Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Krüger, Johann Christian: Die Geistlichen auf dem Lande. Frankfurt (Main) u. a., 1743.

Bild:
<< vorherige Seite


Tempelst. Das sagen sie nicht, Herr Confra-
ter. Sie wissen schon ihre Rechnung bey
den Vornehmen zu machen, sie wissen ih-
nen auf die höflichste Art die Geschenke ab-
zunehmen. Kennen sie nicht den andächti-
gen Mann, den Herrn Tartüffe?
Muffel. Jch habe ja mit ihm auf dem Hälli-
schen Waysenhause studirt.
Tempelst. Der weiß am besten, wo der Bür-
ger am barmherzigsten ist. Er hält wö-
chentliche Erbauungsstunden, und merkt sich
in denselben die reichsten Weibespersonen;
denn diese besuchen seine Versammlungen
am häufigsten. Jn der Betstunde sucht
er sie alle erst zum Weinen zu bewegen,
welches ihm sehr leicht wird. Wenn er sie
nun recht weichherzig gemacht, und die
Stunde geschlossen hat, so gehet er zuerst
heraus, stellt sich an die Treppe, läßt sie
alle vor sich vorbey gehen, und grüßt iede
überaus verliebt und geistlich. Geht eine
vor ihm vorbey, von der er sich vermuthet,
daß sie reich ist, und die in der Stunde
brav geweint hat, so ruft er sie zurück, und
läßt sie seitwärts treten. Wenn denn vier
oder fünfe auf ihn warten, so ruft er eine
nach der andern in seine Stube, ermahnt
sie ernstlich, fällt mit ihnen auf die Knie,
und nimmt endlich auf eine besondere
freundliche Art von ihnen Abschied. Diese
einfältige Bürgerfrauen verlieben sich bey
dieser Gelegenheit in seine andächtige Mi-
nen,


Tempelſt. Das ſagen ſie nicht, Herr Confra-
ter. Sie wiſſen ſchon ihre Rechnung bey
den Vornehmen zu machen, ſie wiſſen ih-
nen auf die hoͤflichſte Art die Geſchenke ab-
zunehmen. Kennen ſie nicht den andaͤchti-
gen Mann, den Herrn Tartuͤffe?
Muffel. Jch habe ja mit ihm auf dem Haͤlli-
ſchen Wayſenhauſe ſtudirt.
Tempelſt. Der weiß am beſten, wo der Buͤr-
ger am barmherzigſten iſt. Er haͤlt woͤ-
chentliche Erbauungsſtunden, und merkt ſich
in denſelben die reichſten Weibesperſonen;
denn dieſe beſuchen ſeine Verſammlungen
am haͤufigſten. Jn der Betſtunde ſucht
er ſie alle erſt zum Weinen zu bewegen,
welches ihm ſehr leicht wird. Wenn er ſie
nun recht weichherzig gemacht, und die
Stunde geſchloſſen hat, ſo gehet er zuerſt
heraus, ſtellt ſich an die Treppe, laͤßt ſie
alle vor ſich vorbey gehen, und gruͤßt iede
uͤberaus verliebt und geiſtlich. Geht eine
vor ihm vorbey, von der er ſich vermuthet,
daß ſie reich iſt, und die in der Stunde
brav geweint hat, ſo ruft er ſie zuruͤck, und
laͤßt ſie ſeitwaͤrts treten. Wenn denn vier
oder fuͤnfe auf ihn warten, ſo ruft er eine
nach der andern in ſeine Stube, ermahnt
ſie ernſtlich, faͤllt mit ihnen auf die Knie,
und nimmt endlich auf eine beſondere
freundliche Art von ihnen Abſchied. Dieſe
einfaͤltige Buͤrgerfrauen verlieben ſich bey
dieſer Gelegenheit in ſeine andaͤchtige Mi-
nen,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0040" n="36"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <sp who="#TEM">
            <speaker>Tempel&#x017F;t.</speaker>
            <p>Das &#x017F;agen &#x017F;ie nicht, Herr Confra-<lb/>
ter. Sie wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;chon ihre Rechnung bey<lb/>
den Vornehmen zu machen, &#x017F;ie wi&#x017F;&#x017F;en ih-<lb/>
nen auf die ho&#x0364;flich&#x017F;te Art die Ge&#x017F;chenke ab-<lb/>
zunehmen. Kennen &#x017F;ie nicht den anda&#x0364;chti-<lb/>
gen Mann, den Herrn Tartu&#x0364;ffe?</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#MUF">
            <speaker>Muffel.</speaker>
            <p>Jch habe ja mit ihm auf dem Ha&#x0364;lli-<lb/>
&#x017F;chen Way&#x017F;enhau&#x017F;e &#x017F;tudirt.</p>
          </sp><lb/>
          <sp who="#TEM">
            <speaker>Tempel&#x017F;t.</speaker>
            <p>Der weiß am be&#x017F;ten, wo der Bu&#x0364;r-<lb/>
ger am barmherzig&#x017F;ten i&#x017F;t. Er ha&#x0364;lt wo&#x0364;-<lb/>
chentliche Erbauungs&#x017F;tunden, und merkt &#x017F;ich<lb/>
in den&#x017F;elben die reich&#x017F;ten Weibesper&#x017F;onen;<lb/>
denn die&#x017F;e be&#x017F;uchen &#x017F;eine Ver&#x017F;ammlungen<lb/>
am ha&#x0364;ufig&#x017F;ten. Jn der Bet&#x017F;tunde &#x017F;ucht<lb/>
er &#x017F;ie alle er&#x017F;t zum Weinen zu bewegen,<lb/>
welches ihm &#x017F;ehr leicht wird. Wenn er &#x017F;ie<lb/>
nun recht weichherzig gemacht, und die<lb/>
Stunde ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en hat, &#x017F;o gehet er zuer&#x017F;t<lb/>
heraus, &#x017F;tellt &#x017F;ich an die Treppe, la&#x0364;ßt &#x017F;ie<lb/>
alle vor &#x017F;ich vorbey gehen, und gru&#x0364;ßt iede<lb/>
u&#x0364;beraus verliebt und gei&#x017F;tlich. Geht eine<lb/>
vor ihm vorbey, von der er &#x017F;ich vermuthet,<lb/>
daß &#x017F;ie reich i&#x017F;t, und die in der Stunde<lb/>
brav geweint hat, &#x017F;o ruft er &#x017F;ie zuru&#x0364;ck, und<lb/>
la&#x0364;ßt &#x017F;ie &#x017F;eitwa&#x0364;rts treten. Wenn denn vier<lb/>
oder fu&#x0364;nfe auf ihn warten, &#x017F;o ruft er eine<lb/>
nach der andern in &#x017F;eine Stube, ermahnt<lb/>
&#x017F;ie ern&#x017F;tlich, fa&#x0364;llt mit ihnen auf die Knie,<lb/>
und nimmt endlich auf eine be&#x017F;ondere<lb/>
freundliche Art von ihnen Ab&#x017F;chied. Die&#x017F;e<lb/>
einfa&#x0364;ltige Bu&#x0364;rgerfrauen verlieben &#x017F;ich bey<lb/>
die&#x017F;er Gelegenheit in &#x017F;eine anda&#x0364;chtige Mi-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nen,</fw><lb/></p>
          </sp>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0040] Tempelſt. Das ſagen ſie nicht, Herr Confra- ter. Sie wiſſen ſchon ihre Rechnung bey den Vornehmen zu machen, ſie wiſſen ih- nen auf die hoͤflichſte Art die Geſchenke ab- zunehmen. Kennen ſie nicht den andaͤchti- gen Mann, den Herrn Tartuͤffe? Muffel. Jch habe ja mit ihm auf dem Haͤlli- ſchen Wayſenhauſe ſtudirt. Tempelſt. Der weiß am beſten, wo der Buͤr- ger am barmherzigſten iſt. Er haͤlt woͤ- chentliche Erbauungsſtunden, und merkt ſich in denſelben die reichſten Weibesperſonen; denn dieſe beſuchen ſeine Verſammlungen am haͤufigſten. Jn der Betſtunde ſucht er ſie alle erſt zum Weinen zu bewegen, welches ihm ſehr leicht wird. Wenn er ſie nun recht weichherzig gemacht, und die Stunde geſchloſſen hat, ſo gehet er zuerſt heraus, ſtellt ſich an die Treppe, laͤßt ſie alle vor ſich vorbey gehen, und gruͤßt iede uͤberaus verliebt und geiſtlich. Geht eine vor ihm vorbey, von der er ſich vermuthet, daß ſie reich iſt, und die in der Stunde brav geweint hat, ſo ruft er ſie zuruͤck, und laͤßt ſie ſeitwaͤrts treten. Wenn denn vier oder fuͤnfe auf ihn warten, ſo ruft er eine nach der andern in ſeine Stube, ermahnt ſie ernſtlich, faͤllt mit ihnen auf die Knie, und nimmt endlich auf eine beſondere freundliche Art von ihnen Abſchied. Dieſe einfaͤltige Buͤrgerfrauen verlieben ſich bey dieſer Gelegenheit in ſeine andaͤchtige Mi- nen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/krueger_geistliche_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/krueger_geistliche_1743/40
Zitationshilfe: Krüger, Johann Christian: Die Geistlichen auf dem Lande. Frankfurt (Main) u. a., 1743, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krueger_geistliche_1743/40>, abgerufen am 21.11.2024.