eine reiche Kreolin in New-Orleans, Mrs. Harrison -- wechselt siebenmal ihr Kostüm, so daß am heutigen Abend junge Ladies eine ganz vorzügliche Gelegenheit haben, ihre Studien in der höheren Toi¬ lettenkunst zu bereichern; die Darstellerin ist bekanntlich tonangebend hierin. -- Jane Norwood (wegen ihrer bunten und überraschenden Schick¬ salswechsel kann ihre Stellung im Stücke nicht näher bezeichnet wer¬ den): Mrs. Drake Hariet Store, -- ein unschuldiges Gott ergebenes Mädchen, welches fast nur in Bibelsprüchen redet. Ihre Rolle zeigt das Theater im schönsten Lichte einer guten Sittenschule. -- Junker Tobias Sproul: Mr. Croghan -- ein Snob ohne Gleichen! Der Charakter des lächerlichen und affectirten Dandy hat nie einen bessern Darsteller ge¬ funden. -- Ein Stummer -- zwei harthörige Deputirte -- ein altes blindes Weib -- Matrosen -- Sclaven -- Sclavinnen -- Indianer -- Volk -- mehrere auf Rattenfang dressirte Newfoundländer -- Ratten -- Mörder."
Als Moorfeld diesen Zettel las, mochte er sich wohl, wie jeder Gebildete gethan hätte, vorstellen, daß damit ein anderes, als das Publikum seiner Farbe in's Auge gefaßt sei. Das aber ist die feine Menschenkenntniß des Marktbudenstyls, daß er mit pfiffiger Bar¬ barei scheinbar an die Aermsten im Geiste appelirt und damit weit sicherer in die höheren Kreise hinaufreicht, als er umgekehrt mit der Sprache der Cultur die niederen ergreifen würde. Moorfeld war so¬ fort entschlossen, dieser Vorstellung beizuwohnen, wenn er auch nichts Anderes erwartete, als in ein Winkeltheater gefahren zu werden, wel¬ ches Leute seines Gleichen höchstens aus Ironie besuchen. Er nannte also dem nächsten Stage-Kutscher das Burton-Theater und bestieg den den Wagen. Aber er hatte sich geirrt.
Das Fuhrwerk setzte ihn in der Chamber-Street hinterm "Park", d. h. im Brennpunkte der Stadt ab, und das Theatergebäude blieb in Größe und Bauform hinter keinem der ersten Schauspielhäuser zurück.
Um so besser, dachte der Fremde. Er wird also nicht unter, son¬ dern mindestens auf der Linie der Kunst, oder dessen, was hier dafür gilt, das Gebotene sich bewegen finden und nicht der Neugierde, son¬ dern wie immer, des Studiums wegen da sein. Bei diesem Bewandt¬ niß wollen wir uns entschließen, seinen Theaterbesuch zu theilen. Folgen wir unserm Freunde jetzt in das Innere des Hauses.
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eine reiche Kreolin in New-Orleans, Mrs. Harriſon — wechſelt ſiebenmal ihr Koſtüm, ſo daß am heutigen Abend junge Ladies eine ganz vorzügliche Gelegenheit haben, ihre Studien in der höheren Toi¬ lettenkunſt zu bereichern; die Darſtellerin iſt bekanntlich tonangebend hierin. — Jane Norwood (wegen ihrer bunten und überraſchenden Schick¬ ſalswechſel kann ihre Stellung im Stücke nicht näher bezeichnet wer¬ den): Mrs. Drake Hariet Store, — ein unſchuldiges Gott ergebenes Mädchen, welches faſt nur in Bibelſprüchen redet. Ihre Rolle zeigt das Theater im ſchönſten Lichte einer guten Sittenſchule. — Junker Tobias Sproul: Mr. Croghan — ein Snob ohne Gleichen! Der Charakter des lächerlichen und affectirten Dandy hat nie einen beſſern Darſteller ge¬ funden. — Ein Stummer — zwei harthörige Deputirte — ein altes blindes Weib — Matroſen — Sclaven — Sclavinnen — Indianer — Volk — mehrere auf Rattenfang dreſſirte Newfoundländer — Ratten — Mörder.“
Als Moorfeld dieſen Zettel las, mochte er ſich wohl, wie jeder Gebildete gethan hätte, vorſtellen, daß damit ein anderes, als das Publikum ſeiner Farbe in's Auge gefaßt ſei. Das aber iſt die feine Menſchenkenntniß des Marktbudenſtyls, daß er mit pfiffiger Bar¬ barei ſcheinbar an die Aermſten im Geiſte appelirt und damit weit ſicherer in die höheren Kreiſe hinaufreicht, als er umgekehrt mit der Sprache der Cultur die niederen ergreifen würde. Moorfeld war ſo¬ fort entſchloſſen, dieſer Vorſtellung beizuwohnen, wenn er auch nichts Anderes erwartete, als in ein Winkeltheater gefahren zu werden, wel¬ ches Leute ſeines Gleichen höchſtens aus Ironie beſuchen. Er nannte alſo dem nächſten Stage-Kutſcher das Burton-Theater und beſtieg den den Wagen. Aber er hatte ſich geirrt.
Das Fuhrwerk ſetzte ihn in der Chamber-Street hinterm „Park“, d. h. im Brennpunkte der Stadt ab, und das Theatergebäude blieb in Größe und Bauform hinter keinem der erſten Schauſpielhäuſer zurück.
Um ſo beſſer, dachte der Fremde. Er wird alſo nicht unter, ſon¬ dern mindeſtens auf der Linie der Kunſt, oder deſſen, was hier dafür gilt, das Gebotene ſich bewegen finden und nicht der Neugierde, ſon¬ dern wie immer, des Studiums wegen da ſein. Bei dieſem Bewandt¬ niß wollen wir uns entſchließen, ſeinen Theaterbeſuch zu theilen. Folgen wir unſerm Freunde jetzt in das Innere des Hauſes.
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eine reiche Kreolin in New-Orleans, Mrs. Harriſon — wechſelt
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lettenkunſt zu bereichern; die Darſtellerin iſt bekanntlich tonangebend
hierin. — Jane Norwood (wegen ihrer bunten und überraſchenden Schick¬
ſalswechſel kann ihre Stellung im Stücke nicht näher bezeichnet wer¬
den): Mrs. Drake Hariet Store, — ein unſchuldiges Gott ergebenes
Mädchen, welches faſt nur in Bibelſprüchen redet. Ihre Rolle zeigt
das Theater im ſchönſten Lichte einer guten Sittenſchule. — Junker Tobias
Sproul: Mr. Croghan — ein Snob ohne Gleichen! Der Charakter des
lächerlichen und affectirten Dandy hat nie einen beſſern Darſteller ge¬
funden. — Ein Stummer — zwei harthörige Deputirte — ein altes
blindes Weib — Matroſen — Sclaven — Sclavinnen — Indianer —
Volk — mehrere auf Rattenfang dreſſirte Newfoundländer — Ratten —
Mörder.“
Als Moorfeld dieſen Zettel las, mochte er ſich wohl, wie jeder
Gebildete gethan hätte, vorſtellen, daß damit ein anderes, als das
Publikum ſeiner Farbe in's Auge gefaßt ſei. Das aber iſt die
feine Menſchenkenntniß des Marktbudenſtyls, daß er mit pfiffiger Bar¬
barei ſcheinbar an die Aermſten im Geiſte appelirt und damit weit
ſicherer in die höheren Kreiſe hinaufreicht, als er umgekehrt mit der
Sprache der Cultur die niederen ergreifen würde. Moorfeld war ſo¬
fort entſchloſſen, dieſer Vorſtellung beizuwohnen, wenn er auch nichts
Anderes erwartete, als in ein Winkeltheater gefahren zu werden, wel¬
ches Leute ſeines Gleichen höchſtens aus Ironie beſuchen. Er nannte
alſo dem nächſten Stage-Kutſcher das Burton-Theater und beſtieg den
den Wagen. Aber er hatte ſich geirrt.
Das Fuhrwerk ſetzte ihn in der Chamber-Street hinterm „Park“,
d. h. im Brennpunkte der Stadt ab, und das Theatergebäude blieb
in Größe und Bauform hinter keinem der erſten Schauſpielhäuſer zurück.
Um ſo beſſer, dachte der Fremde. Er wird alſo nicht unter, ſon¬
dern mindeſtens auf der Linie der Kunſt, oder deſſen, was hier dafür
gilt, das Gebotene ſich bewegen finden und nicht der Neugierde, ſon¬
dern wie immer, des Studiums wegen da ſein. Bei dieſem Bewandt¬
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/101>, abgerufen am 24.11.2024.
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