Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.rathen, der dichtbesetzt mit einer buntschillernden Menge daher¬ Aus der Ferne klang der Gesang eines Liebespärchens "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, ließ sich deutlich vernehmen, als ein Beweis dafür, daß dasDaß ich so traurig bin," Berliner Volk die ernstesten Lieder zu singen pflegt, wenn es am lustigsten ist. War die Luft besonders rein, so erlangte Timpe's Blick rathen, der dichtbeſetzt mit einer buntſchillernden Menge daher¬ Aus der Ferne klang der Geſang eines Liebespärchens „Ich weiß nicht, was ſoll es bedeuten, ließ ſich deutlich vernehmen, als ein Beweis dafür, daß dasDaß ich ſo traurig bin,“ Berliner Volk die ernſteſten Lieder zu ſingen pflegt, wenn es am luſtigſten iſt. War die Luft beſonders rein, ſo erlangte Timpe's Blick <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0083" n="71"/> rathen, der dichtbeſetzt mit einer buntſchillernden Menge daher¬<lb/> gebrauſt kam und mit ſeinen Wellenſchlägen den Strand er¬<lb/> zittern machte.</p><lb/> <p>Aus der Ferne klang der Geſang eines Liebespärchens<lb/> herüber. Waghalſig ſchaukelte es das Boot, ſo daß der<lb/> Rand deſſelben das Waſſer berührte. Das helle Kleid<lb/> des Mädchens leuchtete wie das Gefieder eines Schwanes.<lb/> Der männliche Begleiter aber lag ausgeſtreckt an ihrer<lb/> Seite, wiegte den Körper nach rechts und links, ſo daß das<lb/> Fahrzeug ſchwankte und ließ ſich und ſein Liebchen ſorglos der<lb/> Stadt zutreiben.<lb/><lg><l>„Ich weiß nicht, was ſoll es bedeuten,</l><lb/><l>Daß ich ſo traurig bin,“</l></lg><lb/> ließ ſich deutlich vernehmen, als ein Beweis dafür, daß das<lb/> Berliner Volk die ernſteſten Lieder zu ſingen pflegt, wenn es<lb/> am luſtigſten iſt.</p><lb/> <p>War die Luft beſonders rein, ſo erlangte Timpe's Blick<lb/> eine unbegrenzte Weite. Ueber die Schillings-Brücke<lb/> hinweg, auf welcher in der Feierabendſtunde, begleitet von<lb/> den vorüber rollenden Pferdebahnwagen und hundert<lb/> anderen Gefährten, Ameiſen gleich ein Strom von Menſchen<lb/> ſich bewegte, da, wo das Waſſer der Spree wie ein<lb/> gewundener Silberbarren ſich dahinzog, erreichte ſein Auge<lb/> die Oberbaum-Brücke und hinter ihr die erſten Pappeln der<lb/> Chauſſee, die nach Stralau führte. Und über dieſe Welt¬<lb/> ſtädtiſche Szenerie, die in Zickzacklinien ins Unendliche ſich<lb/> zu verlängern ſchien, breitete ſich das letzte matte Roth der<lb/> herniedergeſunkenen Sonne aus und hüllte Natur und Men¬<lb/> ſchen in einen warmen, zarten Purpurflimmer.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [71/0083]
rathen, der dichtbeſetzt mit einer buntſchillernden Menge daher¬
gebrauſt kam und mit ſeinen Wellenſchlägen den Strand er¬
zittern machte.
Aus der Ferne klang der Geſang eines Liebespärchens
herüber. Waghalſig ſchaukelte es das Boot, ſo daß der
Rand deſſelben das Waſſer berührte. Das helle Kleid
des Mädchens leuchtete wie das Gefieder eines Schwanes.
Der männliche Begleiter aber lag ausgeſtreckt an ihrer
Seite, wiegte den Körper nach rechts und links, ſo daß das
Fahrzeug ſchwankte und ließ ſich und ſein Liebchen ſorglos der
Stadt zutreiben.
„Ich weiß nicht, was ſoll es bedeuten,
Daß ich ſo traurig bin,“
ließ ſich deutlich vernehmen, als ein Beweis dafür, daß das
Berliner Volk die ernſteſten Lieder zu ſingen pflegt, wenn es
am luſtigſten iſt.
War die Luft beſonders rein, ſo erlangte Timpe's Blick
eine unbegrenzte Weite. Ueber die Schillings-Brücke
hinweg, auf welcher in der Feierabendſtunde, begleitet von
den vorüber rollenden Pferdebahnwagen und hundert
anderen Gefährten, Ameiſen gleich ein Strom von Menſchen
ſich bewegte, da, wo das Waſſer der Spree wie ein
gewundener Silberbarren ſich dahinzog, erreichte ſein Auge
die Oberbaum-Brücke und hinter ihr die erſten Pappeln der
Chauſſee, die nach Stralau führte. Und über dieſe Welt¬
ſtädtiſche Szenerie, die in Zickzacklinien ins Unendliche ſich
zu verlängern ſchien, breitete ſich das letzte matte Roth der
herniedergeſunkenen Sonne aus und hüllte Natur und Men¬
ſchen in einen warmen, zarten Purpurflimmer.
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