Krüger, Johann Christian: Die Geistlichen auf dem Lande. Frankfurt (Main) u. a., 1743. Herr v. R. Sie bekommen einen Schwieger- sohn, der vernünftig und tugendhaftig ist. Fr. v. B. Er ist die Frömmigkeit selbst. Herr v. R. Er weiß alles, was ein Mann in seinen Jahren wissen muß - - Fr. v. B. Er ist ein grundgelehrter Mann, dis Lob hat er bey allen Bauren. Herr v. R. Und in einigen Wochen reiset er in die Stadt, wohin er zum Lehrer der Welt- weißheit berufen worden. Fr. v. B. Nun! das sey Gott geklagt! das ist ein Zeichen vor dem jüngsten Tage. Glau- ben sie, Herr Bruder, der Antichrist ist los, gehen sie, und bereiten sich zu einem seligen Ende. Läßt man denn niemanden mehr in Religionssachen die Gewissens- freyheit? Ach! ach! der liebe Herr Tem- pelstolz soll seine wahre Religion verläug- nen, und soll ein Philosoph werden? Nein, er wird es nicht thun, er wird sich lieber in siedendem Oele braten lassen. Und sollte es ja so weit kommen, so will ich selbst nach Halle gehen, und mich mit den beyden frommen Herren Professoren vereinigen, welche für die Ehre Gottes wie- der die Philosophie eyfern, und welche sehr viel von solchen andächtigen, alten, ehr- baren Matronen, als ich bin, halten sol- len; ja ich will mich mit ihnen entweder ver- brennen lassen, oder wir wollen machen, daß alle die philosophische Ketzerhunde aus dem Lande gejagt werden. Herr
Herr v. R. Sie bekommen einen Schwieger- ſohn, der vernuͤnftig und tugendhaftig iſt. Fr. v. B. Er iſt die Froͤmmigkeit ſelbſt. Herr v. R. Er weiß alles, was ein Mann in ſeinen Jahren wiſſen muß ‒ ‒ Fr. v. B. Er iſt ein grundgelehrter Mann, dis Lob hat er bey allen Bauren. Herr v. R. Und in einigen Wochen reiſet er in die Stadt, wohin er zum Lehrer der Welt- weißheit berufen worden. Fr. v. B. Nun! das ſey Gott geklagt! das iſt ein Zeichen vor dem juͤngſten Tage. Glau- ben ſie, Herr Bruder, der Antichriſt iſt los, gehen ſie, und bereiten ſich zu einem ſeligen Ende. Laͤßt man denn niemanden mehr in Religionsſachen die Gewiſſens- freyheit? Ach! ach! der liebe Herr Tem- pelſtolz ſoll ſeine wahre Religion verlaͤug- nen, und ſoll ein Philoſoph werden? Nein, er wird es nicht thun, er wird ſich lieber in ſiedendem Oele braten laſſen. Und ſollte es ja ſo weit kommen, ſo will ich ſelbſt nach Halle gehen, und mich mit den beyden frommen Herren Profeſſoren vereinigen, welche fuͤr die Ehre Gottes wie- der die Philoſophie eyfern, und welche ſehr viel von ſolchen andaͤchtigen, alten, ehr- baren Matronen, als ich bin, halten ſol- len; ja ich will mich mit ihnen entweder ver- brennen laſſen, oder wir wollen machen, daß alle die philoſophiſche Ketzerhunde aus dem Lande gejagt werden. Herr
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Herr v. R. Sie bekommen einen Schwieger-
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Fr. v. B. Er iſt die Froͤmmigkeit ſelbſt.
Herr v. R. Er weiß alles, was ein Mann in
ſeinen Jahren wiſſen muß ‒ ‒
Fr. v. B. Er iſt ein grundgelehrter Mann, dis
Lob hat er bey allen Bauren.
Herr v. R. Und in einigen Wochen reiſet er in
die Stadt, wohin er zum Lehrer der Welt-
weißheit berufen worden.
Fr. v. B. Nun! das ſey Gott geklagt! das iſt
ein Zeichen vor dem juͤngſten Tage. Glau-
ben ſie, Herr Bruder, der Antichriſt iſt
los, gehen ſie, und bereiten ſich zu einem
ſeligen Ende. Laͤßt man denn niemanden
mehr in Religionsſachen die Gewiſſens-
freyheit? Ach! ach! der liebe Herr Tem-
pelſtolz ſoll ſeine wahre Religion verlaͤug-
nen, und ſoll ein Philoſoph werden?
Nein, er wird es nicht thun, er wird ſich
lieber in ſiedendem Oele braten laſſen.
Und ſollte es ja ſo weit kommen, ſo will
ich ſelbſt nach Halle gehen, und mich mit
den beyden frommen Herren Profeſſoren
vereinigen, welche fuͤr die Ehre Gottes wie-
der die Philoſophie eyfern, und welche ſehr
viel von ſolchen andaͤchtigen, alten, ehr-
baren Matronen, als ich bin, halten ſol-
len; ja ich will mich mit ihnen entweder ver-
brennen laſſen, oder wir wollen machen,
daß alle die philoſophiſche Ketzerhunde aus
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