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Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.

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Noch vor meiner Berufung als Vikar wurde ich conskribiert zum Militärdienste, zog eine niedrige Losnummer und glaubte, bei der körperlichen Visitation rasch freigegeben zu werden, da ich kurzsichtig war und Brille tragen musste. Zu meinem Schrecken machte der visitierende Arzt aus der Kuzsichtigkeit nichts und erklärte mich als diensttauglich zu allen Waffengattungen. Da zog ich mein Prüfungszeugnis aus der Tasche und beanspruchte von der Aushebungskommission zunächst Zurückstellung vom Dienst und nach der Ordination völlige Befreiung. Darauf gab der Arzt klein bei und meinte, unter diesen Umständen erkläre er mich sofort für untauglich zu allen Waffengattungen.

Ich glaubte schon, Weihnachten und Neujahr noch einmal im Elternhause verleben zu dürfen, als ich am 15. Dez. 1851 die Weisung erhielt, "angesichts dieses" nach Freinsheim mich zu begeben und das Privatvikariat bei Pfarrer Bickes dort anzutreten. Beide Namen waren mir unbekannt. Die Karte belehrte mich, dass der Pfarrort bei Dürkheim im Dekanate Neustadt a/H liege, also in einem der schönsten Striche der Pfalz. Über den Pfarrer und Prinzipal wollte ich von meinem Vorgänger, den ich unterwegs auf einer Bahnstation sah, schnell einiges hören, aber er rief mir nur zu: Du bekommst es gut, denn ich habe die Kapaunen alle essen müssen. Aus diesem Orakel war nichts zu entnehmen. Die kinderlosen Pfarrersleute aber waren freundlich; der Pfarrer hatte merkwürdigerweise keine Studierstube, sah auch nicht sehr geistreich aus, aber es liess sich mit ihm und seiner den Haushalt eifrig regierenden Frau ganz gut plaudern. Ich hatte im Hause zu wohnen. Das mir angewiesene Zimmer war klein und sehr dürftig möbliert. Ich legte darauf kein Gewicht. Die Verpflegung war soweit recht gut, doch eigenthümlich. Dasselbe Gericht erschien oft mehrere Tage hintereinander. Dies wurde unangenehm, als ein Schwein geschlachtet wurde. Denn nun kam Schweinefleisch und Schweinernes ohne Ende, Noch bedenklicher gestaltete sich die Sache, als im folgenden 2. Jahre, ein Rehbock erschien, der nun nacheinander von 3 Personen (die Magd erhielt nichts davon) wegzuessen war. Nach kurzer Pause erschien der 2. Bock und wurde ebenso weggearbeitet. Nun verstand ich meines Vorgängers Orakel;

Noch vor meiner Berufung als Vikar wurde ich conskribiert zum Militärdienste, zog eine niedrige Losnummer und glaubte, bei der körperlichen Visitation rasch freigegeben zu werden, da ich kurzsichtig war und Brille tragen musste. Zu meinem Schrecken machte der visitierende Arzt aus der Kuzsichtigkeit nichts und erklärte mich als diensttauglich zu allen Waffengattungen. Da zog ich mein Prüfungszeugnis aus der Tasche und beanspruchte von der Aushebungskommission zunächst Zurückstellung vom Dienst und nach der Ordination völlige Befreiung. Darauf gab der Arzt klein bei und meinte, unter diesen Umständen erkläre er mich sofort für untauglich zu allen Waffengattungen.

Ich glaubte schon, Weihnachten und Neujahr noch einmal im Elternhause verleben zu dürfen, als ich am 15. Dez. 1851 die Weisung erhielt, "angesichts dieses" nach Freinsheim mich zu begeben und das Privatvikariat bei Pfarrer Bickes dort anzutreten. Beide Namen waren mir unbekannt. Die Karte belehrte mich, dass der Pfarrort bei Dürkheim im Dekanate Neustadt a/H liege, also in einem der schönsten Striche der Pfalz. Über den Pfarrer und Prinzipal wollte ich von meinem Vorgänger, den ich unterwegs auf einer Bahnstation sah, schnell einiges hören, aber er rief mir nur zu: Du bekommst es gut, denn ich habe die Kapaunen alle essen müssen. Aus diesem Orakel war nichts zu entnehmen. Die kinderlosen Pfarrersleute aber waren freundlich; der Pfarrer hatte merkwürdigerweise keine Studierstube, sah auch nicht sehr geistreich aus, aber es liess sich mit ihm und seiner den Haushalt eifrig regierenden Frau ganz gut plaudern. Ich hatte im Hause zu wohnen. Das mir angewiesene Zimmer war klein und sehr dürftig möbliert. Ich legte darauf kein Gewicht. Die Verpflegung war soweit recht gut, doch eigenthümlich. Dasselbe Gericht erschien oft mehrere Tage hintereinander. Dies wurde unangenehm, als ein Schwein geschlachtet wurde. Denn nun kam Schweinefleisch und Schweinernes ohne Ende, Noch bedenklicher gestaltete sich die Sache, als im folgenden 2. Jahre, ein Rehbock erschien, der nun nacheinander von 3 Personen (die Magd erhielt nichts davon) wegzuessen war. Nach kurzer Pause erschien der 2. Bock und wurde ebenso weggearbeitet. Nun verstand ich meines Vorgängers Orakel;

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Noch vor meiner Berufung als Vikar wurde ich conskribiert zum Militärdienste, zog eine niedrige Losnummer und glaubte, bei der körperlichen Visitation rasch freigegeben zu werden, da ich kurzsichtig war und Brille tragen musste. Zu meinem Schrecken machte der visitierende Arzt aus der Kuzsichtigkeit nichts und erklärte mich als diensttauglich zu allen Waffengattungen. Da zog ich mein Prüfungszeugnis aus der Tasche und beanspruchte von der Aushebungskommission zunächst Zurückstellung vom Dienst und nach der Ordination völlige Befreiung. Darauf gab der Arzt klein bei und meinte, unter diesen Umständen erkläre er mich sofort für untauglich zu allen Waffengattungen.</p>
        <p>Ich glaubte schon, Weihnachten und Neujahr noch einmal im Elternhause verleben zu dürfen, als ich am 15. Dez. 1851 die Weisung erhielt, "angesichts dieses" nach Freinsheim mich zu begeben und das Privatvikariat bei Pfarrer Bickes dort anzutreten. Beide Namen waren mir unbekannt. Die Karte belehrte mich, dass der Pfarrort bei Dürkheim im Dekanate Neustadt a/H liege, also in einem der schönsten Striche der Pfalz. Über den Pfarrer und Prinzipal wollte ich von meinem Vorgänger, den ich unterwegs auf einer Bahnstation sah, schnell einiges hören, aber er rief mir nur zu: Du bekommst es gut, denn ich habe die Kapaunen alle essen müssen. Aus diesem Orakel war nichts zu entnehmen. Die kinderlosen Pfarrersleute aber waren freundlich; der Pfarrer hatte merkwürdigerweise keine Studierstube, sah auch nicht sehr geistreich aus, aber es liess sich mit ihm und seiner den Haushalt eifrig regierenden Frau ganz gut plaudern. Ich hatte im Hause zu wohnen. Das mir angewiesene Zimmer war klein und sehr dürftig möbliert. Ich legte darauf kein Gewicht. Die Verpflegung war soweit recht gut, doch eigenthümlich. Dasselbe Gericht erschien oft mehrere Tage hintereinander. Dies wurde unangenehm, als ein Schwein geschlachtet wurde. Denn nun kam Schweinefleisch und Schweinernes ohne Ende, Noch bedenklicher gestaltete sich die Sache, als im folgenden 2. Jahre, ein Rehbock erschien, der nun nacheinander von 3 Personen (die Magd erhielt nichts davon) wegzuessen war. Nach kurzer Pause erschien der 2. Bock und wurde ebenso weggearbeitet. Nun verstand ich meines Vorgängers Orakel;
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[40/0040] Noch vor meiner Berufung als Vikar wurde ich conskribiert zum Militärdienste, zog eine niedrige Losnummer und glaubte, bei der körperlichen Visitation rasch freigegeben zu werden, da ich kurzsichtig war und Brille tragen musste. Zu meinem Schrecken machte der visitierende Arzt aus der Kuzsichtigkeit nichts und erklärte mich als diensttauglich zu allen Waffengattungen. Da zog ich mein Prüfungszeugnis aus der Tasche und beanspruchte von der Aushebungskommission zunächst Zurückstellung vom Dienst und nach der Ordination völlige Befreiung. Darauf gab der Arzt klein bei und meinte, unter diesen Umständen erkläre er mich sofort für untauglich zu allen Waffengattungen. Ich glaubte schon, Weihnachten und Neujahr noch einmal im Elternhause verleben zu dürfen, als ich am 15. Dez. 1851 die Weisung erhielt, "angesichts dieses" nach Freinsheim mich zu begeben und das Privatvikariat bei Pfarrer Bickes dort anzutreten. Beide Namen waren mir unbekannt. Die Karte belehrte mich, dass der Pfarrort bei Dürkheim im Dekanate Neustadt a/H liege, also in einem der schönsten Striche der Pfalz. Über den Pfarrer und Prinzipal wollte ich von meinem Vorgänger, den ich unterwegs auf einer Bahnstation sah, schnell einiges hören, aber er rief mir nur zu: Du bekommst es gut, denn ich habe die Kapaunen alle essen müssen. Aus diesem Orakel war nichts zu entnehmen. Die kinderlosen Pfarrersleute aber waren freundlich; der Pfarrer hatte merkwürdigerweise keine Studierstube, sah auch nicht sehr geistreich aus, aber es liess sich mit ihm und seiner den Haushalt eifrig regierenden Frau ganz gut plaudern. Ich hatte im Hause zu wohnen. Das mir angewiesene Zimmer war klein und sehr dürftig möbliert. Ich legte darauf kein Gewicht. Die Verpflegung war soweit recht gut, doch eigenthümlich. Dasselbe Gericht erschien oft mehrere Tage hintereinander. Dies wurde unangenehm, als ein Schwein geschlachtet wurde. Denn nun kam Schweinefleisch und Schweinernes ohne Ende, Noch bedenklicher gestaltete sich die Sache, als im folgenden 2. Jahre, ein Rehbock erschien, der nun nacheinander von 3 Personen (die Magd erhielt nichts davon) wegzuessen war. Nach kurzer Pause erschien der 2. Bock und wurde ebenso weggearbeitet. Nun verstand ich meines Vorgängers Orakel;

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Zitationshilfe: Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krieger_lebenserinnerungen_1907/40>, abgerufen am 26.11.2024.