Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Krüger, Johann Gottlob: Geschichte der Erde in den allerältesten Zeiten. Halle, 1746.

Bild:
<< vorherige Seite

in den allerältesten Zeiten.
sen. Die Einwohner von Heliopolis in Syrien zeigten
in dem Tempel der Juno eine Spalte oder Kluft in der
Erde, welche, wie sie sagten, die Wasser der Sündfluth
in sich geschlungen. Der Schriftsteller, so diß meldet,
saget zugleich: die Griechen gäben von der allgemeinen
Sündfluth, die sie sowohl als andere mit der Sündfluth
Deucalions verwechselt, eine zu sonderbare Nachricht,
als daß man sie übergehen sollte. Die Rede gehet, fährt
er fort, das jetzige Geschlecht der Menschen sey nicht das
ursprüngliche erste, als welches gänzlich untergegangen;
sondern es sey von einer zweyten Abkunft, die vom Deu-
calion
herstammen, und zu einer grossen Menge ange-
wachsen. Von den anfänglichen Menschen aber erzähle
man folgende Geschichte: Sie seyn sehr übermüthig, und
der Ungerechtigkeit ergeben gewesen, indem sie ihre Eyd-
schwüre niemals gehalten, gegen Fremde keine Gastfrey-
heit ausgeübt, auch keinen Flehen Gehör gegeben; wel-
cher Ursachen halber sie folgender grosse Unfall betroffen.
Die Erde habe plötzlich eine ungeheure Menge Wasser
ausgeschüttet, es seyn grosse Platzregen gefallen, die
Ströme übergeflossen, und die See zu einer erstaunlichen
Grösse gestiegen, so daß alles Wasser geworden, und
alle Menschen untergegangen. Nur Deucalion sey sei-
ner Klugheit und Frömmigkeit wegen zu einer zweyten
Abkunft von Menschen übrig geblieben. Die Art seiner
Erhaltung sey folgende gewesen: Er ging mit seinen Söh-
nen und derselben Weibern in ein weites Behältniß oder
Kasten, la rnaka, den er hatte; und nach ihm giengen
Schweine, Pferde, Löwen, Schlangen, und alle übrige
Geschöpfe, die auf Erden leben, Paarweise in den Kasten,
welche er aufnahm; die ihm auch nichts zu leide thaten,
indem die Götter eine grosse Freundschaft unter ihnen ver-
schaften. Und so schiften sie alle mit einander in einen
und eben denselben Kasten umher, so lange das Wasser
die Oberhand hatte. Das erzählen die Griechen vom

Deu-
E 4

in den alleraͤlteſten Zeiten.
ſen. Die Einwohner von Heliopolis in Syrien zeigten
in dem Tempel der Juno eine Spalte oder Kluft in der
Erde, welche, wie ſie ſagten, die Waſſer der Suͤndfluth
in ſich geſchlungen. Der Schriftſteller, ſo diß meldet,
ſaget zugleich: die Griechen gaͤben von der allgemeinen
Suͤndfluth, die ſie ſowohl als andere mit der Suͤndfluth
Deucalions verwechſelt, eine zu ſonderbare Nachricht,
als daß man ſie uͤbergehen ſollte. Die Rede gehet, faͤhrt
er fort, das jetzige Geſchlecht der Menſchen ſey nicht das
urſpruͤngliche erſte, als welches gaͤnzlich untergegangen;
ſondern es ſey von einer zweyten Abkunft, die vom Deu-
calion
herſtammen, und zu einer groſſen Menge ange-
wachſen. Von den anfaͤnglichen Menſchen aber erzaͤhle
man folgende Geſchichte: Sie ſeyn ſehr uͤbermuͤthig, und
der Ungerechtigkeit ergeben geweſen, indem ſie ihre Eyd-
ſchwuͤre niemals gehalten, gegen Fremde keine Gaſtfrey-
heit ausgeuͤbt, auch keinen Flehen Gehoͤr gegeben; wel-
cher Urſachen halber ſie folgender groſſe Unfall betroffen.
Die Erde habe ploͤtzlich eine ungeheure Menge Waſſer
ausgeſchuͤttet, es ſeyn groſſe Platzregen gefallen, die
Stroͤme uͤbergefloſſen, und die See zu einer erſtaunlichen
Groͤſſe geſtiegen, ſo daß alles Waſſer geworden, und
alle Menſchen untergegangen. Nur Deucalion ſey ſei-
ner Klugheit und Froͤmmigkeit wegen zu einer zweyten
Abkunft von Menſchen uͤbrig geblieben. Die Art ſeiner
Erhaltung ſey folgende geweſen: Er ging mit ſeinen Soͤh-
nen und derſelben Weibern in ein weites Behaͤltniß oder
Kaſten, λά ϱνακα, den er hatte; und nach ihm giengen
Schweine, Pferde, Loͤwen, Schlangen, und alle uͤbrige
Geſchoͤpfe, die auf Erden leben, Paarweiſe in den Kaſten,
welche er aufnahm; die ihm auch nichts zu leide thaten,
indem die Goͤtter eine groſſe Freundſchaft unter ihnen ver-
ſchaften. Und ſo ſchiften ſie alle mit einander in einen
und eben denſelben Kaſten umher, ſo lange das Waſſer
die Oberhand hatte. Das erzaͤhlen die Griechen vom

Deu-
E 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0085" n="71"/><fw place="top" type="header">in den allera&#x0364;lte&#x017F;ten Zeiten.</fw><lb/>
&#x017F;en. Die Einwohner von <hi rendition="#fr">Heliopolis</hi> in Syrien zeigten<lb/>
in dem Tempel der <hi rendition="#fr">Juno</hi> eine Spalte oder Kluft in der<lb/>
Erde, welche, wie &#x017F;ie &#x017F;agten, die Wa&#x017F;&#x017F;er der Su&#x0364;ndfluth<lb/>
in &#x017F;ich ge&#x017F;chlungen. Der Schrift&#x017F;teller, &#x017F;o diß meldet,<lb/>
&#x017F;aget zugleich: die Griechen ga&#x0364;ben von der allgemeinen<lb/>
Su&#x0364;ndfluth, die &#x017F;ie &#x017F;owohl als andere mit der Su&#x0364;ndfluth<lb/><hi rendition="#fr">Deucalions</hi> verwech&#x017F;elt, eine zu &#x017F;onderbare Nachricht,<lb/>
als daß man &#x017F;ie u&#x0364;bergehen &#x017F;ollte. Die Rede gehet, fa&#x0364;hrt<lb/>
er fort, das jetzige Ge&#x017F;chlecht der Men&#x017F;chen &#x017F;ey nicht das<lb/>
ur&#x017F;pru&#x0364;ngliche er&#x017F;te, als welches ga&#x0364;nzlich untergegangen;<lb/>
&#x017F;ondern es &#x017F;ey von einer zweyten Abkunft, die vom <hi rendition="#fr">Deu-<lb/>
calion</hi> her&#x017F;tammen, und zu einer gro&#x017F;&#x017F;en Menge ange-<lb/>
wach&#x017F;en. Von den anfa&#x0364;nglichen Men&#x017F;chen aber erza&#x0364;hle<lb/>
man folgende Ge&#x017F;chichte: Sie &#x017F;eyn &#x017F;ehr u&#x0364;bermu&#x0364;thig, und<lb/>
der Ungerechtigkeit ergeben gewe&#x017F;en, indem &#x017F;ie ihre Eyd-<lb/>
&#x017F;chwu&#x0364;re niemals gehalten, gegen Fremde keine Ga&#x017F;tfrey-<lb/>
heit ausgeu&#x0364;bt, auch keinen Flehen Geho&#x0364;r gegeben; wel-<lb/>
cher Ur&#x017F;achen halber &#x017F;ie folgender gro&#x017F;&#x017F;e Unfall betroffen.<lb/>
Die Erde habe plo&#x0364;tzlich eine ungeheure Menge Wa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
ausge&#x017F;chu&#x0364;ttet, es &#x017F;eyn gro&#x017F;&#x017F;e Platzregen gefallen, die<lb/>
Stro&#x0364;me u&#x0364;bergeflo&#x017F;&#x017F;en, und die See zu einer er&#x017F;taunlichen<lb/>
Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e ge&#x017F;tiegen, &#x017F;o daß alles Wa&#x017F;&#x017F;er geworden, und<lb/>
alle Men&#x017F;chen untergegangen. Nur <hi rendition="#fr">Deucalion</hi> &#x017F;ey &#x017F;ei-<lb/>
ner Klugheit und Fro&#x0364;mmigkeit wegen zu einer zweyten<lb/>
Abkunft von Men&#x017F;chen u&#x0364;brig geblieben. Die Art &#x017F;einer<lb/>
Erhaltung &#x017F;ey folgende gewe&#x017F;en: Er ging mit &#x017F;einen So&#x0364;h-<lb/>
nen und der&#x017F;elben Weibern in ein weites Beha&#x0364;ltniß oder<lb/>
Ka&#x017F;ten, &#x03BB;&#x03AC; &#x03F1;&#x03BD;&#x03B1;&#x03BA;&#x03B1;, den er hatte; und nach ihm giengen<lb/>
Schweine, Pferde, Lo&#x0364;wen, Schlangen, und alle u&#x0364;brige<lb/>
Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe, die auf Erden leben, Paarwei&#x017F;e in den Ka&#x017F;ten,<lb/>
welche er aufnahm; die ihm auch nichts zu leide thaten,<lb/>
indem die Go&#x0364;tter eine gro&#x017F;&#x017F;e Freund&#x017F;chaft unter ihnen ver-<lb/>
&#x017F;chaften. Und &#x017F;o &#x017F;chiften &#x017F;ie alle mit einander in einen<lb/>
und eben den&#x017F;elben Ka&#x017F;ten umher, &#x017F;o lange das Wa&#x017F;&#x017F;er<lb/>
die Oberhand hatte. Das erza&#x0364;hlen die <hi rendition="#fr">Griechen</hi> vom<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">E 4</fw><fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">Deu-</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0085] in den alleraͤlteſten Zeiten. ſen. Die Einwohner von Heliopolis in Syrien zeigten in dem Tempel der Juno eine Spalte oder Kluft in der Erde, welche, wie ſie ſagten, die Waſſer der Suͤndfluth in ſich geſchlungen. Der Schriftſteller, ſo diß meldet, ſaget zugleich: die Griechen gaͤben von der allgemeinen Suͤndfluth, die ſie ſowohl als andere mit der Suͤndfluth Deucalions verwechſelt, eine zu ſonderbare Nachricht, als daß man ſie uͤbergehen ſollte. Die Rede gehet, faͤhrt er fort, das jetzige Geſchlecht der Menſchen ſey nicht das urſpruͤngliche erſte, als welches gaͤnzlich untergegangen; ſondern es ſey von einer zweyten Abkunft, die vom Deu- calion herſtammen, und zu einer groſſen Menge ange- wachſen. Von den anfaͤnglichen Menſchen aber erzaͤhle man folgende Geſchichte: Sie ſeyn ſehr uͤbermuͤthig, und der Ungerechtigkeit ergeben geweſen, indem ſie ihre Eyd- ſchwuͤre niemals gehalten, gegen Fremde keine Gaſtfrey- heit ausgeuͤbt, auch keinen Flehen Gehoͤr gegeben; wel- cher Urſachen halber ſie folgender groſſe Unfall betroffen. Die Erde habe ploͤtzlich eine ungeheure Menge Waſſer ausgeſchuͤttet, es ſeyn groſſe Platzregen gefallen, die Stroͤme uͤbergefloſſen, und die See zu einer erſtaunlichen Groͤſſe geſtiegen, ſo daß alles Waſſer geworden, und alle Menſchen untergegangen. Nur Deucalion ſey ſei- ner Klugheit und Froͤmmigkeit wegen zu einer zweyten Abkunft von Menſchen uͤbrig geblieben. Die Art ſeiner Erhaltung ſey folgende geweſen: Er ging mit ſeinen Soͤh- nen und derſelben Weibern in ein weites Behaͤltniß oder Kaſten, λά ϱνακα, den er hatte; und nach ihm giengen Schweine, Pferde, Loͤwen, Schlangen, und alle uͤbrige Geſchoͤpfe, die auf Erden leben, Paarweiſe in den Kaſten, welche er aufnahm; die ihm auch nichts zu leide thaten, indem die Goͤtter eine groſſe Freundſchaft unter ihnen ver- ſchaften. Und ſo ſchiften ſie alle mit einander in einen und eben denſelben Kaſten umher, ſo lange das Waſſer die Oberhand hatte. Das erzaͤhlen die Griechen vom Deu- E 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/krueger_weltweisheit_1746
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/krueger_weltweisheit_1746/85
Zitationshilfe: Krüger, Johann Gottlob: Geschichte der Erde in den allerältesten Zeiten. Halle, 1746, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krueger_weltweisheit_1746/85>, abgerufen am 17.05.2024.