zu bewegen, mit ihren Wagen davon zu fahren; die Menge
pfiff und johlte und drängte mit Gewalt gegen das Haus.

Im Innern desselben hatte man die größte Mühe, zu
dem nächstfolgenden Raume sich Zutritt zu verschaffen. Hinter
jeder Thür tauchte eine doppelte Barrikade auf, große Kisten
waren auf Tische gestellt und auf diese Stühle und schwere
Möbelstücke. Bei jedem erneuerten Eindringen ließ der Alt¬
geselle seinen Ruf erschallen:

"Meister, wo stecken Sie denn? Kommen Sie doch hervor!"

Noch waren die Thüren zur Werkstatt geschlossen; lange
Eisenstäbe schienen hinter ihnen zu liegen. Man stieß dann
die Hofthür ein, riß die Laden von den Werkstattfenstern und
blickte hinein. Plötzlich drang aus einem Haufen Holzspähne
eine helle Flamme hervor und dunkler Qualm wälzte sich
durch die eingeschlagenen Scheiben. Von der Werkstatt aus
führte eine Fallthür zum Keller hinab. Man konnte deutlich
die hochstehende Klappe sehen. Nun durchzuckte den Alt¬
gesellen ein Gedanke.

"Er ist im Keller!" rief er laut, und diesen Worten
folgten wieder die alten Klagetöne: "Meister, Meister, ant¬
worten Sie doch!"

Plötzlich konnte man deutlich eine dumpfe Stimme ver¬
nehmen, welche die Strophen sang:

"Eine feste Burg ist unser Gott,
Eine gute Wehr und Waffen.
-- -- -- -- -- -- -- -- --"

vollzieher im Spiele ſei, der einen Menſchen aus ſeinem Heim
vertreiben wolle, als die allgemeine Stimmung zu Gunſten
Timpe's umſchlug. Er war über Nacht ein „braver Kerl“
geworden. Drohungen wurden laut, man verſuchte die Arbeiter
zu bewegen, mit ihren Wagen davon zu fahren; die Menge
pfiff und johlte und drängte mit Gewalt gegen das Haus.

Im Innern deſſelben hatte man die größte Mühe, zu
dem nächſtfolgenden Raume ſich Zutritt zu verſchaffen. Hinter
jeder Thür tauchte eine doppelte Barrikade auf, große Kiſten
waren auf Tiſche geſtellt und auf dieſe Stühle und ſchwere
Möbelſtücke. Bei jedem erneuerten Eindringen ließ der Alt¬
geſelle ſeinen Ruf erſchallen:

„Meiſter, wo ſtecken Sie denn? Kommen Sie doch hervor!“

Noch waren die Thüren zur Werkſtatt geſchloſſen; lange
Eiſenſtäbe ſchienen hinter ihnen zu liegen. Man ſtieß dann
die Hofthür ein, riß die Laden von den Werkſtattfenſtern und
blickte hinein. Plötzlich drang aus einem Haufen Holzſpähne
eine helle Flamme hervor und dunkler Qualm wälzte ſich
durch die eingeſchlagenen Scheiben. Von der Werkſtatt aus
führte eine Fallthür zum Keller hinab. Man konnte deutlich
die hochſtehende Klappe ſehen. Nun durchzuckte den Alt¬
geſellen ein Gedanke.

„Er iſt im Keller!“ rief er laut, und dieſen Worten
folgten wieder die alten Klagetöne: „Meiſter, Meiſter, ant¬
worten Sie doch!“

Plötzlich konnte man deutlich eine dumpfe Stimme ver¬
nehmen, welche die Strophen ſang:

„Eine feſte Burg iſt unſer Gott,
Eine gute Wehr und Waffen.
— — — — — — — — —“
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[324/0336] vollzieher im Spiele ſei, der einen Menſchen aus ſeinem Heim vertreiben wolle, als die allgemeine Stimmung zu Gunſten Timpe's umſchlug. Er war über Nacht ein „braver Kerl“ geworden. Drohungen wurden laut, man verſuchte die Arbeiter zu bewegen, mit ihren Wagen davon zu fahren; die Menge pfiff und johlte und drängte mit Gewalt gegen das Haus. Im Innern deſſelben hatte man die größte Mühe, zu dem nächſtfolgenden Raume ſich Zutritt zu verſchaffen. Hinter jeder Thür tauchte eine doppelte Barrikade auf, große Kiſten waren auf Tiſche geſtellt und auf dieſe Stühle und ſchwere Möbelſtücke. Bei jedem erneuerten Eindringen ließ der Alt¬ geſelle ſeinen Ruf erſchallen: „Meiſter, wo ſtecken Sie denn? Kommen Sie doch hervor!“ Noch waren die Thüren zur Werkſtatt geſchloſſen; lange Eiſenſtäbe ſchienen hinter ihnen zu liegen. Man ſtieß dann die Hofthür ein, riß die Laden von den Werkſtattfenſtern und blickte hinein. Plötzlich drang aus einem Haufen Holzſpähne eine helle Flamme hervor und dunkler Qualm wälzte ſich durch die eingeſchlagenen Scheiben. Von der Werkſtatt aus führte eine Fallthür zum Keller hinab. Man konnte deutlich die hochſtehende Klappe ſehen. Nun durchzuckte den Alt¬ geſellen ein Gedanke. „Er iſt im Keller!“ rief er laut, und dieſen Worten folgten wieder die alten Klagetöne: „Meiſter, Meiſter, ant¬ worten Sie doch!“ Plötzlich konnte man deutlich eine dumpfe Stimme ver¬ nehmen, welche die Strophen ſang: „Eine feſte Burg iſt unſer Gott, Eine gute Wehr und Waffen. — — — — — — — — —“

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/336>, abgerufen am 21.11.2024.