Hören Sie gütigst meine Gründe. Es werden gleich in den folgenden Scenen die Damen des Stückes auftreten, deren Roben auf den also verunreinigten Brettern einen schweren Stand haben dürften. Freie und aufgeklärte Bürger einer Nation, welche allen übrigen in der Hoch¬ achtung des schönen Geschlechtes voranleuchtet, haben Sie ein Recht, von mir zu verlangen, daß ich Sie auf diese Gefahr, Damen eine Verlegenheit zu bereiten, rechtzeitig aufmerksam mache. Meine Herren, ich thue es hiemit. -- Kaum war dieser Appell erschollen, so stürzten sich die Straßenjungen über das Orchester hinweg auf die Bühne, requirirten Besen hinter den Coulissen, und fegten unter dem uner¬ meßlichen Jubel des Hauses die Scene so rein, als es der Eifer für eine große Nationalsache nur immer vermochte. Moorfeld sah dieses Schauspiel im Schauspiel nicht ohne den Reiz einer großen Neuheit. Die naive Ritterlichkeit des jungen Amerika ergötzte ihn höchlich, aber -- auf einmal klang eine Dissonanz drein. Ein pralles, untersetztes Kerlchen warf sich figurmachend seinen Kameraden in den Weg, fuhr ihnen mit der Besentünche über die Köpfe und schrie sie herausfor¬ dernd an: Fort da, der große Hoby duldet keine Nebenbuhler! Moor¬ feld fand die Knabengestalt bekannt; wie der Range hier in Man¬ schetten, Jabots und gesteiften Vatermördern als Gentleman-Carricatur sich brüstete, so glaubte er ihn schon andern Orts und in einem an¬ dern Aufzuge gesehen zu haben. Wirklich! Es war jener Newsboy von der Battery der das Ohr von Damen damals mit Zoten verfolgt, und der den Roben der Damen heute reine Bahn machte. Eine große Sinnesänderung oder -- ein frühreifer Heuchler!
Das Stück spielte weiter. Nach dem Sclavenhändler trat Ben¬ jamin Ridge, der junge Schiffscadett auf. Er erklärt sich sterbens verliebt in Miß Jane Norwood, und geht mit dem Plane um, sie auf dem Schiffe seines Patrons, des Kapitän Drivvle, zu entführen. Das ist aber das nämliche Schiff, dessen sich zur Ausführung seines Raubes auch der Sclavenhändler bedienen will. Der Mann und der Jüngling errathen sich gegenseitig in ihrem Vorhaben und sind ent¬ zückt, daß sie sich nolens volens zu Helfershelfern haben werden, in¬ dem Jeder sich zutraut, den Andern zu überlisten und zu prellen. Moorfeld wagte nach dieser Exposition die Durchführung einer be¬ stimmten Intrigue und eine gewisse komische Seele des Stücks zu er¬
Hören Sie gütigſt meine Gründe. Es werden gleich in den folgenden Scenen die Damen des Stückes auftreten, deren Roben auf den alſo verunreinigten Brettern einen ſchweren Stand haben dürften. Freie und aufgeklärte Bürger einer Nation, welche allen übrigen in der Hoch¬ achtung des ſchönen Geſchlechtes voranleuchtet, haben Sie ein Recht, von mir zu verlangen, daß ich Sie auf dieſe Gefahr, Damen eine Verlegenheit zu bereiten, rechtzeitig aufmerkſam mache. Meine Herren, ich thue es hiemit. — Kaum war dieſer Appell erſchollen, ſo ſtürzten ſich die Straßenjungen über das Orcheſter hinweg auf die Bühne, requirirten Beſen hinter den Couliſſen, und fegten unter dem uner¬ meßlichen Jubel des Hauſes die Scene ſo rein, als es der Eifer für eine große Nationalſache nur immer vermochte. Moorfeld ſah dieſes Schauſpiel im Schauſpiel nicht ohne den Reiz einer großen Neuheit. Die naive Ritterlichkeit des jungen Amerika ergötzte ihn höchlich, aber — auf einmal klang eine Diſſonanz drein. Ein pralles, unterſetztes Kerlchen warf ſich figurmachend ſeinen Kameraden in den Weg, fuhr ihnen mit der Beſentünche über die Köpfe und ſchrie ſie herausfor¬ dernd an: Fort da, der große Hoby duldet keine Nebenbuhler! Moor¬ feld fand die Knabengeſtalt bekannt; wie der Range hier in Man¬ ſchetten, Jabots und geſteiften Vatermördern als Gentleman-Carricatur ſich brüſtete, ſo glaubte er ihn ſchon andern Orts und in einem an¬ dern Aufzuge geſehen zu haben. Wirklich! Es war jener Newsboy von der Battery der das Ohr von Damen damals mit Zoten verfolgt, und der den Roben der Damen heute reine Bahn machte. Eine große Sinnesänderung oder — ein frühreifer Heuchler!
Das Stück ſpielte weiter. Nach dem Sclavenhändler trat Ben¬ jamin Ridge, der junge Schiffscadett auf. Er erklärt ſich ſterbens verliebt in Miß Jane Norwood, und geht mit dem Plane um, ſie auf dem Schiffe ſeines Patrons, des Kapitän Drivvle, zu entführen. Das iſt aber das nämliche Schiff, deſſen ſich zur Ausführung ſeines Raubes auch der Sclavenhändler bedienen will. Der Mann und der Jüngling errathen ſich gegenſeitig in ihrem Vorhaben und ſind ent¬ zückt, daß ſie ſich nolens volens zu Helfershelfern haben werden, in¬ dem Jeder ſich zutraut, den Andern zu überliſten und zu prellen. Moorfeld wagte nach dieſer Expoſition die Durchführung einer be¬ ſtimmten Intrigue und eine gewiſſe komiſche Seele des Stücks zu er¬
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Hören Sie gütigſt meine Gründe. Es werden gleich in den folgenden
Scenen die Damen des Stückes auftreten, deren Roben auf den alſo
verunreinigten Brettern einen ſchweren Stand haben dürften. Freie
und aufgeklärte Bürger einer Nation, welche allen übrigen in der Hoch¬
achtung des ſchönen Geſchlechtes voranleuchtet, haben Sie ein Recht,
von mir zu verlangen, daß ich Sie auf dieſe Gefahr, Damen eine
Verlegenheit zu bereiten, rechtzeitig aufmerkſam mache. Meine Herren,
ich thue es hiemit. — Kaum war dieſer Appell erſchollen, ſo ſtürzten
ſich die Straßenjungen über das Orcheſter hinweg auf die Bühne,
requirirten Beſen hinter den Couliſſen, und fegten unter dem uner¬
meßlichen Jubel des Hauſes die Scene ſo rein, als es der Eifer für
eine große Nationalſache nur immer vermochte. Moorfeld ſah dieſes
Schauſpiel im Schauſpiel nicht ohne den Reiz einer großen Neuheit.
Die naive Ritterlichkeit des jungen Amerika ergötzte ihn höchlich, aber
— auf einmal klang eine Diſſonanz drein. Ein pralles, unterſetztes
Kerlchen warf ſich figurmachend ſeinen Kameraden in den Weg, fuhr
ihnen mit der Beſentünche über die Köpfe und ſchrie ſie herausfor¬
dernd an: Fort da, der große Hoby duldet keine Nebenbuhler! Moor¬
feld fand die Knabengeſtalt bekannt; wie der Range hier in Man¬
ſchetten, Jabots und geſteiften Vatermördern als Gentleman-Carricatur
ſich brüſtete, ſo glaubte er ihn ſchon andern Orts und in einem an¬
dern Aufzuge geſehen zu haben. Wirklich! Es war jener Newsboy
von der Battery der das Ohr von Damen damals mit Zoten verfolgt,
und der den Roben der Damen heute reine Bahn machte. Eine große
Sinnesänderung oder — ein frühreifer Heuchler!
Das Stück ſpielte weiter. Nach dem Sclavenhändler trat Ben¬
jamin Ridge, der junge Schiffscadett auf. Er erklärt ſich ſterbens
verliebt in Miß Jane Norwood, und geht mit dem Plane um, ſie
auf dem Schiffe ſeines Patrons, des Kapitän Drivvle, zu entführen.
Das iſt aber das nämliche Schiff, deſſen ſich zur Ausführung ſeines
Raubes auch der Sclavenhändler bedienen will. Der Mann und der
Jüngling errathen ſich gegenſeitig in ihrem Vorhaben und ſind ent¬
zückt, daß ſie ſich nolens volens zu Helfershelfern haben werden, in¬
dem Jeder ſich zutraut, den Andern zu überliſten und zu prellen.
Moorfeld wagte nach dieſer Expoſition die Durchführung einer be¬
ſtimmten Intrigue und eine gewiſſe komiſche Seele des Stücks zu er¬
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/105>, abgerufen am 24.11.2024.
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