Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

schäftigt, welche gleich einer Schattenseite des Lebens sich verändern
und verschwinden. -- Die Bewohner unsrer heiligen Stadt mögen
nicht heirathen; denn welcher edle Christ wird bezweifeln, daß Gott
vermag, dem Abraham Kinder aus Steinen zu erwecken."

Hier legte Benthal die Flugschrift lächelnd aus der Hand, und
das schallende Gelächter der ganzen Gaststube begleitete ihren Abgang. --
Sie haben gut lachen, meine Herren, sagte Poll, selbst lachend, aber
ich armer Schächer! Dort riskire ich den Magen und hier das Gehirn.
Adieu, -- "Pittsburg im Mai!" Sie sehen, Herr Rector, ich muß
leider noch einmal verzichten.

O schade! hieß es, ich möcht' ihn sehen im gelblakirten Hut --

Und im schneeweißen Rock --

Und wie er Kinder aus Staincher zieht, sagte der Frankfurter
Gärtner.

Das Gelächter fing von Neuem an.

Machen wir all unsre Tollhäuser auf; rief der Bäcker aus Alten¬
burg; wenn in Amerika die Narren frei herum laufen, warum sperrt
man sie ein in Europa?

Meine Herren, sagte Benthal, es ist uns Deutschen mit Recht eine
Erquickung, daß wir an solchen Zerrbildern unsre eigne Kultur fühlen
lernen. Dieser plumpe Prophet hier will geistige Tendenzen verfolgen
und verwickelt sich dabei in Unter- und Oberhosen! Das ist echt
amerikanisch. Freilich ist er zugleich auch praktisch wie ein Amerikaner.
Was z. B. das Hängen-lassen der Unter- in den Oberhosen betrifft,
so steht wohl Niemand unter uns, der als Lehrling oder Geselle in
ungeheizten Kammern schlief und dieses Dogma nicht am Abend be¬
folgt hätte zur großen Förderniß seiner Morgentoilette. Hierin sind
wir wohl naturwüchsige Gläubige des neuen Jerusalems. Auch die
Wahl unsrer Farben zu Gunsten der schmutzenden Berufsarbeiten, wie
er sagt, ist, wenn nicht appetitlich, doch nützlich erinnert. Dabei läßt
sich zugleich einsehen, warum unsere Bösewichter von Präsidenten, unsre
Kieselherzen von Financiers, kurz das ganze feine, also lasterhafte
Europa mit Vorliebe Schwarz trägt. Es ist die officielle Farbe des
neuen Jerusalems für sehr schmutzige Beschäftigungen.

Ein donnerndes Bravo der Auswanderer krönte diesen radicalen
Scherz.

ſchäftigt, welche gleich einer Schattenſeite des Lebens ſich verändern
und verſchwinden. — Die Bewohner unſrer heiligen Stadt mögen
nicht heirathen; denn welcher edle Chriſt wird bezweifeln, daß Gott
vermag, dem Abraham Kinder aus Steinen zu erwecken.“

Hier legte Benthal die Flugſchrift lächelnd aus der Hand, und
das ſchallende Gelächter der ganzen Gaſtſtube begleitete ihren Abgang. —
Sie haben gut lachen, meine Herren, ſagte Poll, ſelbſt lachend, aber
ich armer Schächer! Dort riskire ich den Magen und hier das Gehirn.
Adieu, — „Pittsburg im Mai!“ Sie ſehen, Herr Rector, ich muß
leider noch einmal verzichten.

O ſchade! hieß es, ich möcht' ihn ſehen im gelblakirten Hut —

Und im ſchneeweißen Rock —

Und wie er Kinder aus Staincher zieht, ſagte der Frankfurter
Gärtner.

Das Gelächter fing von Neuem an.

Machen wir all unſre Tollhäuſer auf; rief der Bäcker aus Alten¬
burg; wenn in Amerika die Narren frei herum laufen, warum ſperrt
man ſie ein in Europa?

Meine Herren, ſagte Benthal, es iſt uns Deutſchen mit Recht eine
Erquickung, daß wir an ſolchen Zerrbildern unſre eigne Kultur fühlen
lernen. Dieſer plumpe Prophet hier will geiſtige Tendenzen verfolgen
und verwickelt ſich dabei in Unter- und Oberhoſen! Das iſt echt
amerikaniſch. Freilich iſt er zugleich auch praktiſch wie ein Amerikaner.
Was z. B. das Hängen-laſſen der Unter- in den Oberhoſen betrifft,
ſo ſteht wohl Niemand unter uns, der als Lehrling oder Geſelle in
ungeheizten Kammern ſchlief und dieſes Dogma nicht am Abend be¬
folgt hätte zur großen Förderniß ſeiner Morgentoilette. Hierin ſind
wir wohl naturwüchſige Gläubige des neuen Jeruſalems. Auch die
Wahl unſrer Farben zu Gunſten der ſchmutzenden Berufsarbeiten, wie
er ſagt, iſt, wenn nicht appetitlich, doch nützlich erinnert. Dabei läßt
ſich zugleich einſehen, warum unſere Böſewichter von Präſidenten, unſre
Kieſelherzen von Financiers, kurz das ganze feine, alſo laſterhafte
Europa mit Vorliebe Schwarz trägt. Es iſt die officielle Farbe des
neuen Jeruſalems für ſehr ſchmutzige Beſchäftigungen.

Ein donnerndes Bravo der Auswanderer krönte dieſen radicalen
Scherz.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0135" n="117"/>
&#x017F;chäftigt, welche gleich einer Schatten&#x017F;eite des Lebens &#x017F;ich verändern<lb/>
und ver&#x017F;chwinden. &#x2014; Die Bewohner un&#x017F;rer heiligen Stadt mögen<lb/>
nicht heirathen; denn welcher edle Chri&#x017F;t wird bezweifeln, daß Gott<lb/>
vermag, dem Abraham Kinder aus Steinen zu erwecken.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Hier legte Benthal die Flug&#x017F;chrift lächelnd aus der Hand, und<lb/>
das &#x017F;challende Gelächter der ganzen Ga&#x017F;t&#x017F;tube begleitete ihren Abgang. &#x2014;<lb/>
Sie haben gut lachen, meine Herren, &#x017F;agte Poll, &#x017F;elb&#x017F;t lachend, aber<lb/><hi rendition="#g">ich</hi> armer Schächer! Dort riskire ich den Magen und hier das Gehirn.<lb/>
Adieu, &#x2014; &#x201E;Pittsburg im Mai!&#x201C; Sie &#x017F;ehen, Herr <hi rendition="#aq">Rector</hi>, ich muß<lb/>
leider noch einmal verzichten.</p><lb/>
          <p>O &#x017F;chade! hieß es, ich möcht' ihn &#x017F;ehen im gelblakirten Hut &#x2014;</p><lb/>
          <p>Und im &#x017F;chneeweißen Rock &#x2014;</p><lb/>
          <p>Und wie er Kinder aus <hi rendition="#g">Staincher</hi> zieht, &#x017F;agte der Frankfurter<lb/>
Gärtner.</p><lb/>
          <p>Das Gelächter fing von Neuem an.</p><lb/>
          <p>Machen wir all un&#x017F;re Tollhäu&#x017F;er auf; rief der Bäcker aus Alten¬<lb/>
burg; wenn in Amerika die Narren frei herum laufen, warum &#x017F;perrt<lb/>
man &#x017F;ie ein in Europa?</p><lb/>
          <p>Meine Herren, &#x017F;agte Benthal, es i&#x017F;t uns Deut&#x017F;chen mit Recht eine<lb/>
Erquickung, daß wir an &#x017F;olchen Zerrbildern un&#x017F;re eigne Kultur fühlen<lb/>
lernen. Die&#x017F;er plumpe Prophet hier will gei&#x017F;tige Tendenzen verfolgen<lb/>
und verwickelt &#x017F;ich dabei in Unter- und Oberho&#x017F;en! Das i&#x017F;t echt<lb/>
amerikani&#x017F;ch. Freilich i&#x017F;t er zugleich auch prakti&#x017F;ch wie ein Amerikaner.<lb/>
Was z. B. das Hängen-la&#x017F;&#x017F;en der Unter- in den Oberho&#x017F;en betrifft,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;teht wohl Niemand unter uns, der als Lehrling oder Ge&#x017F;elle in<lb/>
ungeheizten Kammern &#x017F;chlief und die&#x017F;es Dogma nicht am Abend be¬<lb/>
folgt hätte zur großen Förderniß &#x017F;einer Morgentoilette. Hierin &#x017F;ind<lb/>
wir wohl naturwüch&#x017F;ige Gläubige des neuen Jeru&#x017F;alems. Auch die<lb/>
Wahl un&#x017F;rer Farben zu Gun&#x017F;ten der &#x017F;chmutzenden Berufsarbeiten, wie<lb/>
er &#x017F;agt, i&#x017F;t, wenn nicht appetitlich, doch nützlich erinnert. Dabei läßt<lb/>
&#x017F;ich zugleich ein&#x017F;ehen, warum un&#x017F;ere Bö&#x017F;ewichter von Prä&#x017F;identen, un&#x017F;re<lb/>
Kie&#x017F;elherzen von Financiers, kurz das ganze feine, al&#x017F;o la&#x017F;terhafte<lb/>
Europa mit Vorliebe Schwarz trägt. Es i&#x017F;t die officielle Farbe des<lb/>
neuen Jeru&#x017F;alems für <hi rendition="#g">&#x017F;ehr &#x017F;chmutzige</hi> Be&#x017F;chäftigungen.</p><lb/>
          <p>Ein donnerndes Bravo der Auswanderer krönte die&#x017F;en radicalen<lb/>
Scherz.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0135] ſchäftigt, welche gleich einer Schattenſeite des Lebens ſich verändern und verſchwinden. — Die Bewohner unſrer heiligen Stadt mögen nicht heirathen; denn welcher edle Chriſt wird bezweifeln, daß Gott vermag, dem Abraham Kinder aus Steinen zu erwecken.“ Hier legte Benthal die Flugſchrift lächelnd aus der Hand, und das ſchallende Gelächter der ganzen Gaſtſtube begleitete ihren Abgang. — Sie haben gut lachen, meine Herren, ſagte Poll, ſelbſt lachend, aber ich armer Schächer! Dort riskire ich den Magen und hier das Gehirn. Adieu, — „Pittsburg im Mai!“ Sie ſehen, Herr Rector, ich muß leider noch einmal verzichten. O ſchade! hieß es, ich möcht' ihn ſehen im gelblakirten Hut — Und im ſchneeweißen Rock — Und wie er Kinder aus Staincher zieht, ſagte der Frankfurter Gärtner. Das Gelächter fing von Neuem an. Machen wir all unſre Tollhäuſer auf; rief der Bäcker aus Alten¬ burg; wenn in Amerika die Narren frei herum laufen, warum ſperrt man ſie ein in Europa? Meine Herren, ſagte Benthal, es iſt uns Deutſchen mit Recht eine Erquickung, daß wir an ſolchen Zerrbildern unſre eigne Kultur fühlen lernen. Dieſer plumpe Prophet hier will geiſtige Tendenzen verfolgen und verwickelt ſich dabei in Unter- und Oberhoſen! Das iſt echt amerikaniſch. Freilich iſt er zugleich auch praktiſch wie ein Amerikaner. Was z. B. das Hängen-laſſen der Unter- in den Oberhoſen betrifft, ſo ſteht wohl Niemand unter uns, der als Lehrling oder Geſelle in ungeheizten Kammern ſchlief und dieſes Dogma nicht am Abend be¬ folgt hätte zur großen Förderniß ſeiner Morgentoilette. Hierin ſind wir wohl naturwüchſige Gläubige des neuen Jeruſalems. Auch die Wahl unſrer Farben zu Gunſten der ſchmutzenden Berufsarbeiten, wie er ſagt, iſt, wenn nicht appetitlich, doch nützlich erinnert. Dabei läßt ſich zugleich einſehen, warum unſere Böſewichter von Präſidenten, unſre Kieſelherzen von Financiers, kurz das ganze feine, alſo laſterhafte Europa mit Vorliebe Schwarz trägt. Es iſt die officielle Farbe des neuen Jeruſalems für ſehr ſchmutzige Beſchäftigungen. Ein donnerndes Bravo der Auswanderer krönte dieſen radicalen Scherz.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/135
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/135>, abgerufen am 24.11.2024.