Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Hören Sie gütigst meine Gründe. Es werden gleich in den folgenden
Scenen die Damen des Stückes auftreten, deren Roben auf den also
verunreinigten Brettern einen schweren Stand haben dürften. Freie
und aufgeklärte Bürger einer Nation, welche allen übrigen in der Hoch¬
achtung des schönen Geschlechtes voranleuchtet, haben Sie ein Recht,
von mir zu verlangen, daß ich Sie auf diese Gefahr, Damen eine
Verlegenheit zu bereiten, rechtzeitig aufmerksam mache. Meine Herren,
ich thue es hiemit. -- Kaum war dieser Appell erschollen, so stürzten
sich die Straßenjungen über das Orchester hinweg auf die Bühne,
requirirten Besen hinter den Coulissen, und fegten unter dem uner¬
meßlichen Jubel des Hauses die Scene so rein, als es der Eifer für
eine große Nationalsache nur immer vermochte. Moorfeld sah dieses
Schauspiel im Schauspiel nicht ohne den Reiz einer großen Neuheit.
Die naive Ritterlichkeit des jungen Amerika ergötzte ihn höchlich, aber
-- auf einmal klang eine Dissonanz drein. Ein pralles, untersetztes
Kerlchen warf sich figurmachend seinen Kameraden in den Weg, fuhr
ihnen mit der Besentünche über die Köpfe und schrie sie herausfor¬
dernd an: Fort da, der große Hoby duldet keine Nebenbuhler! Moor¬
feld fand die Knabengestalt bekannt; wie der Range hier in Man¬
schetten, Jabots und gesteiften Vatermördern als Gentleman-Carricatur
sich brüstete, so glaubte er ihn schon andern Orts und in einem an¬
dern Aufzuge gesehen zu haben. Wirklich! Es war jener Newsboy
von der Battery der das Ohr von Damen damals mit Zoten verfolgt,
und der den Roben der Damen heute reine Bahn machte. Eine große
Sinnesänderung oder -- ein frühreifer Heuchler!

Das Stück spielte weiter. Nach dem Sclavenhändler trat Ben¬
jamin Ridge, der junge Schiffscadett auf. Er erklärt sich sterbens
verliebt in Miß Jane Norwood, und geht mit dem Plane um, sie
auf dem Schiffe seines Patrons, des Kapitän Drivvle, zu entführen.
Das ist aber das nämliche Schiff, dessen sich zur Ausführung seines
Raubes auch der Sclavenhändler bedienen will. Der Mann und der
Jüngling errathen sich gegenseitig in ihrem Vorhaben und sind ent¬
zückt, daß sie sich nolens volens zu Helfershelfern haben werden, in¬
dem Jeder sich zutraut, den Andern zu überlisten und zu prellen.
Moorfeld wagte nach dieser Exposition die Durchführung einer be¬
stimmten Intrigue und eine gewisse komische Seele des Stücks zu er¬

Hören Sie gütigſt meine Gründe. Es werden gleich in den folgenden
Scenen die Damen des Stückes auftreten, deren Roben auf den alſo
verunreinigten Brettern einen ſchweren Stand haben dürften. Freie
und aufgeklärte Bürger einer Nation, welche allen übrigen in der Hoch¬
achtung des ſchönen Geſchlechtes voranleuchtet, haben Sie ein Recht,
von mir zu verlangen, daß ich Sie auf dieſe Gefahr, Damen eine
Verlegenheit zu bereiten, rechtzeitig aufmerkſam mache. Meine Herren,
ich thue es hiemit. — Kaum war dieſer Appell erſchollen, ſo ſtürzten
ſich die Straßenjungen über das Orcheſter hinweg auf die Bühne,
requirirten Beſen hinter den Couliſſen, und fegten unter dem uner¬
meßlichen Jubel des Hauſes die Scene ſo rein, als es der Eifer für
eine große Nationalſache nur immer vermochte. Moorfeld ſah dieſes
Schauſpiel im Schauſpiel nicht ohne den Reiz einer großen Neuheit.
Die naive Ritterlichkeit des jungen Amerika ergötzte ihn höchlich, aber
— auf einmal klang eine Diſſonanz drein. Ein pralles, unterſetztes
Kerlchen warf ſich figurmachend ſeinen Kameraden in den Weg, fuhr
ihnen mit der Beſentünche über die Köpfe und ſchrie ſie herausfor¬
dernd an: Fort da, der große Hoby duldet keine Nebenbuhler! Moor¬
feld fand die Knabengeſtalt bekannt; wie der Range hier in Man¬
ſchetten, Jabots und geſteiften Vatermördern als Gentleman-Carricatur
ſich brüſtete, ſo glaubte er ihn ſchon andern Orts und in einem an¬
dern Aufzuge geſehen zu haben. Wirklich! Es war jener Newsboy
von der Battery der das Ohr von Damen damals mit Zoten verfolgt,
und der den Roben der Damen heute reine Bahn machte. Eine große
Sinnesänderung oder — ein frühreifer Heuchler!

Das Stück ſpielte weiter. Nach dem Sclavenhändler trat Ben¬
jamin Ridge, der junge Schiffscadett auf. Er erklärt ſich ſterbens
verliebt in Miß Jane Norwood, und geht mit dem Plane um, ſie
auf dem Schiffe ſeines Patrons, des Kapitän Drivvle, zu entführen.
Das iſt aber das nämliche Schiff, deſſen ſich zur Ausführung ſeines
Raubes auch der Sclavenhändler bedienen will. Der Mann und der
Jüngling errathen ſich gegenſeitig in ihrem Vorhaben und ſind ent¬
zückt, daß ſie ſich nolens volens zu Helfershelfern haben werden, in¬
dem Jeder ſich zutraut, den Andern zu überliſten und zu prellen.
Moorfeld wagte nach dieſer Expoſition die Durchführung einer be¬
ſtimmten Intrigue und eine gewiſſe komiſche Seele des Stücks zu er¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0105" n="87"/>
Hören Sie gütig&#x017F;t meine Gründe. Es werden gleich in den folgenden<lb/>
Scenen die Damen des Stückes auftreten, deren Roben auf den al&#x017F;o<lb/>
verunreinigten Brettern einen &#x017F;chweren Stand haben dürften. Freie<lb/>
und aufgeklärte Bürger einer Nation, welche allen übrigen in der Hoch¬<lb/>
achtung des &#x017F;chönen Ge&#x017F;chlechtes voranleuchtet, haben Sie ein Recht,<lb/>
von mir zu verlangen, daß ich Sie auf die&#x017F;e Gefahr, Damen eine<lb/>
Verlegenheit zu bereiten, rechtzeitig aufmerk&#x017F;am mache. Meine Herren,<lb/>
ich thue es hiemit. &#x2014; Kaum war die&#x017F;er Appell er&#x017F;chollen, &#x017F;o &#x017F;türzten<lb/>
&#x017F;ich die Straßenjungen über das Orche&#x017F;ter hinweg auf die Bühne,<lb/>
requirirten Be&#x017F;en hinter den Couli&#x017F;&#x017F;en, und fegten unter dem uner¬<lb/>
meßlichen Jubel des Hau&#x017F;es die Scene &#x017F;o rein, als es der Eifer für<lb/>
eine große National&#x017F;ache nur immer vermochte. Moorfeld &#x017F;ah die&#x017F;es<lb/>
Schau&#x017F;piel im Schau&#x017F;piel nicht ohne den Reiz einer großen Neuheit.<lb/>
Die naive Ritterlichkeit des jungen Amerika ergötzte ihn höchlich, aber<lb/>
&#x2014; auf einmal klang eine Di&#x017F;&#x017F;onanz drein. Ein pralles, unter&#x017F;etztes<lb/>
Kerlchen warf &#x017F;ich figurmachend &#x017F;einen Kameraden in den Weg, fuhr<lb/>
ihnen mit der Be&#x017F;entünche über die Köpfe und &#x017F;chrie &#x017F;ie herausfor¬<lb/>
dernd an: Fort da, der große Hoby duldet keine Nebenbuhler! Moor¬<lb/>
feld fand die Knabenge&#x017F;talt bekannt; wie der Range hier in Man¬<lb/>
&#x017F;chetten, Jabots und ge&#x017F;teiften Vatermördern als Gentleman-Carricatur<lb/>
&#x017F;ich brü&#x017F;tete, &#x017F;o glaubte er ihn &#x017F;chon andern Orts und in einem an¬<lb/>
dern Aufzuge ge&#x017F;ehen zu haben. Wirklich! Es war jener Newsboy<lb/>
von der Battery der das Ohr von Damen damals mit Zoten verfolgt,<lb/>
und der den Roben der Damen heute reine Bahn machte. Eine große<lb/>
Sinnesänderung oder &#x2014; ein frühreifer Heuchler!</p><lb/>
          <p>Das Stück &#x017F;pielte weiter. Nach dem Sclavenhändler trat Ben¬<lb/>
jamin Ridge, der junge Schiffscadett auf. Er erklärt &#x017F;ich &#x017F;terbens<lb/>
verliebt in Miß Jane Norwood, und geht mit dem Plane um, &#x017F;ie<lb/>
auf dem Schiffe &#x017F;eines Patrons, des Kapitän Drivvle, zu entführen.<lb/>
Das i&#x017F;t aber das nämliche Schiff, de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich zur Ausführung &#x017F;eines<lb/>
Raubes auch der Sclavenhändler bedienen will. Der Mann und der<lb/>
Jüngling errathen &#x017F;ich gegen&#x017F;eitig in ihrem Vorhaben und &#x017F;ind ent¬<lb/>
zückt, daß &#x017F;ie &#x017F;ich <hi rendition="#aq">nolens volens</hi> zu Helfershelfern haben werden, in¬<lb/>
dem Jeder &#x017F;ich zutraut, den Andern zu überli&#x017F;ten und zu prellen.<lb/>
Moorfeld wagte nach die&#x017F;er Expo&#x017F;ition die Durchführung einer be¬<lb/>
&#x017F;timmten Intrigue und eine gewi&#x017F;&#x017F;e komi&#x017F;che Seele des Stücks zu er¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0105] Hören Sie gütigſt meine Gründe. Es werden gleich in den folgenden Scenen die Damen des Stückes auftreten, deren Roben auf den alſo verunreinigten Brettern einen ſchweren Stand haben dürften. Freie und aufgeklärte Bürger einer Nation, welche allen übrigen in der Hoch¬ achtung des ſchönen Geſchlechtes voranleuchtet, haben Sie ein Recht, von mir zu verlangen, daß ich Sie auf dieſe Gefahr, Damen eine Verlegenheit zu bereiten, rechtzeitig aufmerkſam mache. Meine Herren, ich thue es hiemit. — Kaum war dieſer Appell erſchollen, ſo ſtürzten ſich die Straßenjungen über das Orcheſter hinweg auf die Bühne, requirirten Beſen hinter den Couliſſen, und fegten unter dem uner¬ meßlichen Jubel des Hauſes die Scene ſo rein, als es der Eifer für eine große Nationalſache nur immer vermochte. Moorfeld ſah dieſes Schauſpiel im Schauſpiel nicht ohne den Reiz einer großen Neuheit. Die naive Ritterlichkeit des jungen Amerika ergötzte ihn höchlich, aber — auf einmal klang eine Diſſonanz drein. Ein pralles, unterſetztes Kerlchen warf ſich figurmachend ſeinen Kameraden in den Weg, fuhr ihnen mit der Beſentünche über die Köpfe und ſchrie ſie herausfor¬ dernd an: Fort da, der große Hoby duldet keine Nebenbuhler! Moor¬ feld fand die Knabengeſtalt bekannt; wie der Range hier in Man¬ ſchetten, Jabots und geſteiften Vatermördern als Gentleman-Carricatur ſich brüſtete, ſo glaubte er ihn ſchon andern Orts und in einem an¬ dern Aufzuge geſehen zu haben. Wirklich! Es war jener Newsboy von der Battery der das Ohr von Damen damals mit Zoten verfolgt, und der den Roben der Damen heute reine Bahn machte. Eine große Sinnesänderung oder — ein frühreifer Heuchler! Das Stück ſpielte weiter. Nach dem Sclavenhändler trat Ben¬ jamin Ridge, der junge Schiffscadett auf. Er erklärt ſich ſterbens verliebt in Miß Jane Norwood, und geht mit dem Plane um, ſie auf dem Schiffe ſeines Patrons, des Kapitän Drivvle, zu entführen. Das iſt aber das nämliche Schiff, deſſen ſich zur Ausführung ſeines Raubes auch der Sclavenhändler bedienen will. Der Mann und der Jüngling errathen ſich gegenſeitig in ihrem Vorhaben und ſind ent¬ zückt, daß ſie ſich nolens volens zu Helfershelfern haben werden, in¬ dem Jeder ſich zutraut, den Andern zu überliſten und zu prellen. Moorfeld wagte nach dieſer Expoſition die Durchführung einer be¬ ſtimmten Intrigue und eine gewiſſe komiſche Seele des Stücks zu er¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/105
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/105>, abgerufen am 24.11.2024.