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Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.

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ich dort dieselben Predigten wie in der Mutterkirche hielt und der Weg bequem in 25 Minuten zurückzulegen war. In der folgenden Osterzeit ging es noch härter her, weil ich in 11 Tagen 7 Predigten und noch 4 Leichenreden in der Muttergemeinde zu halten hatte. Mein guter Vater war darüber entsetzt, denn er hatte als Zweibrücker Stadtpfarrer in derselben Zeit 2 Predigten und 2 Leichenreden gehabt und gemeint, das sei viel. Für gewöhnlich hatte ich nicht viel zu thun, auch nach meiner Ordination am 2. Sonnt. nach Trin. 1852 nicht; nur bei den öffentlichen Kommunionen durfte ich von da ab den Kelch reichen.

In der Mutter- und der Filialgemeinde war der Kirchenbesuch gut, soll sich seit meinem Amtsantritt noch gehoben haben. Es war ein gutsituierter und gutgesinnter Mittelstand da, im Filial waren einige Pietisten, in der Muttergemelnde einige unkirchliche Familien und eine sehr liberale und leichtlebige Kasinogesellschaft von Gutsbesitzern und Beamten. Dass ich dort keinen Anschluss suchte, wurde mir sehr verübelt. Im Übrigen fand ich trotz des vom Prinzipale um mich gezogenen Bannkreises Fühlung mit Gemeindegliedern und Eingang in das Haus von Wilhelm Retger jun. Seine Frau war religiös angeregt, hatte litterarisches Interesse und war musikalisch. Ich konnte dort Klavierspielen und mich sonst trefflich unterhalten, machte aber höchstens alle 14 Tage einen Besuch.

Die Nachbargeistlichen waren theils alte Rationalisten, theils moderne Liberale, sie hatten mit dem Freinsheimer Pfarrhause keinen Verkehr, denn mein Prinzipal war orthodox-reformiert, suchte auch keinen kollegialen Umgang. Mein Dekan, Pfarrer Saul in Neustadt, ein positiver und freundlicher Herr, war 4 Wegstunden entfernt. Als Freinsheim später zu dem neuerrichteten Dekanate Dürkheim kam, wurde Pfarrer Fleischmann in Dürkheim Dekanatsverweser, zog mich aber nicht besonders an, dagegen suchte ich eine Konferenz von positiven Geistlichen in Grünstadt auf, die mir zusagte, aber selten tagte. Am meisten verkehrte ich mit dem älteren Kandidaten Redel, der als Pfarrverweser in Herxheim a/Berg, mit württembergischen Pietisten Fühlung hatte und mir ein ernster Berather und Führer wurde. Leider starb er frühe. Mit weiter entfernt

ich dort dieselben Predigten wie in der Mutterkirche hielt und der Weg bequem in 25 Minuten zurückzulegen war. In der folgenden Osterzeit ging es noch härter her, weil ich in 11 Tagen 7 Predigten und noch 4 Leichenreden in der Muttergemeinde zu halten hatte. Mein guter Vater war darüber entsetzt, denn er hatte als Zweibrücker Stadtpfarrer in derselben Zeit 2 Predigten und 2 Leichenreden gehabt und gemeint, das sei viel. Für gewöhnlich hatte ich nicht viel zu thun, auch nach meiner Ordination am 2. Sonnt. nach Trin. 1852 nicht; nur bei den öffentlichen Kommunionen durfte ich von da ab den Kelch reichen.

In der Mutter- und der Filialgemeinde war der Kirchenbesuch gut, soll sich seit meinem Amtsantritt noch gehoben haben. Es war ein gutsituierter und gutgesinnter Mittelstand da, im Filial waren einige Pietisten, in der Muttergemelnde einige unkirchliche Familien und eine sehr liberale und leichtlebige Kasinogesellschaft von Gutsbesitzern und Beamten. Dass ich dort keinen Anschluss suchte, wurde mir sehr verübelt. Im Übrigen fand ich trotz des vom Prinzipale um mich gezogenen Bannkreises Fühlung mit Gemeindegliedern und Eingang in das Haus von Wilhelm Retger jun. Seine Frau war religiös angeregt, hatte litterarisches Interesse und war musikalisch. Ich konnte dort Klavierspielen und mich sonst trefflich unterhalten, machte aber höchstens alle 14 Tage einen Besuch.

Die Nachbargeistlichen waren theils alte Rationalisten, theils moderne Liberale, sie hatten mit dem Freinsheimer Pfarrhause keinen Verkehr, denn mein Prinzipal war orthodox-reformiert, suchte auch keinen kollegialen Umgang. Mein Dekan, Pfarrer Saul in Neustadt, ein positiver und freundlicher Herr, war 4 Wegstunden entfernt. Als Freinsheim später zu dem neuerrichteten Dekanate Dürkheim kam, wurde Pfarrer Fleischmann in Dürkheim Dekanatsverweser, zog mich aber nicht besonders an, dagegen suchte ich eine Konferenz von positiven Geistlichen in Grünstadt auf, die mir zusagte, aber selten tagte. Am meisten verkehrte ich mit dem älteren Kandidaten Redel, der als Pfarrverweser in Herxheim a/Berg, mit württembergischen Pietisten Fühlung hatte und mir ein ernster Berather und Führer wurde. Leider starb er frühe. Mit weiter entfernt

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ich dort dieselben Predigten wie in der Mutterkirche hielt und der Weg bequem in 25 Minuten zurückzulegen war. In der folgenden Osterzeit ging es noch härter her, weil ich in 11 Tagen 7 Predigten und noch 4 Leichenreden in der Muttergemeinde zu halten hatte. Mein guter Vater war darüber entsetzt, denn er hatte als Zweibrücker Stadtpfarrer in derselben Zeit 2 Predigten und 2 Leichenreden gehabt und gemeint, das sei viel. Für gewöhnlich hatte ich nicht viel zu thun, auch nach meiner Ordination am 2. Sonnt. nach Trin. 1852 nicht; nur bei den öffentlichen Kommunionen durfte ich von da ab den Kelch reichen.</p>
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        <p>Die Nachbargeistlichen waren theils alte Rationalisten, theils moderne Liberale, sie hatten mit dem Freinsheimer Pfarrhause keinen Verkehr, denn mein Prinzipal war orthodox-reformiert, suchte auch keinen kollegialen Umgang. Mein Dekan, Pfarrer Saul in Neustadt, ein positiver und freundlicher Herr, war 4 Wegstunden entfernt. Als Freinsheim später zu dem neuerrichteten Dekanate Dürkheim kam, wurde Pfarrer Fleischmann in Dürkheim Dekanatsverweser, zog mich aber nicht besonders an, dagegen suchte ich eine Konferenz von positiven Geistlichen in Grünstadt auf, die mir zusagte, aber selten tagte. Am meisten verkehrte ich mit dem älteren Kandidaten Redel, der als Pfarrverweser in Herxheim a/Berg, mit württembergischen Pietisten Fühlung hatte und mir ein ernster Berather und Führer wurde. Leider starb er frühe. Mit weiter entfernt
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[42/0042] ich dort dieselben Predigten wie in der Mutterkirche hielt und der Weg bequem in 25 Minuten zurückzulegen war. In der folgenden Osterzeit ging es noch härter her, weil ich in 11 Tagen 7 Predigten und noch 4 Leichenreden in der Muttergemeinde zu halten hatte. Mein guter Vater war darüber entsetzt, denn er hatte als Zweibrücker Stadtpfarrer in derselben Zeit 2 Predigten und 2 Leichenreden gehabt und gemeint, das sei viel. Für gewöhnlich hatte ich nicht viel zu thun, auch nach meiner Ordination am 2. Sonnt. nach Trin. 1852 nicht; nur bei den öffentlichen Kommunionen durfte ich von da ab den Kelch reichen. In der Mutter- und der Filialgemeinde war der Kirchenbesuch gut, soll sich seit meinem Amtsantritt noch gehoben haben. Es war ein gutsituierter und gutgesinnter Mittelstand da, im Filial waren einige Pietisten, in der Muttergemelnde einige unkirchliche Familien und eine sehr liberale und leichtlebige Kasinogesellschaft von Gutsbesitzern und Beamten. Dass ich dort keinen Anschluss suchte, wurde mir sehr verübelt. Im Übrigen fand ich trotz des vom Prinzipale um mich gezogenen Bannkreises Fühlung mit Gemeindegliedern und Eingang in das Haus von Wilhelm Retger jun. Seine Frau war religiös angeregt, hatte litterarisches Interesse und war musikalisch. Ich konnte dort Klavierspielen und mich sonst trefflich unterhalten, machte aber höchstens alle 14 Tage einen Besuch. Die Nachbargeistlichen waren theils alte Rationalisten, theils moderne Liberale, sie hatten mit dem Freinsheimer Pfarrhause keinen Verkehr, denn mein Prinzipal war orthodox-reformiert, suchte auch keinen kollegialen Umgang. Mein Dekan, Pfarrer Saul in Neustadt, ein positiver und freundlicher Herr, war 4 Wegstunden entfernt. Als Freinsheim später zu dem neuerrichteten Dekanate Dürkheim kam, wurde Pfarrer Fleischmann in Dürkheim Dekanatsverweser, zog mich aber nicht besonders an, dagegen suchte ich eine Konferenz von positiven Geistlichen in Grünstadt auf, die mir zusagte, aber selten tagte. Am meisten verkehrte ich mit dem älteren Kandidaten Redel, der als Pfarrverweser in Herxheim a/Berg, mit württembergischen Pietisten Fühlung hatte und mir ein ernster Berather und Führer wurde. Leider starb er frühe. Mit weiter entfernt

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Zitationshilfe: Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krieger_lebenserinnerungen_1907/42>, abgerufen am 26.11.2024.