Krüger, Johann Christian: Die Geistlichen auf dem Lande. Frankfurt (Main) u. a., 1743.heiten und den traurigen Zustand derjeni- gen desto deutlicher und empfindlicher ein- sehe, für deren Wohlfahrt ich doch die meinige missen wollte, wann es möglich wäre. Dankbaren Kindern liegt das Un- glück ihrer Eltern mehr im Sinne, als ihr eigenes Wohlergehen, und die Betrüb- niß über jenes verhindert sie, über dieses sich zu erfreuen. Herr v. R. Da ich sie über solche Betrübniß trösten sollte, so muß ich diese vielmehr gerecht sprechen, und für ein Zeichen eines edlen Gemüths annehmen. Dis wundert mich aber, daß sich der Herr Wahrmund die Verwirrung seiner Schülerin so sehr zu Herzen gehen läßt. Hat denn die Welt- weißheit sie auf einmahl verlassen? sind ihnen alle Mittel entfallen, welche diese sonst an die Hand giebt, die verwirresten Ge- müther wieder zu erheitern? Wahrmund. Sollten sie die Quelle meiner Bestürzung wissen, Herr von Roseneck, so würden sie mich beklagen, und gestehen, daß sie allein mich zu frieden und glücklich machen könnten. Verzeihen sie meiner Unbesonnenheit diese letzten Worte. Herr v. R. Jch dächte, daß ihnen meine Freund- schaft bekannter wäre, als daß sie von mir mit solcher Schamhaftigkeit etwas bitten sollten. Jch bin ihr Freund, Herr Wahrmund, entdecken sie mir freundschaftlicher und dreister, auf welche Weise ich ihre Zufrie- denheit D 3
heiten und den traurigen Zuſtand derjeni- gen deſto deutlicher und empfindlicher ein- ſehe, fuͤr deren Wohlfahrt ich doch die meinige miſſen wollte, wann es moͤglich waͤre. Dankbaren Kindern liegt das Un- gluͤck ihrer Eltern mehr im Sinne, als ihr eigenes Wohlergehen, und die Betruͤb- niß uͤber jenes verhindert ſie, uͤber dieſes ſich zu erfreuen. Herr v. R. Da ich ſie uͤber ſolche Betruͤbniß troͤſten ſollte, ſo muß ich dieſe vielmehr gerecht ſprechen, und fuͤr ein Zeichen eines edlen Gemuͤths annehmen. Dis wundert mich aber, daß ſich der Herr Wahrmund die Verwirrung ſeiner Schuͤlerin ſo ſehr zu Herzen gehen laͤßt. Hat denn die Welt- weißheit ſie auf einmahl verlaſſen? ſind ihnen alle Mittel entfallen, welche dieſe ſonſt an die Hand giebt, die verwirreſten Ge- muͤther wieder zu erheitern? Wahrmund. Sollten ſie die Quelle meiner Beſtuͤrzung wiſſen, Herr von Roſeneck, ſo wuͤrden ſie mich beklagen, und geſtehen, daß ſie allein mich zu frieden und gluͤcklich machen koͤnnten. Verzeihen ſie meiner Unbeſonnenheit dieſe letzten Worte. Herr v. R. Jch daͤchte, daß ihnen meine Freund- ſchaft bekannter waͤre, als daß ſie von mir mit ſolcher Schamhaftigkeit etwas bitten ſollten. Jch bin ihr Freund, Herr Wahrmund, entdecken ſie mir freundſchaftlicher und dreiſter, auf welche Weiſe ich ihre Zufrie- denheit D 3
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ſehe, fuͤr deren Wohlfahrt ich doch die
meinige miſſen wollte, wann es moͤglich
waͤre. Dankbaren Kindern liegt das Un-
gluͤck ihrer Eltern mehr im Sinne, als
ihr eigenes Wohlergehen, und die Betruͤb-
niß uͤber jenes verhindert ſie, uͤber dieſes ſich
zu erfreuen.
Herr v. R. Da ich ſie uͤber ſolche Betruͤbniß
troͤſten ſollte, ſo muß ich dieſe vielmehr
gerecht ſprechen, und fuͤr ein Zeichen eines
edlen Gemuͤths annehmen. Dis wundert
mich aber, daß ſich der Herr Wahrmund
die Verwirrung ſeiner Schuͤlerin ſo ſehr
zu Herzen gehen laͤßt. Hat denn die Welt-
weißheit ſie auf einmahl verlaſſen? ſind
ihnen alle Mittel entfallen, welche dieſe ſonſt
an die Hand giebt, die verwirreſten Ge-
muͤther wieder zu erheitern?
Wahrmund. Sollten ſie die Quelle meiner
Beſtuͤrzung wiſſen, Herr von Roſeneck,
ſo wuͤrden ſie mich beklagen, und geſtehen,
daß ſie allein mich zu frieden und gluͤcklich
machen koͤnnten. Verzeihen ſie meiner
Unbeſonnenheit dieſe letzten Worte.
Herr v. R. Jch daͤchte, daß ihnen meine Freund-
ſchaft bekannter waͤre, als daß ſie von mir mit
ſolcher Schamhaftigkeit etwas bitten ſollten.
Jch bin ihr Freund, Herr Wahrmund,
entdecken ſie mir freundſchaftlicher und
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