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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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mit. Dann fuhr er fort: Ich muß nothwendig lächeln, wenn ich mir
vorstelle, wie Sie selbst nach fünf oder zehn Jahren an diesen Augen¬
blick zurückdenken werden. Sie führen dann Ihre großen Firmen auf
dem Bowery, haben Häuser oder ganze Straßen gebaut, befahren durch
Ihre Actien den obern See oder den mexikanischen Meerbusen, sind
Schul- und Kirchenvorstände, Stadträthe, vielleicht Deputirte und
Gouverneure geworden, -- denn das ist die Carriere des Deutschen:
mit der Thräne im Auge fängt er an, und mit der Million endet er.
Seiner weinerlichen und verschließenen Gestalt läuft heute der Straßen¬
junge nach mit dem Spottrufe: "ein Dutchman!" und nach zehn
Jahren complimentirt sich derselbe Straßenjunge mit einer Candidaten¬
liste durch Ihren Clubb, und spricht: "Die Deutschen sind die besten
Bürger Amerika's. Wir empfehlen Ihrer einsichtsvollen und patrioti¬
schen Wahl -- u. s. w." Thun Sie mir den Gefallen, meine Herren,
denken Sie an den grünen Baum zurück und an den Rector magni¬
ficus
, der Ihnen das wörtlich so vorhergesagt hat. Ist es möglich,
werden Sie ausrufen, wußten wir nicht selbst, daß aller Anfang schwer
ist, und braucht uns Jemand den gemeinsten aller Gemeinplätze in
Erinnerung zu bringen? Ja, es ist natürlich, so verkehrt es auch zu
sein scheint: Reiten und Schwimmen lernen Tausende von selbst, aber
Gehen und Stehen lernt jeder Mensch unter Anleitung.

Möchten Sie das Glück, wovon ich spreche, in Tagen und Stunden
erreichen! wer wünschte es aufrichtiger als ich? Aber wie schnell ist
auch eine Handvoll Jahre herum! Der Lehrling sieht sich als Ge¬
selle, der Soldat als ausgedient, der Gefangene in der Freiheit --
Jahre sind kurz, wenn das Ziel feststeht, das dahinter liegt; ohne dieses
wird auch ein Tag zur unerträglichen Last. Glauben Sie an Ihr
Glück und es wird sich erfüllen. Was macht den Yankee groß? Daß
er keinen Moment zu fixiren, sondern jeden zu überbieten strebt. An¬
ders der Deutsche. Er liebt das Beharren, Alles, auch das Schlech¬
teste, wird ihm zum Ruhepunkte. Fragen Sie sich selbst, wie Sie
dahin kamen, dieses kleindeutsche Kartenhaus festzuhalten? Ihre an¬
fängliche Absicht war es nicht. Man wollte nur vorläufig beisammen
bleiben bis Jeder seinen Weg gefunden hätte, aber dieses "vorläufig"
wurde zur Gewohnheit. Man fand zwar seinen Weg nicht, aber doch
einen winzig schmalen Pfad, und der Deutsche ist ja genügsam. Auf

mit. Dann fuhr er fort: Ich muß nothwendig lächeln, wenn ich mir
vorſtelle, wie Sie ſelbſt nach fünf oder zehn Jahren an dieſen Augen¬
blick zurückdenken werden. Sie führen dann Ihre großen Firmen auf
dem Bowery, haben Häuſer oder ganze Straßen gebaut, befahren durch
Ihre Actien den obern See oder den mexikaniſchen Meerbuſen, ſind
Schul- und Kirchenvorſtände, Stadträthe, vielleicht Deputirte und
Gouverneure geworden, — denn das iſt die Carrière des Deutſchen:
mit der Thräne im Auge fängt er an, und mit der Million endet er.
Seiner weinerlichen und verſchließenen Geſtalt läuft heute der Straßen¬
junge nach mit dem Spottrufe: „ein Dutchman!“ und nach zehn
Jahren complimentirt ſich derſelbe Straßenjunge mit einer Candidaten¬
liſte durch Ihren Clubb, und ſpricht: „Die Deutſchen ſind die beſten
Bürger Amerika's. Wir empfehlen Ihrer einſichtsvollen und patrioti¬
ſchen Wahl — u. ſ. w.“ Thun Sie mir den Gefallen, meine Herren,
denken Sie an den grünen Baum zurück und an den Rector magni¬
ficus
, der Ihnen das wörtlich ſo vorhergeſagt hat. Iſt es möglich,
werden Sie ausrufen, wußten wir nicht ſelbſt, daß aller Anfang ſchwer
iſt, und braucht uns Jemand den gemeinſten aller Gemeinplätze in
Erinnerung zu bringen? Ja, es iſt natürlich, ſo verkehrt es auch zu
ſein ſcheint: Reiten und Schwimmen lernen Tauſende von ſelbſt, aber
Gehen und Stehen lernt jeder Menſch unter Anleitung.

Möchten Sie das Glück, wovon ich ſpreche, in Tagen und Stunden
erreichen! wer wünſchte es aufrichtiger als ich? Aber wie ſchnell iſt
auch eine Handvoll Jahre herum! Der Lehrling ſieht ſich als Ge¬
ſelle, der Soldat als ausgedient, der Gefangene in der Freiheit —
Jahre ſind kurz, wenn das Ziel feſtſteht, das dahinter liegt; ohne dieſes
wird auch ein Tag zur unerträglichen Laſt. Glauben Sie an Ihr
Glück und es wird ſich erfüllen. Was macht den Yankee groß? Daß
er keinen Moment zu fixiren, ſondern jeden zu überbieten ſtrebt. An¬
ders der Deutſche. Er liebt das Beharren, Alles, auch das Schlech¬
teſte, wird ihm zum Ruhepunkte. Fragen Sie ſich ſelbſt, wie Sie
dahin kamen, dieſes kleindeutſche Kartenhaus feſtzuhalten? Ihre an¬
fängliche Abſicht war es nicht. Man wollte nur vorläufig beiſammen
bleiben bis Jeder ſeinen Weg gefunden hätte, aber dieſes „vorläufig“
wurde zur Gewohnheit. Man fand zwar ſeinen Weg nicht, aber doch
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[127/0145] mit. Dann fuhr er fort: Ich muß nothwendig lächeln, wenn ich mir vorſtelle, wie Sie ſelbſt nach fünf oder zehn Jahren an dieſen Augen¬ blick zurückdenken werden. Sie führen dann Ihre großen Firmen auf dem Bowery, haben Häuſer oder ganze Straßen gebaut, befahren durch Ihre Actien den obern See oder den mexikaniſchen Meerbuſen, ſind Schul- und Kirchenvorſtände, Stadträthe, vielleicht Deputirte und Gouverneure geworden, — denn das iſt die Carrière des Deutſchen: mit der Thräne im Auge fängt er an, und mit der Million endet er. Seiner weinerlichen und verſchließenen Geſtalt läuft heute der Straßen¬ junge nach mit dem Spottrufe: „ein Dutchman!“ und nach zehn Jahren complimentirt ſich derſelbe Straßenjunge mit einer Candidaten¬ liſte durch Ihren Clubb, und ſpricht: „Die Deutſchen ſind die beſten Bürger Amerika's. Wir empfehlen Ihrer einſichtsvollen und patrioti¬ ſchen Wahl — u. ſ. w.“ Thun Sie mir den Gefallen, meine Herren, denken Sie an den grünen Baum zurück und an den Rector magni¬ ficus, der Ihnen das wörtlich ſo vorhergeſagt hat. Iſt es möglich, werden Sie ausrufen, wußten wir nicht ſelbſt, daß aller Anfang ſchwer iſt, und braucht uns Jemand den gemeinſten aller Gemeinplätze in Erinnerung zu bringen? Ja, es iſt natürlich, ſo verkehrt es auch zu ſein ſcheint: Reiten und Schwimmen lernen Tauſende von ſelbſt, aber Gehen und Stehen lernt jeder Menſch unter Anleitung. Möchten Sie das Glück, wovon ich ſpreche, in Tagen und Stunden erreichen! wer wünſchte es aufrichtiger als ich? Aber wie ſchnell iſt auch eine Handvoll Jahre herum! Der Lehrling ſieht ſich als Ge¬ ſelle, der Soldat als ausgedient, der Gefangene in der Freiheit — Jahre ſind kurz, wenn das Ziel feſtſteht, das dahinter liegt; ohne dieſes wird auch ein Tag zur unerträglichen Laſt. Glauben Sie an Ihr Glück und es wird ſich erfüllen. Was macht den Yankee groß? Daß er keinen Moment zu fixiren, ſondern jeden zu überbieten ſtrebt. An¬ ders der Deutſche. Er liebt das Beharren, Alles, auch das Schlech¬ teſte, wird ihm zum Ruhepunkte. Fragen Sie ſich ſelbſt, wie Sie dahin kamen, dieſes kleindeutſche Kartenhaus feſtzuhalten? Ihre an¬ fängliche Abſicht war es nicht. Man wollte nur vorläufig beiſammen bleiben bis Jeder ſeinen Weg gefunden hätte, aber dieſes „vorläufig“ wurde zur Gewohnheit. Man fand zwar ſeinen Weg nicht, aber doch einen winzig ſchmalen Pfad, und der Deutſche iſt ja genügſam. Auf

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/145>, abgerufen am 24.11.2024.