Jury? Der Mann hat allerdings seine Verpflichtung erfüllt; er ist abgereist. Gegen seine Rückkehr stand aber nirgends eine Verwehrung in meinem Contract, dagegen könne ich denn auch nicht einschreiten. Pfui! meinem Jungen steckt' ich eine Ohrfeige, wenn er mit solchen Diebskniffen mir unter's Gesicht trät' -- aber we are in a free country! So judiziren sie im Lande der Freiheit!
Diese Mittheilung des Mannes erregte unter den Uebrigen eine Art dumpfes Entsetzen, welches weit über den Antheil an dem Ein¬ zelnschicksal hinaus ging. Es war, als fühlte Jeder. seine persönliche Sicherheit bedroht auf einem Boden, wo solche Gefahren möglich wa¬ wen. Benthal ließ diese Regungen eines aufgeschreckten Instinctes sich aussprechen, eh' er selbst wieder das Wort nahm.
Ihr Unglück, Herr Sallmann, geht mir nah', sagte er, aber ver¬ zweifeln Sie darum am Lande der Freiheit nicht. Es ist die wahre und wirkliche Freiheit, glauben Sie, die sich im Buchstaben so leicht nicht einfangen läßt. Der Buchstabe muß auf's Bündigste und Be¬ stimmteste gestellt sein, denn mit der Auslegung kommt schon die Willkür. So hat die Legislatur von Newyork kürzlich das Neun- Kegelspiel verboten. Gehen Sie aber auf den Broadway in Gothic- Hall, zweiten Stock, so finden Sie dort nicht weniger als fünf Kegelbahnen neben einander. Wird ein verbotenes Spiel hier gespielt? Bei Leibe nicht; die Parthie hat blos einen Kegel mehr bekommen. Man spielt ein Zehn-Kegelspiel jetzt.
Das sei wie's sei, seufzte der Bäcker, und stützte seinen Kopf in beide Hände; ruinirt bin ich doch! Adieu Weib und Kind, schlagt euch den Vater aus dem Sinn!
Benthal biß die Lippen und sah mit dem Blicke des schmerzlichen Mitleids auf den armen Verzagenden. Er schien einen Augenblick zu überlegen, dann sagte er entschlossen: Hören Sie mich an, Herr Sall¬ mann, was mir da einfällt. Ein kurioses Mittel, aber es ist ameri¬ kanisch. Wir lassen ihr Abenteuer als Pamphlet drucken und machen den Kerl determinirt schlecht. Natürlich scherzhaft, witzig, mit der besten Miene zum bösen Spiel. In das Pamphlet wickeln Sie Ihre Sem¬ meln und Brote, und verschenken sie Stück für Stück an die Kunden, die Sie gekauft haben. Geht auch der letzte Dollar dabei drauf, -- meinen Kopf zum Pfande! die Kunden treten zu Ihnen
Jury? Der Mann hat allerdings ſeine Verpflichtung erfüllt; er iſt abgereist. Gegen ſeine Rückkehr ſtand aber nirgends eine Verwehrung in meinem Contract, dagegen könne ich denn auch nicht einſchreiten. Pfui! meinem Jungen ſteckt' ich eine Ohrfeige, wenn er mit ſolchen Diebskniffen mir unter's Geſicht trät' — aber we are in a free country! So judiziren ſie im Lande der Freiheit!
Dieſe Mittheilung des Mannes erregte unter den Uebrigen eine Art dumpfes Entſetzen, welches weit über den Antheil an dem Ein¬ zelnſchickſal hinaus ging. Es war, als fühlte Jeder. ſeine perſönliche Sicherheit bedroht auf einem Boden, wo ſolche Gefahren möglich wa¬ wen. Benthal ließ dieſe Regungen eines aufgeſchreckten Inſtinctes ſich ausſprechen, eh' er ſelbſt wieder das Wort nahm.
Ihr Unglück, Herr Sallmann, geht mir nah', ſagte er, aber ver¬ zweifeln Sie darum am Lande der Freiheit nicht. Es iſt die wahre und wirkliche Freiheit, glauben Sie, die ſich im Buchſtaben ſo leicht nicht einfangen läßt. Der Buchſtabe muß auf's Bündigſte und Be¬ ſtimmteſte geſtellt ſein, denn mit der Auslegung kommt ſchon die Willkür. So hat die Legiſlatur von Newyork kürzlich das Neun- Kegelſpiel verboten. Gehen Sie aber auf den Broadway in Gothic- Hall, zweiten Stock, ſo finden Sie dort nicht weniger als fünf Kegelbahnen neben einander. Wird ein verbotenes Spiel hier geſpielt? Bei Leibe nicht; die Parthie hat blos einen Kegel mehr bekommen. Man ſpielt ein Zehn-Kegelſpiel jetzt.
Das ſei wie's ſei, ſeufzte der Bäcker, und ſtützte ſeinen Kopf in beide Hände; ruinirt bin ich doch! Adieu Weib und Kind, ſchlagt euch den Vater aus dem Sinn!
Benthal biß die Lippen und ſah mit dem Blicke des ſchmerzlichen Mitleids auf den armen Verzagenden. Er ſchien einen Augenblick zu überlegen, dann ſagte er entſchloſſen: Hören Sie mich an, Herr Sall¬ mann, was mir da einfällt. Ein kurioſes Mittel, aber es iſt ameri¬ kaniſch. Wir laſſen ihr Abenteuer als Pamphlet drucken und machen den Kerl determinirt ſchlecht. Natürlich ſcherzhaft, witzig, mit der beſten Miene zum böſen Spiel. In das Pamphlet wickeln Sie Ihre Sem¬ meln und Brote, und verſchenken ſie Stück für Stück an die Kunden, die Sie gekauft haben. Geht auch der letzte Dollar dabei drauf, — meinen Kopf zum Pfande! die Kunden treten zu Ihnen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0129"n="111"/>
Jury? Der Mann hat allerdings ſeine Verpflichtung erfüllt; er iſt<lb/>
abgereist. Gegen ſeine Rückkehr ſtand aber nirgends eine Verwehrung<lb/>
in meinem Contract, dagegen könne ich denn auch nicht einſchreiten.<lb/>
Pfui! meinem Jungen ſteckt' ich eine Ohrfeige, wenn er mit ſolchen<lb/>
Diebskniffen mir unter's Geſicht trät' — aber <hirendition="#aq">we are in a free<lb/>
country</hi>! So judiziren ſie im Lande der Freiheit!</p><lb/><p>Dieſe Mittheilung des Mannes erregte unter den Uebrigen eine<lb/>
Art dumpfes Entſetzen, welches weit über den Antheil an dem Ein¬<lb/>
zelnſchickſal hinaus ging. Es war, als fühlte Jeder. ſeine perſönliche<lb/>
Sicherheit bedroht auf einem Boden, wo ſolche Gefahren möglich wa¬<lb/>
wen. Benthal ließ dieſe Regungen eines aufgeſchreckten Inſtinctes ſich<lb/>
ausſprechen, eh' er ſelbſt wieder das Wort nahm.</p><lb/><p>Ihr Unglück, Herr Sallmann, geht mir nah', ſagte er, aber ver¬<lb/>
zweifeln Sie darum am Lande der Freiheit nicht. Es iſt die wahre<lb/>
und wirkliche Freiheit, glauben Sie, die ſich im Buchſtaben ſo leicht<lb/>
nicht einfangen läßt. Der Buchſtabe muß auf's Bündigſte und Be¬<lb/>ſtimmteſte geſtellt ſein, denn mit der Auslegung kommt ſchon die<lb/>
Willkür. So hat die Legiſlatur von Newyork kürzlich das Neun-<lb/>
Kegelſpiel verboten. Gehen Sie aber auf den Broadway in Gothic-<lb/>
Hall, zweiten Stock, ſo finden Sie dort nicht weniger als fünf Kegelbahnen<lb/>
neben einander. Wird ein verbotenes Spiel hier geſpielt? Bei Leibe<lb/>
nicht; die Parthie hat blos einen Kegel mehr bekommen. Man ſpielt<lb/>
ein Zehn-Kegelſpiel jetzt.</p><lb/><p>Das ſei wie's ſei, ſeufzte der Bäcker, und ſtützte ſeinen Kopf in<lb/>
beide Hände; ruinirt bin ich doch! Adieu Weib und Kind, ſchlagt euch<lb/>
den Vater aus dem Sinn!</p><lb/><p>Benthal biß die Lippen und ſah mit dem Blicke des ſchmerzlichen<lb/>
Mitleids auf den armen Verzagenden. Er ſchien einen Augenblick zu<lb/>
überlegen, dann ſagte er entſchloſſen: Hören Sie mich an, Herr Sall¬<lb/>
mann, was mir da einfällt. Ein kurioſes Mittel, aber es iſt ameri¬<lb/>
kaniſch. Wir laſſen ihr Abenteuer als Pamphlet drucken und machen<lb/>
den Kerl determinirt ſchlecht. Natürlich ſcherzhaft, witzig, mit der beſten<lb/>
Miene zum böſen Spiel. In das Pamphlet wickeln Sie Ihre Sem¬<lb/>
meln und Brote, und <hirendition="#g">verſchenken</hi>ſie Stück für Stück an die<lb/>
Kunden, die Sie gekauft haben. Geht auch der letzte Dollar dabei<lb/>
drauf, — meinen Kopf zum Pfande! die Kunden treten zu Ihnen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[111/0129]
Jury? Der Mann hat allerdings ſeine Verpflichtung erfüllt; er iſt
abgereist. Gegen ſeine Rückkehr ſtand aber nirgends eine Verwehrung
in meinem Contract, dagegen könne ich denn auch nicht einſchreiten.
Pfui! meinem Jungen ſteckt' ich eine Ohrfeige, wenn er mit ſolchen
Diebskniffen mir unter's Geſicht trät' — aber we are in a free
country! So judiziren ſie im Lande der Freiheit!
Dieſe Mittheilung des Mannes erregte unter den Uebrigen eine
Art dumpfes Entſetzen, welches weit über den Antheil an dem Ein¬
zelnſchickſal hinaus ging. Es war, als fühlte Jeder. ſeine perſönliche
Sicherheit bedroht auf einem Boden, wo ſolche Gefahren möglich wa¬
wen. Benthal ließ dieſe Regungen eines aufgeſchreckten Inſtinctes ſich
ausſprechen, eh' er ſelbſt wieder das Wort nahm.
Ihr Unglück, Herr Sallmann, geht mir nah', ſagte er, aber ver¬
zweifeln Sie darum am Lande der Freiheit nicht. Es iſt die wahre
und wirkliche Freiheit, glauben Sie, die ſich im Buchſtaben ſo leicht
nicht einfangen läßt. Der Buchſtabe muß auf's Bündigſte und Be¬
ſtimmteſte geſtellt ſein, denn mit der Auslegung kommt ſchon die
Willkür. So hat die Legiſlatur von Newyork kürzlich das Neun-
Kegelſpiel verboten. Gehen Sie aber auf den Broadway in Gothic-
Hall, zweiten Stock, ſo finden Sie dort nicht weniger als fünf Kegelbahnen
neben einander. Wird ein verbotenes Spiel hier geſpielt? Bei Leibe
nicht; die Parthie hat blos einen Kegel mehr bekommen. Man ſpielt
ein Zehn-Kegelſpiel jetzt.
Das ſei wie's ſei, ſeufzte der Bäcker, und ſtützte ſeinen Kopf in
beide Hände; ruinirt bin ich doch! Adieu Weib und Kind, ſchlagt euch
den Vater aus dem Sinn!
Benthal biß die Lippen und ſah mit dem Blicke des ſchmerzlichen
Mitleids auf den armen Verzagenden. Er ſchien einen Augenblick zu
überlegen, dann ſagte er entſchloſſen: Hören Sie mich an, Herr Sall¬
mann, was mir da einfällt. Ein kurioſes Mittel, aber es iſt ameri¬
kaniſch. Wir laſſen ihr Abenteuer als Pamphlet drucken und machen
den Kerl determinirt ſchlecht. Natürlich ſcherzhaft, witzig, mit der beſten
Miene zum böſen Spiel. In das Pamphlet wickeln Sie Ihre Sem¬
meln und Brote, und verſchenken ſie Stück für Stück an die
Kunden, die Sie gekauft haben. Geht auch der letzte Dollar dabei
drauf, — meinen Kopf zum Pfande! die Kunden treten zu Ihnen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/129>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.