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Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905.

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vorbereitet wie er. Nur Begabung und Fleiß entschieden über
größeres oder geringeres Wissen.

Für die höhere Mädchenschule dagegen galt lange Zeit
und gilt vielfach noch jetzt als erstrebenswertestes Ziel, sie der
Knabenschule im Lehrziel und in der Lehrmethode so unähn-
lich wie möglich zu machen. Klar denken zu lernen, gründ-
liches Wissen zu erwerben, stand einem Mädchen nicht wohl
an. Verstandesbildung bei den Knaben, Ausbildung des Ge-
mütes, des ästhetischen Sinnes bei den Mädchen, das war das
Losungswort nahezu aller Mädchenschul-Pädagogen bis in den
Beginn der neunziger Jahre hinein, bis zu dem machtvollen
Aufflammen der Lehrerinnenbewegung, die neue, lebenskräf-
tigere Jdeale an die Stelle des unklaren, überempfindsamen
Frauenideals setzte, wie es früheren Seiten vorschwebte.

Aber noch verhängnisvoller als in der Schule wirkte für
unsere Mädchen im Hause der Einfluß einer den Anforde-
rungen des Lebens nicht Rechnung tragenden Erziehung. Welch
ein Unterschied auch hier zwischen der Frau aus dem Volke
und der Tochter aus guter Familie! Das die Volksschule be-
suchende Mädchen kannte von klein auf das Leben, genau
wie ihr männlicher Gefährte, sie stand mitten darin. Welt
und Menschen zeigten sich ihr ungeschminkt, allzu ungeschminkt
manchmal und von allzu wenig veredelter Seite. Aber im-
merhin, - hatte sie häuslichen oder inneren Halt genug, den an
sie herantretenden Versuchungen nicht schon in jungen Jahren
zu unterliegen, so wußte sie sich, dank solcher Vertrautheit mit
dem wirklichen Leben, frühzeitig in der Welt zurechtzufinden,
auch im Erwerbsleben ihren Platz zu behaupten.

Anders das aus besseren Kreisen stammende Mädchen.
Wohlbehütet, sorgsam geleitet, von jeder Berührung mit der
rauhen Wirklichkeit möglichst ferngehalten, ungewohnt, selb-

vorbereitet wie er. Nur Begabung und Fleiß entschieden über
größeres oder geringeres Wissen.

Für die höhere Mädchenschule dagegen galt lange Zeit
und gilt vielfach noch jetzt als erstrebenswertestes Ziel, sie der
Knabenschule im Lehrziel und in der Lehrmethode so unähn-
lich wie möglich zu machen. Klar denken zu lernen, gründ-
liches Wissen zu erwerben, stand einem Mädchen nicht wohl
an. Verstandesbildung bei den Knaben, Ausbildung des Ge-
mütes, des ästhetischen Sinnes bei den Mädchen, das war das
Losungswort nahezu aller Mädchenschul-Pädagogen bis in den
Beginn der neunziger Jahre hinein, bis zu dem machtvollen
Aufflammen der Lehrerinnenbewegung, die neue, lebenskräf-
tigere Jdeale an die Stelle des unklaren, überempfindsamen
Frauenideals setzte, wie es früheren Seiten vorschwebte.

Aber noch verhängnisvoller als in der Schule wirkte für
unsere Mädchen im Hause der Einfluß einer den Anforde-
rungen des Lebens nicht Rechnung tragenden Erziehung. Welch
ein Unterschied auch hier zwischen der Frau aus dem Volke
und der Tochter aus guter Familie! Das die Volksschule be-
suchende Mädchen kannte von klein auf das Leben, genau
wie ihr männlicher Gefährte, sie stand mitten darin. Welt
und Menschen zeigten sich ihr ungeschminkt, allzu ungeschminkt
manchmal und von allzu wenig veredelter Seite. Aber im-
merhin, – hatte sie häuslichen oder inneren Halt genug, den an
sie herantretenden Versuchungen nicht schon in jungen Jahren
zu unterliegen, so wußte sie sich, dank solcher Vertrautheit mit
dem wirklichen Leben, frühzeitig in der Welt zurechtzufinden,
auch im Erwerbsleben ihren Platz zu behaupten.

Anders das aus besseren Kreisen stammende Mädchen.
Wohlbehütet, sorgsam geleitet, von jeder Berührung mit der
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[23/0033] vorbereitet wie er. Nur Begabung und Fleiß entschieden über größeres oder geringeres Wissen. Für die höhere Mädchenschule dagegen galt lange Zeit und gilt vielfach noch jetzt als erstrebenswertestes Ziel, sie der Knabenschule im Lehrziel und in der Lehrmethode so unähn- lich wie möglich zu machen. Klar denken zu lernen, gründ- liches Wissen zu erwerben, stand einem Mädchen nicht wohl an. Verstandesbildung bei den Knaben, Ausbildung des Ge- mütes, des ästhetischen Sinnes bei den Mädchen, das war das Losungswort nahezu aller Mädchenschul-Pädagogen bis in den Beginn der neunziger Jahre hinein, bis zu dem machtvollen Aufflammen der Lehrerinnenbewegung, die neue, lebenskräf- tigere Jdeale an die Stelle des unklaren, überempfindsamen Frauenideals setzte, wie es früheren Seiten vorschwebte. Aber noch verhängnisvoller als in der Schule wirkte für unsere Mädchen im Hause der Einfluß einer den Anforde- rungen des Lebens nicht Rechnung tragenden Erziehung. Welch ein Unterschied auch hier zwischen der Frau aus dem Volke und der Tochter aus guter Familie! Das die Volksschule be- suchende Mädchen kannte von klein auf das Leben, genau wie ihr männlicher Gefährte, sie stand mitten darin. Welt und Menschen zeigten sich ihr ungeschminkt, allzu ungeschminkt manchmal und von allzu wenig veredelter Seite. Aber im- merhin, – hatte sie häuslichen oder inneren Halt genug, den an sie herantretenden Versuchungen nicht schon in jungen Jahren zu unterliegen, so wußte sie sich, dank solcher Vertrautheit mit dem wirklichen Leben, frühzeitig in der Welt zurechtzufinden, auch im Erwerbsleben ihren Platz zu behaupten. Anders das aus besseren Kreisen stammende Mädchen. Wohlbehütet, sorgsam geleitet, von jeder Berührung mit der rauhen Wirklichkeit möglichst ferngehalten, ungewohnt, selb-

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-11-13T13:59:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-08-20T13:59:15Z)
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Zitationshilfe: Krukenberg, Elsbeth: Die Frauenbewegung, ihre Ziele und ihre Bedeutung. Tübingen, 1905, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/krukenberg_frauenbewegung_1905/33>, abgerufen am 23.11.2024.