Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.er hatte helfen müssen, den Hühnerhof von Kapaunen zu befreien, und ihm war das modifizierte toujour perdrix ebenso lästig geworden wie mir. Über Tisch wurde Wein getrunken, guter Wein. Aber nach einiger Zeit erschien ein zweiter Weinkrug, der mir zur Selbstbedienung hingeschoben wurde. Er enthielt Taglöhnerwein, den ich stehen liess, um fortan auch vom Prinzipalswein nichts mehr zu trinken. Den Morgenkaffee konnte ich nicht bekommen, ehe der Prinzipal aufgestanden war, d.h. gewöhnlich nicht vor 9 oder 1/2 9 Uhr. Ich schlief deshalb auch lange in den Morgen hinein und blieb bis Nachts 12 oder 1 Uhr am Arbeitstische. Der starke Ölverbrauch wurde oft beanstandet, aber auch mit dem Versprechen, weniger Öl zu verbrauchen, wenn ich meinen Morgenkaffee früher bekäme, konnte ich die Situation nicht ändern. Dies sind Kleinigkeiten, aber immerhin Unanehmlichkeiten. Schlimmer war es, dass der Prinzipal mich nicht in Berührung mit der Gemeinde wollte kommen lassen. Ich sollte die Gottesdienste, Christenlehren, Beerdigungen und den Pfarr-Religionsunterricht halten, sonst nichts: Die Taufen, Trauungen und den Konfirmationsunterricht nebst der Konfirmation behielt sich der Pfarrer vor. Man könnte meinen, dies sei wegen der Sporteln geschehen, aber von den Beerdigungen zog er doch auch die Sporteln ein. Er wollte mich möglichst wenig mit den Gemeindegliedern in Berührung kommen lassen. Darum untersagte er mir alle Kranken- und Hausbesuche, hatte aber nichts gegen Besuche auswärts. Auch von der amtlichen Korrespondenz, den Kirchenbüchern, den Presbytersitzungen hielt er mich fern und selbst die dekanatliche Intervention änderte hieran nichts. Mit den Predigten ging es mir geleich zu Anfang hart heraus. Am 4. Adventssonntage predigte ich zum ersten Male. Dazu kamen nacheinander ein Vorbereitungsgottesdienst, 3 Weihnachtsgottesdienste, am Sonntage nach Weihnachten wieder Gottesdienst, desgleichen am Silvesterabende, Neujahrstage und dem Sonntage darnach. Für einen ungeübten Anfänger etwas viel, sodass ich von meinen 4 früher gehaltenen Predigten zwei zu Hilfe nahm, obgleich sie in die Weihnachts- und Neujahrszeit nicht passen wollten. Dass ich in der Filialkirche zu Dackenheim ebenfalls zu predigen hatte, beschwerte mich nicht, da er hatte helfen müssen, den Hühnerhof von Kapaunen zu befreien, und ihm war das modifizierte toujour perdrix ebenso lästig geworden wie mir. Über Tisch wurde Wein getrunken, guter Wein. Aber nach einiger Zeit erschien ein zweiter Weinkrug, der mir zur Selbstbedienung hingeschoben wurde. Er enthielt Taglöhnerwein, den ich stehen liess, um fortan auch vom Prinzipalswein nichts mehr zu trinken. Den Morgenkaffee konnte ich nicht bekommen, ehe der Prinzipal aufgestanden war, d.h. gewöhnlich nicht vor 9 oder 1/2 9 Uhr. Ich schlief deshalb auch lange in den Morgen hinein und blieb bis Nachts 12 oder 1 Uhr am Arbeitstische. Der starke Ölverbrauch wurde oft beanstandet, aber auch mit dem Versprechen, weniger Öl zu verbrauchen, wenn ich meinen Morgenkaffee früher bekäme, konnte ich die Situation nicht ändern. Dies sind Kleinigkeiten, aber immerhin Unanehmlichkeiten. Schlimmer war es, dass der Prinzipal mich nicht in Berührung mit der Gemeinde wollte kommen lassen. Ich sollte die Gottesdienste, Christenlehren, Beerdigungen und den Pfarr-Religionsunterricht halten, sonst nichts: Die Taufen, Trauungen und den Konfirmationsunterricht nebst der Konfirmation behielt sich der Pfarrer vor. Man könnte meinen, dies sei wegen der Sporteln geschehen, aber von den Beerdigungen zog er doch auch die Sporteln ein. Er wollte mich möglichst wenig mit den Gemeindegliedern in Berührung kommen lassen. Darum untersagte er mir alle Kranken- und Hausbesuche, hatte aber nichts gegen Besuche auswärts. Auch von der amtlichen Korrespondenz, den Kirchenbüchern, den Presbytersitzungen hielt er mich fern und selbst die dekanatliche Intervention änderte hieran nichts. Mit den Predigten ging es mir geleich zu Anfang hart heraus. Am 4. Adventssonntage predigte ich zum ersten Male. Dazu kamen nacheinander ein Vorbereitungsgottesdienst, 3 Weihnachtsgottesdienste, am Sonntage nach Weihnachten wieder Gottesdienst, desgleichen am Silvesterabende, Neujahrstage und dem Sonntage darnach. Für einen ungeübten Anfänger etwas viel, sodass ich von meinen 4 früher gehaltenen Predigten zwei zu Hilfe nahm, obgleich sie in die Weihnachts- und Neujahrszeit nicht passen wollten. 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Dies sind Kleinigkeiten, aber immerhin Unanehmlichkeiten. Schlimmer war es, dass der Prinzipal mich nicht in Berührung mit der Gemeinde wollte kommen lassen. Ich sollte die Gottesdienste, Christenlehren, Beerdigungen und den Pfarr-Religionsunterricht halten, sonst nichts: Die Taufen, Trauungen und den Konfirmationsunterricht nebst der Konfirmation behielt sich der Pfarrer vor. Man könnte meinen, dies sei wegen der Sporteln geschehen, aber von den Beerdigungen zog er doch auch die Sporteln ein. Er wollte mich möglichst wenig mit den Gemeindegliedern in Berührung kommen lassen. Darum untersagte er mir alle Kranken- und Hausbesuche, hatte aber nichts gegen Besuche auswärts. Auch von der amtlichen Korrespondenz, den Kirchenbüchern, den Presbytersitzungen hielt er mich fern und selbst die dekanatliche Intervention änderte hieran nichts.</p> <p>Mit den Predigten ging es mir geleich zu Anfang hart heraus. Am 4. Adventssonntage predigte ich zum ersten Male. 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er hatte helfen müssen, den Hühnerhof von Kapaunen zu befreien, und ihm war das modifizierte toujour perdrix ebenso lästig geworden wie mir. Über Tisch wurde Wein getrunken, guter Wein. Aber nach einiger Zeit erschien ein zweiter Weinkrug, der mir zur Selbstbedienung hingeschoben wurde. Er enthielt Taglöhnerwein, den ich stehen liess, um fortan auch vom Prinzipalswein nichts mehr zu trinken. Den Morgenkaffee konnte ich nicht bekommen, ehe der Prinzipal aufgestanden war, d.h. gewöhnlich nicht vor 9 oder 1/2 9 Uhr. Ich schlief deshalb auch lange in den Morgen hinein und blieb bis Nachts 12 oder 1 Uhr am Arbeitstische. Der starke Ölverbrauch wurde oft beanstandet, aber auch mit dem Versprechen, weniger Öl zu verbrauchen, wenn ich meinen Morgenkaffee früher bekäme, konnte ich die Situation nicht ändern. Dies sind Kleinigkeiten, aber immerhin Unanehmlichkeiten. Schlimmer war es, dass der Prinzipal mich nicht in Berührung mit der Gemeinde wollte kommen lassen. Ich sollte die Gottesdienste, Christenlehren, Beerdigungen und den Pfarr-Religionsunterricht halten, sonst nichts: Die Taufen, Trauungen und den Konfirmationsunterricht nebst der Konfirmation behielt sich der Pfarrer vor. Man könnte meinen, dies sei wegen der Sporteln geschehen, aber von den Beerdigungen zog er doch auch die Sporteln ein. Er wollte mich möglichst wenig mit den Gemeindegliedern in Berührung kommen lassen. Darum untersagte er mir alle Kranken- und Hausbesuche, hatte aber nichts gegen Besuche auswärts. Auch von der amtlichen Korrespondenz, den Kirchenbüchern, den Presbytersitzungen hielt er mich fern und selbst die dekanatliche Intervention änderte hieran nichts.
Mit den Predigten ging es mir geleich zu Anfang hart heraus. Am 4. Adventssonntage predigte ich zum ersten Male. Dazu kamen nacheinander ein Vorbereitungsgottesdienst, 3 Weihnachtsgottesdienste, am Sonntage nach Weihnachten wieder Gottesdienst, desgleichen am Silvesterabende, Neujahrstage und dem Sonntage darnach. Für einen ungeübten Anfänger etwas viel, sodass ich von meinen 4 früher gehaltenen Predigten zwei zu Hilfe nahm, obgleich sie in die Weihnachts- und Neujahrszeit nicht passen wollten. Dass ich in der Filialkirche zu Dackenheim ebenfalls zu predigen hatte, beschwerte mich nicht, da
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