Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Die beiden Mädchen waren bei den rasch hinter¬
einander herausgeschnarrten, mit Pathos gesprochenen Worten
starr geworden und blickten mit dem Ausdruck unverhohlener
Bewunderung auf ihren Begleiter. Emma konnte sich nicht
enthalten zu sagen:

"Sie sind ja ein furchtbar großer Redner geworden,
seitdem wir uns nicht gesehen haben, Herr Timpe".

Und Therese drückte ihrer Begleiterin den Arm und
flüstertte leise: "Ein netter Mensch, nicht wahr?"

Franz Timpe aber, geschmeichelt durch die Anerkennung
Emmas, und im Gefühle der großen Rolle, die er hier spielte,
ordnete mit Zeigefinger und Daumen der rechten Hand
abermals den Modezipfel der Brusttasche, spielte eine Weile
mit den Glaceehandschuhen, die er aus Rücksicht gegen die
Damen hervorgelangt hatte, und fuhr fort:

"Herr Urban, Ihr Stiefvater, mag Ihnen persönlich
nicht gefallen, mein verehrtes Fräulein, aber er ist mein
Chef, ein bedeutender Industrieller, und aus diesem Grunde
sehe ich mich genöthigt, eine Lanze für ihn zu
brechen . . . Er ist derjenige Mann, der die
ganz überflüssige Existenz dieser Bäume und dieses Gartens
hier zuerst erkannt hat. Dieses Lob gebührt ihm . . . Be¬
denken Sie nur, was für ein Verdienst er sich dadurch er¬
wirbt: er wird an dieser Stelle prächtige Fabriken erbauen,
hunderte von Menschen in ihnen beschäftigen, -- Leute, die
durch ihn vielleicht vor dem Hungertode gerettet werden.
Herr Urban wird dadurch zu gleicher Zeit zu einem
großen Menschenfreude, denn er giebt den Leuten Arbeit
und Brod. Aber nicht nur das: die Industrie wird ihm
äußerst dankbar sein müssen, ja ich behaupte kühn: die ganze

Die beiden Mädchen waren bei den raſch hinter¬
einander herausgeſchnarrten, mit Pathos geſprochenen Worten
ſtarr geworden und blickten mit dem Ausdruck unverhohlener
Bewunderung auf ihren Begleiter. Emma konnte ſich nicht
enthalten zu ſagen:

„Sie ſind ja ein furchtbar großer Redner geworden,
ſeitdem wir uns nicht geſehen haben, Herr Timpe“.

Und Thereſe drückte ihrer Begleiterin den Arm und
flüſtertte leiſe: „Ein netter Menſch, nicht wahr?“

Franz Timpe aber, geſchmeichelt durch die Anerkennung
Emmas, und im Gefühle der großen Rolle, die er hier ſpielte,
ordnete mit Zeigefinger und Daumen der rechten Hand
abermals den Modezipfel der Bruſttaſche, ſpielte eine Weile
mit den Glaceehandſchuhen, die er aus Rückſicht gegen die
Damen hervorgelangt hatte, und fuhr fort:

„Herr Urban, Ihr Stiefvater, mag Ihnen perſönlich
nicht gefallen, mein verehrtes Fräulein, aber er iſt mein
Chef, ein bedeutender Induſtrieller, und aus dieſem Grunde
ſehe ich mich genöthigt, eine Lanze für ihn zu
brechen . . . Er iſt derjenige Mann, der die
ganz überflüſſige Exiſtenz dieſer Bäume und dieſes Gartens
hier zuerſt erkannt hat. Dieſes Lob gebührt ihm . . . Be¬
denken Sie nur, was für ein Verdienſt er ſich dadurch er¬
wirbt: er wird an dieſer Stelle prächtige Fabriken erbauen,
hunderte von Menſchen in ihnen beſchäftigen, — Leute, die
durch ihn vielleicht vor dem Hungertode gerettet werden.
Herr Urban wird dadurch zu gleicher Zeit zu einem
großen Menſchenfreude, denn er giebt den Leuten Arbeit
und Brod. Aber nicht nur das: die Induſtrie wird ihm
äußerſt dankbar ſein müſſen, ja ich behaupte kühn: die ganze

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0069" n="57"/>
        <p>Die beiden Mädchen waren bei den ra&#x017F;ch hinter¬<lb/>
einander herausge&#x017F;chnarrten, mit Pathos ge&#x017F;prochenen Worten<lb/>
&#x017F;tarr geworden und blickten mit dem Ausdruck unverhohlener<lb/>
Bewunderung auf ihren Begleiter. Emma konnte &#x017F;ich nicht<lb/>
enthalten zu &#x017F;agen:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie &#x017F;ind ja ein furchtbar großer Redner geworden,<lb/>
&#x017F;eitdem wir uns nicht ge&#x017F;ehen haben, Herr Timpe&#x201C;.</p><lb/>
        <p>Und There&#x017F;e drückte ihrer Begleiterin den Arm und<lb/>
flü&#x017F;tertte lei&#x017F;e: &#x201E;Ein netter Men&#x017F;ch, nicht wahr?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Franz Timpe aber, ge&#x017F;chmeichelt durch die Anerkennung<lb/>
Emmas, und im Gefühle der großen Rolle, die er hier &#x017F;pielte,<lb/>
ordnete mit Zeigefinger und Daumen der rechten Hand<lb/>
abermals den Modezipfel der Bru&#x017F;tta&#x017F;che, &#x017F;pielte eine Weile<lb/>
mit den Glaceehand&#x017F;chuhen, die er aus Rück&#x017F;icht gegen die<lb/>
Damen hervorgelangt hatte, und fuhr fort:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Herr Urban, Ihr Stiefvater, mag Ihnen per&#x017F;önlich<lb/>
nicht gefallen, mein verehrtes Fräulein, aber er i&#x017F;t mein<lb/>
Chef, ein bedeutender Indu&#x017F;trieller, und aus die&#x017F;em Grunde<lb/>
&#x017F;ehe ich mich genöthigt, eine Lanze für ihn zu<lb/>
brechen . . . Er i&#x017F;t derjenige Mann, der die<lb/>
ganz überflü&#x017F;&#x017F;ige Exi&#x017F;tenz die&#x017F;er Bäume und die&#x017F;es Gartens<lb/>
hier zuer&#x017F;t erkannt hat. Die&#x017F;es Lob gebührt ihm . . . Be¬<lb/>
denken Sie nur, was für ein Verdien&#x017F;t er &#x017F;ich dadurch er¬<lb/>
wirbt: er wird an die&#x017F;er Stelle prächtige Fabriken erbauen,<lb/>
hunderte von Men&#x017F;chen in ihnen be&#x017F;chäftigen, &#x2014; Leute, die<lb/>
durch ihn vielleicht vor dem Hungertode gerettet werden.<lb/>
Herr Urban wird dadurch zu gleicher Zeit zu einem<lb/>
großen Men&#x017F;chenfreude, denn er giebt den Leuten Arbeit<lb/>
und Brod. Aber nicht nur das: die Indu&#x017F;trie wird ihm<lb/>
äußer&#x017F;t dankbar &#x017F;ein mü&#x017F;&#x017F;en, ja ich behaupte kühn: die ganze<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0069] Die beiden Mädchen waren bei den raſch hinter¬ einander herausgeſchnarrten, mit Pathos geſprochenen Worten ſtarr geworden und blickten mit dem Ausdruck unverhohlener Bewunderung auf ihren Begleiter. Emma konnte ſich nicht enthalten zu ſagen: „Sie ſind ja ein furchtbar großer Redner geworden, ſeitdem wir uns nicht geſehen haben, Herr Timpe“. Und Thereſe drückte ihrer Begleiterin den Arm und flüſtertte leiſe: „Ein netter Menſch, nicht wahr?“ Franz Timpe aber, geſchmeichelt durch die Anerkennung Emmas, und im Gefühle der großen Rolle, die er hier ſpielte, ordnete mit Zeigefinger und Daumen der rechten Hand abermals den Modezipfel der Bruſttaſche, ſpielte eine Weile mit den Glaceehandſchuhen, die er aus Rückſicht gegen die Damen hervorgelangt hatte, und fuhr fort: „Herr Urban, Ihr Stiefvater, mag Ihnen perſönlich nicht gefallen, mein verehrtes Fräulein, aber er iſt mein Chef, ein bedeutender Induſtrieller, und aus dieſem Grunde ſehe ich mich genöthigt, eine Lanze für ihn zu brechen . . . Er iſt derjenige Mann, der die ganz überflüſſige Exiſtenz dieſer Bäume und dieſes Gartens hier zuerſt erkannt hat. Dieſes Lob gebührt ihm . . . Be¬ denken Sie nur, was für ein Verdienſt er ſich dadurch er¬ wirbt: er wird an dieſer Stelle prächtige Fabriken erbauen, hunderte von Menſchen in ihnen beſchäftigen, — Leute, die durch ihn vielleicht vor dem Hungertode gerettet werden. Herr Urban wird dadurch zu gleicher Zeit zu einem großen Menſchenfreude, denn er giebt den Leuten Arbeit und Brod. Aber nicht nur das: die Induſtrie wird ihm äußerſt dankbar ſein müſſen, ja ich behaupte kühn: die ganze

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/69
Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/69>, abgerufen am 24.11.2024.