und Verzweiflung auf die andre Seite beständig umherschnellen. Die Veränderungen der Mode, die Ueberführungen der Märkte, auswärtige Kriege mit ihren Absatzstockungen und Bankrotten, tausend Ursachen werden auch hier beständig unterwegs sein, große Menschenmassen ihres Unterhalts zu berauben und dem Hunger zu überliefern. Diese Hun¬ gernden aber werden -- Souveraine sein! Wenn der europäische Besitz, ich will nicht sagen in der Waffenmacht, sondern in den Rechtsbegriffen der Besitzlosen selbst, eine Bürgschaft seiner Unantastbarkeit genießt und im Ganzen genommen sich des Gehorsams erfreut, so wird der amerikanische Besitz nicht berechtigt, sondern nur geduldet sein, und die Duldung wird ihm versagt werden, so oft sie Opfer erheischt. Der ganze Gesellschafts-Contract zwischen Besitz und Arbeit wird in Amerika so lauten, daß die Arbeit mit dem Besitze zwar den Vortheil, nicht aber den Nachtheil trägt; den letzten wird sie vielmehr mit der vollen Wucht eines agrarischen Spoliations-Systems der Gegenpartei aufladen. Ob solche Contracte aber unter wahrhaft Freien eingegangen zu wer¬ den pflegen, und ob sie den Bestand, das Glück und den Flor der seltsam situirten Theilhaber verbürgen, das werden praktische Rechtsgelehrte besser als ich zu beantworten wissen. Die Geschichte wenigstens hat keine Beispiele davon. Das Schauspiel der Workies- Regierung wird beispiellos sein. Die Kämpfe der Gracchen erröthen davor und flüchten in's Genre der Idylle.
In gegenwärtigem Augenblicke sind die Vereinigten Staaten vor revolutionären Erschütterungen vielleicht sicherer, als irgend ein Staat in der Welt. Sonderbarer Weise schreibt der Amerikaner aber dieses Glück nicht dem Umstande zu, daß der größte Theil der Nation vor¬ läufig noch Eigenthum besitzt, sondern er hält es für eine Wirkung seiner "unverbesserlichen Constitution" und bedenkt nicht, daß diese Constitution eben nur für eine agrarische Bevölkerung mit Eigenthum berechnet ist. Was "unsre unverbesserliche Constitution" -- "das un¬ überwindliche Bollwerk unsrer Freiheit" -- aber leisten soll, wenn der Hunger im Repräsentantenhause und der Bankrott im Senate sitzen wird, das verlangte mich den Geistern der Zukunft abzulauschen. Unter den Menschen habe ich mich vergebens umgethan, die wunder¬ wirkende Kraft der amerikanischen Constitution kennen zu lernen. Ich konnte nur sehen, daß sie ein Ding sei, welches Allen wohlgefällt;
und Verzweiflung auf die andre Seite beſtändig umherſchnellen. Die Veränderungen der Mode, die Ueberführungen der Märkte, auswärtige Kriege mit ihren Abſatzſtockungen und Bankrotten, tauſend Urſachen werden auch hier beſtändig unterwegs ſein, große Menſchenmaſſen ihres Unterhalts zu berauben und dem Hunger zu überliefern. Dieſe Hun¬ gernden aber werden — Souveraine ſein! Wenn der europäiſche Beſitz, ich will nicht ſagen in der Waffenmacht, ſondern in den Rechtsbegriffen der Beſitzloſen ſelbſt, eine Bürgſchaft ſeiner Unantaſtbarkeit genießt und im Ganzen genommen ſich des Gehorſams erfreut, ſo wird der amerikaniſche Beſitz nicht berechtigt, ſondern nur geduldet ſein, und die Duldung wird ihm verſagt werden, ſo oft ſie Opfer erheiſcht. Der ganze Geſellſchafts-Contract zwiſchen Beſitz und Arbeit wird in Amerika ſo lauten, daß die Arbeit mit dem Beſitze zwar den Vortheil, nicht aber den Nachtheil trägt; den letzten wird ſie vielmehr mit der vollen Wucht eines agrariſchen Spoliations-Syſtems der Gegenpartei aufladen. Ob ſolche Contracte aber unter wahrhaft Freien eingegangen zu wer¬ den pflegen, und ob ſie den Beſtand, das Glück und den Flor der ſeltſam ſituirten Theilhaber verbürgen, das werden praktiſche Rechtsgelehrte beſſer als ich zu beantworten wiſſen. Die Geſchichte wenigſtens hat keine Beiſpiele davon. Das Schauſpiel der Workies- Regierung wird beiſpiellos ſein. Die Kämpfe der Gracchen erröthen davor und flüchten in's Genre der Idylle.
In gegenwärtigem Augenblicke ſind die Vereinigten Staaten vor revolutionären Erſchütterungen vielleicht ſicherer, als irgend ein Staat in der Welt. Sonderbarer Weiſe ſchreibt der Amerikaner aber dieſes Glück nicht dem Umſtande zu, daß der größte Theil der Nation vor¬ läufig noch Eigenthum beſitzt, ſondern er hält es für eine Wirkung ſeiner „unverbeſſerlichen Conſtitution“ und bedenkt nicht, daß dieſe Conſtitution eben nur für eine agrariſche Bevölkerung mit Eigenthum berechnet iſt. Was „unſre unverbeſſerliche Conſtitution“ — „das un¬ überwindliche Bollwerk unſrer Freiheit“ — aber leiſten ſoll, wenn der Hunger im Repräſentantenhauſe und der Bankrott im Senate ſitzen wird, das verlangte mich den Geiſtern der Zukunft abzulauſchen. Unter den Menſchen habe ich mich vergebens umgethan, die wunder¬ wirkende Kraft der amerikaniſchen Conſtitution kennen zu lernen. Ich konnte nur ſehen, daß ſie ein Ding ſei, welches Allen wohlgefällt;
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und Verzweiflung auf die andre Seite beſtändig umherſchnellen. Die
Veränderungen der Mode, die Ueberführungen der Märkte, auswärtige
Kriege mit ihren Abſatzſtockungen und Bankrotten, tauſend Urſachen
werden auch hier beſtändig unterwegs ſein, große Menſchenmaſſen ihres
Unterhalts zu berauben und dem Hunger zu überliefern. Dieſe Hun¬
gernden aber werden — Souveraine ſein! Wenn der europäiſche Beſitz,
ich will nicht ſagen in der Waffenmacht, ſondern in den Rechtsbegriffen
der Beſitzloſen ſelbſt, eine Bürgſchaft ſeiner Unantaſtbarkeit genießt
und im Ganzen genommen ſich des Gehorſams erfreut, ſo wird der
amerikaniſche Beſitz nicht berechtigt, ſondern nur geduldet ſein, und die
Duldung wird ihm verſagt werden, ſo oft ſie Opfer erheiſcht. Der
ganze Geſellſchafts-Contract zwiſchen Beſitz und Arbeit wird in Amerika
ſo lauten, daß die Arbeit mit dem Beſitze zwar den Vortheil, nicht
aber den Nachtheil trägt; den letzten wird ſie vielmehr mit der vollen
Wucht eines agrariſchen Spoliations-Syſtems der Gegenpartei aufladen.
Ob ſolche Contracte aber unter wahrhaft Freien eingegangen zu wer¬
den pflegen, und ob ſie den Beſtand, das Glück und den Flor
der ſeltſam ſituirten Theilhaber verbürgen, das werden praktiſche
Rechtsgelehrte beſſer als ich zu beantworten wiſſen. Die Geſchichte
wenigſtens hat keine Beiſpiele davon. Das Schauſpiel der Workies-
Regierung wird beiſpiellos ſein. Die Kämpfe der Gracchen erröthen
davor und flüchten in's Genre der Idylle.
In gegenwärtigem Augenblicke ſind die Vereinigten Staaten vor
revolutionären Erſchütterungen vielleicht ſicherer, als irgend ein Staat
in der Welt. Sonderbarer Weiſe ſchreibt der Amerikaner aber dieſes
Glück nicht dem Umſtande zu, daß der größte Theil der Nation vor¬
läufig noch Eigenthum beſitzt, ſondern er hält es für eine Wirkung
ſeiner „unverbeſſerlichen Conſtitution“ und bedenkt nicht, daß dieſe
Conſtitution eben nur für eine agrariſche Bevölkerung mit Eigenthum
berechnet iſt. Was „unſre unverbeſſerliche Conſtitution“ — „das un¬
überwindliche Bollwerk unſrer Freiheit“ — aber leiſten ſoll, wenn
der Hunger im Repräſentantenhauſe und der Bankrott im Senate
ſitzen wird, das verlangte mich den Geiſtern der Zukunft abzulauſchen.
Unter den Menſchen habe ich mich vergebens umgethan, die wunder¬
wirkende Kraft der amerikaniſchen Conſtitution kennen zu lernen. Ich
konnte nur ſehen, daß ſie ein Ding ſei, welches Allen wohlgefällt;
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/188>, abgerufen am 24.11.2024.
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