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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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Krusemeyer antwortete nicht, machte aber eine leicht ver¬
ständliche Geberde: man solle den Großvater entfernen. Das
Ehepaar sah sich bestürzt an; denn wenn Krusemeyer dieses
Verlangen stellte, so mußte etwas ganz Besonderes passirt
sein. Zum Glück war die Zeit gerade herangerückt, wo der
Alte sein Bett aufzusuchen pflegte. Als Frau Karoline ihn
fragte, ob man nicht Anstalten machen wolle, in's Haus zu
gehen, erhob er sich denn auch, sagte den Uebrigen gute
Nacht und wankte, gestützt von der Frau seines Sohnes, der
Thür zu.

Johannes wurde während dessen von der Neugierde ge¬
peinigt. Krusemeyer befriedigte dieselbe aber erst, als die
Meisterin zurückgekehrt war. Dann sagte er plötzlich:

"Wann ist er denn nach Hause gekommen, oder ist er
ganz fortgeblieben?"

"Wer?"

"Nun, Euer Franz --"

Da die drei Anderen ein merkwürdig erstauntes Gesicht
zeigten und augenblicklich keine Worte fanden, so führte der
Beschirmer der Bürgerruhe das Gespräch allein weiter, und
das geschah mit einer Ueberlegenheit, die nur zu deutlich ver¬
rieth, wie erhaben er sich in seiner augenblicklichen Rolle finde.

So sagte er denn auf's Neue:

"Die Sache ist mit wenigen Worten die: Man hat in
der vergangenen Nacht eine Anzahl junger Leute, die lärmend
und singend durch die Straßen zogen, dabei überrascht, wie
sie allerlei Unfug trieben: an den Klingeln der Aerzte und
Hebeammen zogen, die Bewohner aus dem Schlafe klopften
und zuletzt sich nicht scheuten, Schilder von den Häusern zu
reißen, auf welche sie mit ihren Stöcken paukten, daß es eine

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Kruſemeyer antwortete nicht, machte aber eine leicht ver¬
ſtändliche Geberde: man ſolle den Großvater entfernen. Das
Ehepaar ſah ſich beſtürzt an; denn wenn Kruſemeyer dieſes
Verlangen ſtellte, ſo mußte etwas ganz Beſonderes paſſirt
ſein. Zum Glück war die Zeit gerade herangerückt, wo der
Alte ſein Bett aufzuſuchen pflegte. Als Frau Karoline ihn
fragte, ob man nicht Anſtalten machen wolle, in's Haus zu
gehen, erhob er ſich denn auch, ſagte den Uebrigen gute
Nacht und wankte, geſtützt von der Frau ſeines Sohnes, der
Thür zu.

Johannes wurde während deſſen von der Neugierde ge¬
peinigt. Kruſemeyer befriedigte dieſelbe aber erſt, als die
Meiſterin zurückgekehrt war. Dann ſagte er plötzlich:

„Wann iſt er denn nach Hauſe gekommen, oder iſt er
ganz fortgeblieben?“

„Wer?“

„Nun, Euer Franz —“

Da die drei Anderen ein merkwürdig erſtauntes Geſicht
zeigten und augenblicklich keine Worte fanden, ſo führte der
Beſchirmer der Bürgerruhe das Geſpräch allein weiter, und
das geſchah mit einer Ueberlegenheit, die nur zu deutlich ver¬
rieth, wie erhaben er ſich in ſeiner augenblicklichen Rolle finde.

So ſagte er denn auf's Neue:

„Die Sache iſt mit wenigen Worten die: Man hat in
der vergangenen Nacht eine Anzahl junger Leute, die lärmend
und ſingend durch die Straßen zogen, dabei überraſcht, wie
ſie allerlei Unfug trieben: an den Klingeln der Aerzte und
Hebeammen zogen, die Bewohner aus dem Schlafe klopften
und zuletzt ſich nicht ſcheuten, Schilder von den Häuſern zu
reißen, auf welche ſie mit ihren Stöcken paukten, daß es eine

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[83/0095] Kruſemeyer antwortete nicht, machte aber eine leicht ver¬ ſtändliche Geberde: man ſolle den Großvater entfernen. Das Ehepaar ſah ſich beſtürzt an; denn wenn Kruſemeyer dieſes Verlangen ſtellte, ſo mußte etwas ganz Beſonderes paſſirt ſein. Zum Glück war die Zeit gerade herangerückt, wo der Alte ſein Bett aufzuſuchen pflegte. Als Frau Karoline ihn fragte, ob man nicht Anſtalten machen wolle, in's Haus zu gehen, erhob er ſich denn auch, ſagte den Uebrigen gute Nacht und wankte, geſtützt von der Frau ſeines Sohnes, der Thür zu. Johannes wurde während deſſen von der Neugierde ge¬ peinigt. Kruſemeyer befriedigte dieſelbe aber erſt, als die Meiſterin zurückgekehrt war. Dann ſagte er plötzlich: „Wann iſt er denn nach Hauſe gekommen, oder iſt er ganz fortgeblieben?“ „Wer?“ „Nun, Euer Franz —“ Da die drei Anderen ein merkwürdig erſtauntes Geſicht zeigten und augenblicklich keine Worte fanden, ſo führte der Beſchirmer der Bürgerruhe das Geſpräch allein weiter, und das geſchah mit einer Ueberlegenheit, die nur zu deutlich ver¬ rieth, wie erhaben er ſich in ſeiner augenblicklichen Rolle finde. So ſagte er denn auf's Neue: „Die Sache iſt mit wenigen Worten die: Man hat in der vergangenen Nacht eine Anzahl junger Leute, die lärmend und ſingend durch die Straßen zogen, dabei überraſcht, wie ſie allerlei Unfug trieben: an den Klingeln der Aerzte und Hebeammen zogen, die Bewohner aus dem Schlafe klopften und zuletzt ſich nicht ſcheuten, Schilder von den Häuſern zu reißen, auf welche ſie mit ihren Stöcken paukten, daß es eine 6*

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/95>, abgerufen am 21.11.2024.