Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Benthal fuhr fort: Gemach, meine Herren! Fremde Narrheit be¬
lachen ist der Zucker des Lebens, heilsame Nutzanwendung davon das
Salz. Was wollen Sie? dieser Prophet da, wie Sie sehen, hat ganz
gute Verstandesmaximen; komisch wird er nur dadurch, daß er den
Verstand in die falsche Beleuchtung der Religiösität stellt. Aber macht
es der deutsche Rationalismus anders? Den gemeinen Verstand schiebt
er an die Stelle der alten wunderthätigen Heiligthümer, und ist so
naiv, die alte religiöse Begeisterung für denselben in Anspruch zu
nehmen. Und nun das Bart-Dogma! Ist es nicht eine von den acht
Seligkeiten des "Vater Jahn" und haben wir -- wenigstens bis zur
Juli-Revolution, -- "Vater Jahn" nicht mit Andacht seine Borsten-
Religion predigen lassen? Ach, meine Herren, die Narrenleine ist gleich
der Linie des Aequators, sie läuft um die ganze Erde herum. Daß
also ein Gescheidter in Kleindeutschland verhungern soll, weil um
Pittsburg herum Narren sitzen, das scheint mir eine Logik, die viel¬
mehr eine Verwandtschaft als einen Gegensatz mit den Pittsburgern
beurkunden dürfte.

Bei dieser Pointe hatte der Lockige seinerseits eine kleine, freund¬
schaftliche Lache zu bestehen; aber die Zärtlichkeit für sein Gehirn war
damit niedergeschlagen. Er zauderte nun nicht mehr, das Offert an¬
zunehmen. Die Gesellschaft unterhielt sich noch eine Weile damit, ihn
als Mitglied des neuen Jerusalems zu parodiren, während Benthal
den ernsteren Wink anbrachte, seiner Landsleute zu gedenken, wenn er
selbst reüissirte, -- was die Spötter doch auch wieder gerne hörten.

Benthal fuhr hierauf in seinen Mittheilungen fort: Die hiesigen
Verhältnisse des Tuchmachergewerks -- ist Herr Sorau nicht hier? --
leider! er versäumt nichts; seine Profession ist gleich Null hier: das
gröbste Fabrikat ausgenommen, ist Alles Import.

Er glaubte sich auf die Teppichweberei einzuschießen, sagte der
Bäcker Sallmann, den Abwesenden vertretend; wir hörten zu Hause,
daß der Teppich hier allgemeine Mode sei, -- bis in die Bauern¬
hütte herab.

Benthal antwortete: Das hat seine Richtigkeit, wie wir sehen; nur
webt sich der Farmer von selbsterzeugter Wolle seine Hausteppiche selbst
in den müßigen Wintertagen. Was aber die feinere städtische Waare
betrifft, so engagirt man an den großen powerlooms oder Dampf¬

Benthal fuhr fort: Gemach, meine Herren! Fremde Narrheit be¬
lachen iſt der Zucker des Lebens, heilſame Nutzanwendung davon das
Salz. Was wollen Sie? dieſer Prophet da, wie Sie ſehen, hat ganz
gute Verſtandesmaximen; komiſch wird er nur dadurch, daß er den
Verſtand in die falſche Beleuchtung der Religiöſität ſtellt. Aber macht
es der deutſche Rationalismus anders? Den gemeinen Verſtand ſchiebt
er an die Stelle der alten wunderthätigen Heiligthümer, und iſt ſo
naiv, die alte religiöſe Begeiſterung für denſelben in Anſpruch zu
nehmen. Und nun das Bart-Dogma! Iſt es nicht eine von den acht
Seligkeiten des „Vater Jahn“ und haben wir — wenigſtens bis zur
Juli-Revolution, — „Vater Jahn“ nicht mit Andacht ſeine Borſten-
Religion predigen laſſen? Ach, meine Herren, die Narrenleine iſt gleich
der Linie des Aequators, ſie läuft um die ganze Erde herum. Daß
alſo ein Geſcheidter in Kleindeutſchland verhungern ſoll, weil um
Pittsburg herum Narren ſitzen, das ſcheint mir eine Logik, die viel¬
mehr eine Verwandtſchaft als einen Gegenſatz mit den Pittsburgern
beurkunden dürfte.

Bei dieſer Pointe hatte der Lockige ſeinerſeits eine kleine, freund¬
ſchaftliche Lache zu beſtehen; aber die Zärtlichkeit für ſein Gehirn war
damit niedergeſchlagen. Er zauderte nun nicht mehr, das Offert an¬
zunehmen. Die Geſellſchaft unterhielt ſich noch eine Weile damit, ihn
als Mitglied des neuen Jeruſalems zu parodiren, während Benthal
den ernſteren Wink anbrachte, ſeiner Landsleute zu gedenken, wenn er
ſelbſt reüiſſirte, — was die Spötter doch auch wieder gerne hörten.

Benthal fuhr hierauf in ſeinen Mittheilungen fort: Die hieſigen
Verhältniſſe des Tuchmachergewerks — iſt Herr Sorau nicht hier? —
leider! er verſäumt nichts; ſeine Profeſſion iſt gleich Null hier: das
gröbſte Fabrikat ausgenommen, iſt Alles Import.

Er glaubte ſich auf die Teppichweberei einzuſchießen, ſagte der
Bäcker Sallmann, den Abweſenden vertretend; wir hörten zu Hauſe,
daß der Teppich hier allgemeine Mode ſei, — bis in die Bauern¬
hütte herab.

Benthal antwortete: Das hat ſeine Richtigkeit, wie wir ſehen; nur
webt ſich der Farmer von ſelbſterzeugter Wolle ſeine Hausteppiche ſelbſt
in den müßigen Wintertagen. Was aber die feinere ſtädtiſche Waare
betrifft, ſo engagirt man an den großen powerlooms oder Dampf¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0136" n="118"/>
          <p>Benthal fuhr fort: Gemach, meine Herren! Fremde Narrheit be¬<lb/>
lachen i&#x017F;t der Zucker des Lebens, heil&#x017F;ame Nutzanwendung davon das<lb/>
Salz. Was wollen Sie? die&#x017F;er Prophet da, wie Sie &#x017F;ehen, hat ganz<lb/>
gute Ver&#x017F;tandesmaximen; komi&#x017F;ch wird er nur dadurch, daß er den<lb/>
Ver&#x017F;tand in die fal&#x017F;che Beleuchtung der Religiö&#x017F;ität &#x017F;tellt. Aber macht<lb/>
es der deut&#x017F;che Rationalismus anders? Den gemeinen Ver&#x017F;tand &#x017F;chiebt<lb/>
er an die Stelle der alten wunderthätigen Heiligthümer, und i&#x017F;t &#x017F;o<lb/>
naiv, die alte religiö&#x017F;e Begei&#x017F;terung für den&#x017F;elben in An&#x017F;pruch zu<lb/>
nehmen. Und nun das Bart-Dogma! I&#x017F;t es nicht eine von den acht<lb/>
Seligkeiten des &#x201E;Vater Jahn&#x201C; und haben wir &#x2014; wenig&#x017F;tens bis zur<lb/>
Juli-Revolution, &#x2014; &#x201E;Vater Jahn&#x201C; nicht mit Andacht &#x017F;eine Bor&#x017F;ten-<lb/>
Religion predigen la&#x017F;&#x017F;en? Ach, meine Herren, die Narrenleine i&#x017F;t gleich<lb/>
der Linie des Aequators, &#x017F;ie läuft um die ganze Erde herum. Daß<lb/>
al&#x017F;o ein Ge&#x017F;cheidter in Kleindeut&#x017F;chland verhungern &#x017F;oll, weil um<lb/>
Pittsburg herum Narren &#x017F;itzen, das &#x017F;cheint mir eine Logik, die viel¬<lb/>
mehr eine Verwandt&#x017F;chaft als einen Gegen&#x017F;atz mit den Pittsburgern<lb/>
beurkunden dürfte.</p><lb/>
          <p>Bei die&#x017F;er Pointe hatte der Lockige &#x017F;einer&#x017F;eits eine kleine, freund¬<lb/>
&#x017F;chaftliche Lache zu be&#x017F;tehen; aber die Zärtlichkeit für &#x017F;ein Gehirn war<lb/>
damit niederge&#x017F;chlagen. Er zauderte nun nicht mehr, das Offert an¬<lb/>
zunehmen. Die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft unterhielt &#x017F;ich noch eine Weile damit, ihn<lb/>
als Mitglied des neuen Jeru&#x017F;alems zu parodiren, während Benthal<lb/>
den ern&#x017F;teren Wink anbrachte, &#x017F;einer Landsleute zu gedenken, wenn er<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t reüi&#x017F;&#x017F;irte, &#x2014; was die Spötter doch auch wieder gerne hörten.</p><lb/>
          <p>Benthal fuhr hierauf in &#x017F;einen Mittheilungen fort: Die hie&#x017F;igen<lb/>
Verhältni&#x017F;&#x017F;e des Tuchmachergewerks &#x2014; i&#x017F;t Herr Sorau nicht hier? &#x2014;<lb/>
leider! er ver&#x017F;äumt nichts; &#x017F;eine Profe&#x017F;&#x017F;ion i&#x017F;t gleich Null hier: das<lb/>
gröb&#x017F;te Fabrikat ausgenommen, i&#x017F;t Alles Import.</p><lb/>
          <p>Er glaubte &#x017F;ich auf die Teppichweberei einzu&#x017F;chießen, &#x017F;agte der<lb/>
Bäcker Sallmann, den Abwe&#x017F;enden vertretend; wir hörten zu Hau&#x017F;e,<lb/>
daß der Teppich hier allgemeine Mode &#x017F;ei, &#x2014; bis in die Bauern¬<lb/>
hütte herab.</p><lb/>
          <p>Benthal antwortete: Das hat &#x017F;eine Richtigkeit, wie wir &#x017F;ehen; nur<lb/>
webt &#x017F;ich der Farmer von &#x017F;elb&#x017F;terzeugter Wolle &#x017F;eine Hausteppiche &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
in den müßigen Wintertagen. Was aber die feinere &#x017F;tädti&#x017F;che Waare<lb/>
betrifft, &#x017F;o engagirt man an den großen <hi rendition="#aq">powerlooms</hi> oder Dampf¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[118/0136] Benthal fuhr fort: Gemach, meine Herren! Fremde Narrheit be¬ lachen iſt der Zucker des Lebens, heilſame Nutzanwendung davon das Salz. Was wollen Sie? dieſer Prophet da, wie Sie ſehen, hat ganz gute Verſtandesmaximen; komiſch wird er nur dadurch, daß er den Verſtand in die falſche Beleuchtung der Religiöſität ſtellt. Aber macht es der deutſche Rationalismus anders? Den gemeinen Verſtand ſchiebt er an die Stelle der alten wunderthätigen Heiligthümer, und iſt ſo naiv, die alte religiöſe Begeiſterung für denſelben in Anſpruch zu nehmen. Und nun das Bart-Dogma! Iſt es nicht eine von den acht Seligkeiten des „Vater Jahn“ und haben wir — wenigſtens bis zur Juli-Revolution, — „Vater Jahn“ nicht mit Andacht ſeine Borſten- Religion predigen laſſen? Ach, meine Herren, die Narrenleine iſt gleich der Linie des Aequators, ſie läuft um die ganze Erde herum. Daß alſo ein Geſcheidter in Kleindeutſchland verhungern ſoll, weil um Pittsburg herum Narren ſitzen, das ſcheint mir eine Logik, die viel¬ mehr eine Verwandtſchaft als einen Gegenſatz mit den Pittsburgern beurkunden dürfte. Bei dieſer Pointe hatte der Lockige ſeinerſeits eine kleine, freund¬ ſchaftliche Lache zu beſtehen; aber die Zärtlichkeit für ſein Gehirn war damit niedergeſchlagen. Er zauderte nun nicht mehr, das Offert an¬ zunehmen. Die Geſellſchaft unterhielt ſich noch eine Weile damit, ihn als Mitglied des neuen Jeruſalems zu parodiren, während Benthal den ernſteren Wink anbrachte, ſeiner Landsleute zu gedenken, wenn er ſelbſt reüiſſirte, — was die Spötter doch auch wieder gerne hörten. Benthal fuhr hierauf in ſeinen Mittheilungen fort: Die hieſigen Verhältniſſe des Tuchmachergewerks — iſt Herr Sorau nicht hier? — leider! er verſäumt nichts; ſeine Profeſſion iſt gleich Null hier: das gröbſte Fabrikat ausgenommen, iſt Alles Import. Er glaubte ſich auf die Teppichweberei einzuſchießen, ſagte der Bäcker Sallmann, den Abweſenden vertretend; wir hörten zu Hauſe, daß der Teppich hier allgemeine Mode ſei, — bis in die Bauern¬ hütte herab. Benthal antwortete: Das hat ſeine Richtigkeit, wie wir ſehen; nur webt ſich der Farmer von ſelbſterzeugter Wolle ſeine Hausteppiche ſelbſt in den müßigen Wintertagen. Was aber die feinere ſtädtiſche Waare betrifft, ſo engagirt man an den großen powerlooms oder Dampf¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/136
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/136>, abgerufen am 24.11.2024.