Krieger, Ernst: [Lebenserinnerungen des Ernst Krieger]. Um 1907.3) Fritz, der jüngste Stiefbruder, war 1843 geboren. Er machte den Eltern mehr Sorgen als die anderen Geschwister zusammen und brachte es zu höheren Ehrenstufen als wir anderen alle. Mit unbändigem Starrsinn setzte er es als 13 jähriger Junge durch auf See zu kommen. Eine Deutsche Kriegsflotte existierte damals nicht, so brachte ihn der Vater auf ein Bremer Handelsschiff, wo er als Schiffsjunge eintrat. Bald wurde er Matrose und lernte als solcher den bitteren Geschmack des Seewassers gründlich kennen. Auf seiner letzten Fahrt ging es dem nun 19 jährigen so übel, dass er weich wurde und den Familienvorstellungen nachgab, die ihn vom aussichtslosen Seedienste abzubringen suchten. Das Maschinenfach zog ihn an. Aber auf der polytechnischen Schule in Karlsruhe zeigte es sich, dass ihm die nötigen Vorkenntnisse fehlten, und der einjährige Kurs in der Maschinenfabrik Weyland, Lamarchet und Schwarz zu St. Ingbert befriedigte ihn auch nicht. Unterdessen war er konskriptionspflichtig geworden, zog bei der damaligen Auslosung der Militärdienstpflichtigen die höchste Losnummer und konnte darum als befreit angesehen werden. Er schlug vor, ihm nach Nord-Amerika zu helfen, da er in der dortigen Marine oder in sonstiger Stellung eine Existenz zu erringen sich zutraute. Vor der Abreise besuchte er unsere Schwester Lina, wo ein Freund der Bachelot'schen Familie, der Mitbesitzer des Kaufhauses Bon-marche war, eine Stellung und gutes Fortkommen in diesem Geschäfte in Aussicht stellte. So trat er dort als Lehrling ein, um vor allem der französischen Sprache völlig mächtig zu werden - englisch hatte er auf dem Schiff aus dem Umgange und der Grammatik sich angeeignet - und wurde dazu gutbezahlter Verkäufer und Kommis im Bon-marche in Paris. Da kam der Krieg von 1866. Bayern zog alle durchs Los Befreite und noch unverheirathete frühere Conskribierte ein, um die bei den Infanterieregimentern neuerrichteten Bataillone zu füllen. Mein Bruder wurde dem Leibregimente in München zugetheilt. Da es an Offizieren fehlte wurden aus Rekruten mit höherer Bildung Offiziere "auf Kriegsdauer" und die von Fritz beigebrachten Schulzeugnisse wurden für ausreichend angesehen, ihn zum Unterleutnant im 4. Infanterieregimente 3) Fritz, der jüngste Stiefbruder, war 1843 geboren. Er machte den Eltern mehr Sorgen als die anderen Geschwister zusammen und brachte es zu höheren Ehrenstufen als wir anderen alle. Mit unbändigem Starrsinn setzte er es als 13 jähriger Junge durch auf See zu kommen. Eine Deutsche Kriegsflotte existierte damals nicht, so brachte ihn der Vater auf ein Bremer Handelsschiff, wo er als Schiffsjunge eintrat. Bald wurde er Matrose und lernte als solcher den bitteren Geschmack des Seewassers gründlich kennen. Auf seiner letzten Fahrt ging es dem nun 19 jährigen so übel, dass er weich wurde und den Familienvorstellungen nachgab, die ihn vom aussichtslosen Seedienste abzubringen suchten. Das Maschinenfach zog ihn an. Aber auf der polytechnischen Schule in Karlsruhe zeigte es sich, dass ihm die nötigen Vorkenntnisse fehlten, und der einjährige Kurs in der Maschinenfabrik Weyland, Lamarchet und Schwarz zu St. Ingbert befriedigte ihn auch nicht. Unterdessen war er konskriptionspflichtig geworden, zog bei der damaligen Auslosung der Militärdienstpflichtigen die höchste Losnummer und konnte darum als befreit angesehen werden. Er schlug vor, ihm nach Nord-Amerika zu helfen, da er in der dortigen Marine oder in sonstiger Stellung eine Existenz zu erringen sich zutraute. Vor der Abreise besuchte er unsere Schwester Lina, wo ein Freund der Bachelot’schen Familie, der Mitbesitzer des Kaufhauses Bon-marché war, eine Stellung und gutes Fortkommen in diesem Geschäfte in Aussicht stellte. So trat er dort als Lehrling ein, um vor allem der französischen Sprache völlig mächtig zu werden - englisch hatte er auf dem Schiff aus dem Umgange und der Grammatik sich angeeignet - und wurde dazu gutbezahlter Verkäufer und Kommis im Bon-marché in Paris. Da kam der Krieg von 1866. Bayern zog alle durchs Los Befreite und noch unverheirathete frühere Conskribierte ein, um die bei den Infanterieregimentern neuerrichteten Bataillone zu füllen. Mein Bruder wurde dem Leibregimente in München zugetheilt. 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Das Maschinenfach zog ihn an. Aber auf der polytechnischen Schule in Karlsruhe zeigte es sich, dass ihm die nötigen Vorkenntnisse fehlten, und der einjährige Kurs in der Maschinenfabrik Weyland, Lamarchet und Schwarz zu St. Ingbert befriedigte ihn auch nicht. Unterdessen war er konskriptionspflichtig geworden, zog bei der damaligen Auslosung der Militärdienstpflichtigen die höchste Losnummer und konnte darum als befreit angesehen werden. Er schlug vor, ihm nach Nord-Amerika zu helfen, da er in der dortigen Marine oder in sonstiger Stellung eine Existenz zu erringen sich zutraute. Vor der Abreise besuchte er unsere Schwester Lina, wo ein Freund der Bachelot’schen Familie, der Mitbesitzer des Kaufhauses Bon-marché war, eine Stellung und gutes Fortkommen in diesem Geschäfte in Aussicht stellte. So trat er dort als Lehrling ein, um vor allem der französischen Sprache völlig mächtig zu werden - englisch hatte er auf dem Schiff aus dem Umgange und der Grammatik sich angeeignet - und wurde dazu gutbezahlter Verkäufer und Kommis im Bon-marché in Paris. Da kam der Krieg von 1866. Bayern zog alle durchs Los Befreite und noch unverheirathete frühere Conskribierte ein, um die bei den Infanterieregimentern neuerrichteten Bataillone zu füllen. Mein Bruder wurde dem Leibregimente in München zugetheilt. Da es an Offizieren fehlte wurden aus Rekruten mit höherer Bildung Offiziere „auf Kriegsdauer“ und die von Fritz beigebrachten Schulzeugnisse wurden für ausreichend angesehen, ihn zum Unterleutnant im 4. Infanterieregimente </p> </div> </body> </text> </TEI> [8/0008]
3) Fritz, der jüngste Stiefbruder, war 1843 geboren. Er machte den Eltern mehr Sorgen als die anderen Geschwister zusammen und brachte es zu höheren Ehrenstufen als wir anderen alle. Mit unbändigem Starrsinn setzte er es als 13 jähriger Junge durch auf See zu kommen. Eine Deutsche Kriegsflotte existierte damals nicht, so brachte ihn der Vater auf ein Bremer Handelsschiff, wo er als Schiffsjunge eintrat. Bald wurde er Matrose und lernte als solcher den bitteren Geschmack des Seewassers gründlich kennen. Auf seiner letzten Fahrt ging es dem nun 19 jährigen so übel, dass er weich wurde und den Familienvorstellungen nachgab, die ihn vom aussichtslosen Seedienste abzubringen suchten. Das Maschinenfach zog ihn an. Aber auf der polytechnischen Schule in Karlsruhe zeigte es sich, dass ihm die nötigen Vorkenntnisse fehlten, und der einjährige Kurs in der Maschinenfabrik Weyland, Lamarchet und Schwarz zu St. Ingbert befriedigte ihn auch nicht. Unterdessen war er konskriptionspflichtig geworden, zog bei der damaligen Auslosung der Militärdienstpflichtigen die höchste Losnummer und konnte darum als befreit angesehen werden. Er schlug vor, ihm nach Nord-Amerika zu helfen, da er in der dortigen Marine oder in sonstiger Stellung eine Existenz zu erringen sich zutraute. Vor der Abreise besuchte er unsere Schwester Lina, wo ein Freund der Bachelot’schen Familie, der Mitbesitzer des Kaufhauses Bon-marché war, eine Stellung und gutes Fortkommen in diesem Geschäfte in Aussicht stellte. So trat er dort als Lehrling ein, um vor allem der französischen Sprache völlig mächtig zu werden - englisch hatte er auf dem Schiff aus dem Umgange und der Grammatik sich angeeignet - und wurde dazu gutbezahlter Verkäufer und Kommis im Bon-marché in Paris. Da kam der Krieg von 1866. Bayern zog alle durchs Los Befreite und noch unverheirathete frühere Conskribierte ein, um die bei den Infanterieregimentern neuerrichteten Bataillone zu füllen. Mein Bruder wurde dem Leibregimente in München zugetheilt. Da es an Offizieren fehlte wurden aus Rekruten mit höherer Bildung Offiziere „auf Kriegsdauer“ und die von Fritz beigebrachten Schulzeugnisse wurden für ausreichend angesehen, ihn zum Unterleutnant im 4. Infanterieregimente
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