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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Hier strahlte ihm eine Pracht entgegen, welche zwar nicht die Ele¬
ganz selbst war, aber nach amerikanischem Geschmacke, soweit ihn Moor¬
feld bereits kannte, doch den Anspruch machte, die Eleganz zu reprä¬
sentiren. Ein Blick auf das Publikum dünkte ihm schon befremdender.
Er begriff, daß es keine Beutelschneiderei gewesen, als ihm der Kas¬
sierer, da er ein Parterrebillet gefordert, einen Logensitz für standes¬
gemäß insinuirt hatte. Das Parterre war ein ausschließlicher Tummel¬
platz der Lehrlinge, Straßenjungen und Zeitungsausträger, kurz eines
halberwachsenen Publikums in Hemdärmeln und Schurzfell, seine Diele
glich überdies einer nassen Malerpalette, voll vom aufgesetzten Braun
des bekannten Kautabak-Extractes.

Moorfeld nahm seinen Logenplatz ein. Er kam neben einen Gent¬
leman zu sitzen, der ihm einige Aufmerksamkeit abnöthigte. Eine
prächtige Dogge dehnte und streckte sich nämlich zu den Füßen des
Mannes, und krümmte sich, nachdem sie die bequemste Lage aufge¬
funden hatte, in die bekannte Hufeisenform zusammen, indem sie ihre
zierlich gespitzte Schnauze gar anmuthig zwischen den schlanken Hinter¬
beinen anbrachte. Hoho! rief der Gentleman dem Hunde zu, Sie
wollen einschlafen? dann streichelte er zärtlich, fast rücksichtsvoll den
Rücken des Thieres und fuhr fort: Sehr vornehm, wenn man Kemble
und Talma gesehen hat, aber wenig aufmerksam gegen unsre Gast¬
freunde. Nicht zu exclusiv', mein Freund, hören Sie? Verwundert
betrachtete Moorfeld den Mann. Ein nicht zu verkennender Typus
von osteologischer Steifheit, bei vollkommen geübtem Ausdruck von
Selbstgefühl, verrieth den Engländer und den Mann von Stande zugleich.

Sein Kopf war von einem merkwürdigen Bau, denn während die
vorgetriebene Stirn sich stark auswölbte und die Nase scharf, gleich
einem Widerhaken, vorsprang, traten Mund und Kinn so plötzlich zu¬
rück, daß die obere Gesichtshälfte über die untere gleichsam hinauszu¬
fallen schien. Eben so lag sein großes rollendes Auge beinahe gänz¬
lich außer seiner Höhle. Man glaubte in dem ganzen Kopfe das
Modell eines Plastikers zu sehen, der in dem Streben, durch Ausbil¬
dung der Denkorgane; Geistigkeit zu erreichen, bis zum Exceß weit
gegangen und eine so monströse Geistigkeit hervorgebracht, daß sie di¬
rect in ihr Gegentheil umzuschlagen schien. Die Ansprache an den
Hund bestätigte dieses physiognomische Urtheil wahrhaft verhäng¬

Hier ſtrahlte ihm eine Pracht entgegen, welche zwar nicht die Ele¬
ganz ſelbſt war, aber nach amerikaniſchem Geſchmacke, ſoweit ihn Moor¬
feld bereits kannte, doch den Anſpruch machte, die Eleganz zu reprä¬
ſentiren. Ein Blick auf das Publikum dünkte ihm ſchon befremdender.
Er begriff, daß es keine Beutelſchneiderei geweſen, als ihm der Kaſ¬
ſierer, da er ein Parterrebillet gefordert, einen Logenſitz für ſtandes¬
gemäß inſinuirt hatte. Das Parterre war ein ausſchließlicher Tummel¬
platz der Lehrlinge, Straßenjungen und Zeitungsausträger, kurz eines
halberwachſenen Publikums in Hemdärmeln und Schurzfell, ſeine Diele
glich überdies einer naſſen Malerpalette, voll vom aufgeſetzten Braun
des bekannten Kautabak-Extractes.

Moorfeld nahm ſeinen Logenplatz ein. Er kam neben einen Gent¬
leman zu ſitzen, der ihm einige Aufmerkſamkeit abnöthigte. Eine
prächtige Dogge dehnte und ſtreckte ſich nämlich zu den Füßen des
Mannes, und krümmte ſich, nachdem ſie die bequemſte Lage aufge¬
funden hatte, in die bekannte Hufeiſenform zuſammen, indem ſie ihre
zierlich geſpitzte Schnauze gar anmuthig zwiſchen den ſchlanken Hinter¬
beinen anbrachte. Hoho! rief der Gentleman dem Hunde zu, Sie
wollen einſchlafen? dann ſtreichelte er zärtlich, faſt rückſichtsvoll den
Rücken des Thieres und fuhr fort: Sehr vornehm, wenn man Kemble
und Talma geſehen hat, aber wenig aufmerkſam gegen unſre Gaſt¬
freunde. Nicht zu excluſiv’, mein Freund, hören Sie? Verwundert
betrachtete Moorfeld den Mann. Ein nicht zu verkennender Typus
von oſteologiſcher Steifheit, bei vollkommen geübtem Ausdruck von
Selbſtgefühl, verrieth den Engländer und den Mann von Stande zugleich.

Sein Kopf war von einem merkwürdigen Bau, denn während die
vorgetriebene Stirn ſich ſtark auswölbte und die Naſe ſcharf, gleich
einem Widerhaken, vorſprang, traten Mund und Kinn ſo plötzlich zu¬
rück, daß die obere Geſichtshälfte über die untere gleichſam hinauszu¬
fallen ſchien. Eben ſo lag ſein großes rollendes Auge beinahe gänz¬
lich außer ſeiner Höhle. Man glaubte in dem ganzen Kopfe das
Modell eines Plaſtikers zu ſehen, der in dem Streben, durch Ausbil¬
dung der Denkorgane; Geiſtigkeit zu erreichen, bis zum Exceß weit
gegangen und eine ſo monſtröſe Geiſtigkeit hervorgebracht, daß ſie di¬
rect in ihr Gegentheil umzuſchlagen ſchien. Die Anſprache an den
Hund beſtätigte dieſes phyſiognomiſche Urtheil wahrhaft verhäng¬

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[84/0102] Hier ſtrahlte ihm eine Pracht entgegen, welche zwar nicht die Ele¬ ganz ſelbſt war, aber nach amerikaniſchem Geſchmacke, ſoweit ihn Moor¬ feld bereits kannte, doch den Anſpruch machte, die Eleganz zu reprä¬ ſentiren. Ein Blick auf das Publikum dünkte ihm ſchon befremdender. Er begriff, daß es keine Beutelſchneiderei geweſen, als ihm der Kaſ¬ ſierer, da er ein Parterrebillet gefordert, einen Logenſitz für ſtandes¬ gemäß inſinuirt hatte. Das Parterre war ein ausſchließlicher Tummel¬ platz der Lehrlinge, Straßenjungen und Zeitungsausträger, kurz eines halberwachſenen Publikums in Hemdärmeln und Schurzfell, ſeine Diele glich überdies einer naſſen Malerpalette, voll vom aufgeſetzten Braun des bekannten Kautabak-Extractes. Moorfeld nahm ſeinen Logenplatz ein. Er kam neben einen Gent¬ leman zu ſitzen, der ihm einige Aufmerkſamkeit abnöthigte. Eine prächtige Dogge dehnte und ſtreckte ſich nämlich zu den Füßen des Mannes, und krümmte ſich, nachdem ſie die bequemſte Lage aufge¬ funden hatte, in die bekannte Hufeiſenform zuſammen, indem ſie ihre zierlich geſpitzte Schnauze gar anmuthig zwiſchen den ſchlanken Hinter¬ beinen anbrachte. Hoho! rief der Gentleman dem Hunde zu, Sie wollen einſchlafen? dann ſtreichelte er zärtlich, faſt rückſichtsvoll den Rücken des Thieres und fuhr fort: Sehr vornehm, wenn man Kemble und Talma geſehen hat, aber wenig aufmerkſam gegen unſre Gaſt¬ freunde. Nicht zu excluſiv’, mein Freund, hören Sie? Verwundert betrachtete Moorfeld den Mann. Ein nicht zu verkennender Typus von oſteologiſcher Steifheit, bei vollkommen geübtem Ausdruck von Selbſtgefühl, verrieth den Engländer und den Mann von Stande zugleich. Sein Kopf war von einem merkwürdigen Bau, denn während die vorgetriebene Stirn ſich ſtark auswölbte und die Naſe ſcharf, gleich einem Widerhaken, vorſprang, traten Mund und Kinn ſo plötzlich zu¬ rück, daß die obere Geſichtshälfte über die untere gleichſam hinauszu¬ fallen ſchien. Eben ſo lag ſein großes rollendes Auge beinahe gänz¬ lich außer ſeiner Höhle. Man glaubte in dem ganzen Kopfe das Modell eines Plaſtikers zu ſehen, der in dem Streben, durch Ausbil¬ dung der Denkorgane; Geiſtigkeit zu erreichen, bis zum Exceß weit gegangen und eine ſo monſtröſe Geiſtigkeit hervorgebracht, daß ſie di¬ rect in ihr Gegentheil umzuſchlagen ſchien. Die Anſprache an den Hund beſtätigte dieſes phyſiognomiſche Urtheil wahrhaft verhäng¬

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/102>, abgerufen am 24.11.2024.