Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kruse, Laurids: Nordische Freundschaft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

und dem Gedanken an ihre Vernichtung? Ich leugne nicht, fuhr er ernst und gelassen fort, sein Tod hat meine Blicke mehr nach innen gewendet. So lange er lebte, habe ich oft durch deine süße Gegenwart seiner vergessen; seit er todt daliegt, verscheucht mich fast sein Bild aus deinen Armen. -- Nimm diese Papiere, seinen Nachlaß. Ich will nicht verhehlen, daß er dadurch mich sehr, sehr über deine äußere Lage beruhigt habe. Er stand siegreich in voller Kraft, und nun -- wer weiß, was auch mir begegnen kann?

Dir? Das verhüte Gott!

Still! Marie! Die Braut eines Kriegers muß auf Alles gefaßt sein; und die Zeit bringt immer Ruhe in ein reines Herz. Ja, wir waren Fostbrüder! Es liegt mir ob, seinen Tod zu rächen, mein Beruf erheischt es; eine versteckte Wunde hat ihm den Tod gebracht. Ich muß auch gegen den Feind; ich habe lange genug hier unthätig vor Anker gelegen!

Marie, die oft gehört, wie er voll Kampflust und Thatendurst das glückliche Loos des Freundes beneidet, hatte keine Antwort auf diese Rede, sondern nur stille Thränen; aber da er sich nun von ihr trennen wollte, und es nicht vermochte, und immer zurückkehrte, um ihr aufs Neue gute Nacht zu sagen, bis er sich mit sichtbarem Kampfe losriß, war es ihr, als sollte sie ihn nie wieder sehen.

Aber er kam den folgenden Tag wieder, und so auch mehrere Abende nach einander. Ja, es war sogar,

und dem Gedanken an ihre Vernichtung? Ich leugne nicht, fuhr er ernst und gelassen fort, sein Tod hat meine Blicke mehr nach innen gewendet. So lange er lebte, habe ich oft durch deine süße Gegenwart seiner vergessen; seit er todt daliegt, verscheucht mich fast sein Bild aus deinen Armen. — Nimm diese Papiere, seinen Nachlaß. Ich will nicht verhehlen, daß er dadurch mich sehr, sehr über deine äußere Lage beruhigt habe. Er stand siegreich in voller Kraft, und nun — wer weiß, was auch mir begegnen kann?

Dir? Das verhüte Gott!

Still! Marie! Die Braut eines Kriegers muß auf Alles gefaßt sein; und die Zeit bringt immer Ruhe in ein reines Herz. Ja, wir waren Fostbrüder! Es liegt mir ob, seinen Tod zu rächen, mein Beruf erheischt es; eine versteckte Wunde hat ihm den Tod gebracht. Ich muß auch gegen den Feind; ich habe lange genug hier unthätig vor Anker gelegen!

Marie, die oft gehört, wie er voll Kampflust und Thatendurst das glückliche Loos des Freundes beneidet, hatte keine Antwort auf diese Rede, sondern nur stille Thränen; aber da er sich nun von ihr trennen wollte, und es nicht vermochte, und immer zurückkehrte, um ihr aufs Neue gute Nacht zu sagen, bis er sich mit sichtbarem Kampfe losriß, war es ihr, als sollte sie ihn nie wieder sehen.

Aber er kam den folgenden Tag wieder, und so auch mehrere Abende nach einander. Ja, es war sogar,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0099"/>
und dem Gedanken an ihre      Vernichtung? Ich leugne nicht, fuhr er ernst und gelassen fort, sein Tod hat meine Blicke mehr      nach innen gewendet. So lange er lebte, habe ich oft durch deine süße Gegenwart seiner      vergessen; seit er todt daliegt, verscheucht mich fast sein Bild aus deinen Armen. &#x2014; Nimm diese      Papiere, seinen Nachlaß. Ich will nicht verhehlen, daß er dadurch mich sehr, sehr über deine      äußere Lage beruhigt habe. Er stand siegreich in voller Kraft, und nun &#x2014; wer weiß, was auch mir      begegnen kann?</p><lb/>
        <p>Dir? Das verhüte Gott!</p><lb/>
        <p>Still! Marie! Die Braut eines Kriegers muß auf Alles gefaßt sein; und die Zeit bringt immer      Ruhe in ein reines Herz. Ja, wir waren Fostbrüder! Es liegt mir ob, seinen Tod zu rächen, mein      Beruf erheischt es; eine versteckte Wunde hat ihm den Tod gebracht. Ich muß auch gegen den      Feind; ich habe lange genug hier unthätig vor Anker gelegen!</p><lb/>
        <p>Marie, die oft gehört, wie er voll Kampflust und Thatendurst das glückliche Loos des Freundes      beneidet, hatte keine Antwort auf diese Rede, sondern nur stille Thränen; aber da er sich nun      von ihr trennen wollte, und es nicht vermochte, und immer zurückkehrte, um ihr aufs Neue gute      Nacht zu sagen, bis er sich mit sichtbarem Kampfe losriß, war es ihr, als sollte sie ihn nie      wieder sehen.</p><lb/>
        <p>Aber er kam den folgenden Tag wieder, und so auch mehrere Abende nach einander. Ja, es war      sogar,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0099] und dem Gedanken an ihre Vernichtung? Ich leugne nicht, fuhr er ernst und gelassen fort, sein Tod hat meine Blicke mehr nach innen gewendet. So lange er lebte, habe ich oft durch deine süße Gegenwart seiner vergessen; seit er todt daliegt, verscheucht mich fast sein Bild aus deinen Armen. — Nimm diese Papiere, seinen Nachlaß. Ich will nicht verhehlen, daß er dadurch mich sehr, sehr über deine äußere Lage beruhigt habe. Er stand siegreich in voller Kraft, und nun — wer weiß, was auch mir begegnen kann? Dir? Das verhüte Gott! Still! Marie! Die Braut eines Kriegers muß auf Alles gefaßt sein; und die Zeit bringt immer Ruhe in ein reines Herz. Ja, wir waren Fostbrüder! Es liegt mir ob, seinen Tod zu rächen, mein Beruf erheischt es; eine versteckte Wunde hat ihm den Tod gebracht. Ich muß auch gegen den Feind; ich habe lange genug hier unthätig vor Anker gelegen! Marie, die oft gehört, wie er voll Kampflust und Thatendurst das glückliche Loos des Freundes beneidet, hatte keine Antwort auf diese Rede, sondern nur stille Thränen; aber da er sich nun von ihr trennen wollte, und es nicht vermochte, und immer zurückkehrte, um ihr aufs Neue gute Nacht zu sagen, bis er sich mit sichtbarem Kampfe losriß, war es ihr, als sollte sie ihn nie wieder sehen. Aber er kam den folgenden Tag wieder, und so auch mehrere Abende nach einander. Ja, es war sogar,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:52:36Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:52:36Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kruse_freundschaft_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kruse_freundschaft_1910/99
Zitationshilfe: Kruse, Laurids: Nordische Freundschaft. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 6. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–105. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kruse_freundschaft_1910/99>, abgerufen am 04.12.2024.